Unterwegs mit über 15 Tausend Litern Milch

Bratislav Stojanovic sammelt seit vielen Jahren für Ostschweizer Milchhändler und Käsereien die Milch von den Höfen. Die nächtlichen Touren führen ihn vom Kleinbauernhof bis zum Grossbetrieb.

Ramona Riedener |

Ein Hauch von Nebel liegt über der Frühlingslandschaft, ein kalter Wind streicht über die Felder. Der Tanklastwagen reflektiert das fahle Tageslicht, während Bratislav Stojanovic sich geübt in die Fahrerkabine schwingt.

Es ist 18.30 Uhr, als er seine Nachtschicht beginnt. Der Motor brummt gleichmässig, als sich das schwere Fahrzeug auf den Weg macht – hinaus aus dem Tal, hinein in den beginnenden Abend. Die Strasse ist feucht vom letzten Regenschauer, am Wegrand glänzen Pfützen.

Noch liegt kein Dunkel über dem Land, doch die Schatten werden länger. Bald nach der Ausfahrt wird die Strasse enger, bevor sie in einen holprigen Zufahrtsweg mündet. Langsam rollt der Lastwagen in die Hofeinfahrt ein.

Routiniert am Werk

Mit geübter Präzision manövriert Stojanovic das Fahrzeug rückwärts an die Milchkammer. Dann steigt er aus seiner Kabine und öffnet die hintere Ladeklappe, wo das Computersystem und die Absaugschläuche verstaut sind. Seine Hände, in dicken Arbeitshandschuhen, packen den blauen Absaugschlauch und verbinden ihn mit dem Ventil des Milchtanks.

Das GPS hat den Standort längst registriert, das System ordnet die Daten automatisch dem entsprechenden Betrieb zu. Im Hintergrund glänzen Siloballen im schwächer werdenden Licht, das Surren der Pumpe übertönt das letzte Vogelgezwitscher.

Nachtleben auf dem Hof

Während die Milch in den Tank fliesst, blickt Stojanovic über den Hof. Kein Mensch ist zu sehen. «Jetzt, wo es am Abend wieder länger hell ist, sind manche ­Bauern noch draussen, einige noch am Arbeiten, andere, um nach dem Rechten zu sehen oder den Feierabend zu geniessen.

Aber heute ist es kühl – da ist es ruhig. Doch einige Bauern kommen, auch im Winter, wenn es kalt und dunkel ist, regelmässig, um Hallo zu sagen, oder für ein Schwätzchen. Ich schätze diese Kontakte sehr», erzählt der Milchchauffeur.

Ein Mann der Nacht

Seit elf Jahren fährt er für das Transportunternehmen Stieger aus Oberriet SG. Er ist ein Mann der Nacht – einer, der dafür sorgt, dass die Milch pünktlich vom Hof abgeholt und zuverlässig ausgeliefert wird –, auch wenn die Welt um ihn herum längst schläft. Der 55-jährige Familienvater aus dem österreichischen Feldkirch liebt seine nächtlichen Touren, nicht nur, weil er dann tagsüber Zeit für seine beiden Kinder hat, sondern auch, weil es auf den Strassen dann viel weniger hektisch ist als tagsüber.

Nachdem er die Schläuche wieder abgehängt und die Kontrollanzeige auf dem Display überprüft hat, steigt er wieder in die Fahrerkabine, um seine Fahrt fortzusetzen. Vor ihm liegen viele Höfe, bis seine Schicht zu Ende ist.

Mit Milch geduscht

Ein Milchchauffeur muss nicht nur anspruchsvolle Fahrbedingungen mit Geschick und Souveränität meistern können, sondern unterwegs mit über 15 Tausend Litern Milch in der Lage sein, moderne Technologien zu bedienen. Gleichzeitig sollte er das Metier und die Sprache der Bauern verstehen.

«Die meisten Chauffeure, die Milch transportieren, kommen aus der Landwirtschaft. Das erleichtert ihnen die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit den Bauern», erzählt der gebürtige Serbe. «Auch ich habe bäuerliche Wurzeln: Zu Hause, wo ich aufgewachsen bin, hatten wir immer Tiere zur Selbstversorgung.»

Erfahrung zahlt sich aus

Heute, nach vielen Jahren «vo Puur zu Puur», kennt er die Betriebe und die Strassen der Ostschweiz wie seine Westentasche. «Am Anfang musste ich mich auf den Weg und jeden einzelnen Arbeitsablauf konzentrieren. Trotzdem lief nicht immer alles glatt. Oft habe ich mich selbst mit Milch geduscht. Manchmal war ich schuld, manchmal funktionierte einfach etwas nicht richtig.

Mit der Zeit wächst man in den Job hinein», sagt Stojanovic, während er den Lastwagen sicher die kurvige Bergstrasse zum nächsten Betrieb steuert. «Von hier oben haben die Kühe – besonders bei klarem Wetter – eine einmalige Aussicht über das ganze Rheintal», sagt er und deutet mit einer weiten Geste hinunter ins Tal.

Zwei Touren – jede Nacht

Die Arbeit ist anspruchsvoll und alles andere als eintönig. Nacht für Nacht ist Stojanovic auf zwei unterschiedlichen Milchtouren unterwegs. Jede zweite Nacht fährt er eine andere Tour. Die Touren führen ihn von kleinen Bauernhöfen, die gerade mal 200 Liter abgeben, bis zu modernen Grossbetrieben mit über 6’000 Litern Milch.

Wo möglich, spart er sich das zeitraubende Umpumpen und lädt die Milch direkt in den Anhänger. Am Ende einer Tour hat er auf 30 bis 35 Betrieben rund 50’000 Liter Milch eingesammelt, die er anschliessend an Käsereien und Milchhändler in der Ostschweiz liefert.

Liebe zum Beruf

Wenn alles reibungslos läuft, ist er zwischen drei und fünf Uhr morgens fertig. «Ich liebe meine Arbeit», sagt Stojanovic. «Ausser wenn es regnet und stark windet – dann wirds wirklich mühsam.

Doch zum Glück passiert das nur selten», sagt er, während er den leeren Tanklastwagen parkiert und zum letzten Mal in dieser Nacht schwungvoll aus der Kabine steigt.

Milchtransport einst und heute Früher wurde die Milch noch in Blechkannen direkt von den Höfen abgeholt. Zweimal am Tag ging der Milchmann mit seinem dreiachsigen Gefährt von Hof zu Hof. Neue Zeiten brachen an, als der Transportunternehmer Gerwald Stieger aus Oberriet SG 2001 in die Branche einstieg.

Die Anfänge waren bescheiden: 1983 startete Gerwald Stieger sein Lohnunternehmen als Nebenverdienst. Mit einem Traktor und einer Kleinballenpresse führte er zunächst Lohnarbeiten durch, während er hauptberuflich als Mechaniker und Chauffeur tätig war. Über die Jahre wuchs das Unternehmen kontinuierlich.

Im Jahr 2020 übernahm mit Michael Stieger die zweite Generation die Geschäftsführung. Heute ist «Stieger Lohnunternehmen & Milchtransporte AG» ein florierender Familienbetrieb. 18 Vollzeit- und 15 Teilzeitangestellte sind täglich im Einsatz.

Mit 6 Sammel-LKWs und drei grossen Anhängern werden rund 300 Landwirte im Rheintal, im Toggenburg und im Appenzellerland angefahren. Dabei kommen täglich be­eindruckende 220’000 Liter Milch zusammen. rar

Das Wetter heute in

Lesershop

Hier gehts zum Lesershop

Umfrage

Setzt Ihr auf Natursprung?

37.2 % Ja, ausschliesslich
17 % Nein, nie
25.5 % Ja, je nach Kuh
11.7 % Ja, als letzte Chance (wenn KB mehrfach erfolglos)
8.5 % Manchmal

Teilnehmer insgesamt 94

Zur aktuellen Umfrage

Bekanntschaften

Suchen Sie Kollegen und Kolleginnen für Freizeit und Hobbies? Oder eine Lebenspartnerin oder einen Lebenspartner?