
Auf der Alpage de Neuvaz melken Michel Grivel und Melkerin Lucie Delhomme etwa 170 Saanenziegen.
Christian Zufferey
Je etwa die Hälfte der rund 2’000 Einwohnerinnen und Einwohner lebt in der Schweiz und in Frankreich. Es ist der Bergbach La Morge, der St-Gingolph halbiert. In einem Schloss aus dem 16. Jahrhundert befindet sich die Gemeindeverwaltung des im Wallis gelegenen Dorfteils, die Dorfkirche steht im französischen Département Haute-Savoie. Ebenso der Friedhof.
Das führt dazu, dass St-Gingolph den Nationalfeiertag traditionell zweimal feiert – mit Beteiligung der jeweils anderen Hälfte der Bevölkerung, die in binationalen Vereinen aktiv sind. So zelebrierten sie am Vorabend des 14. Juli die französische «Fête nationale» und keine drei Wochen später den 1. August.
Buvette bleibt geöffnet
Für Michel Grivel, der von der Burgergemeinde St-Gingolph die in Frankreich gelegene Alpage de Neuvaz pachtet, bedeutete das, dass seine Buvette geöffnet blieb. Der 14. Juli fiel dieses Jahr auf einen Montag – und montags und dienstags bleibt die Buvette normalerweise zu. Es sind «Tage, die dem Zäunen und der Pflege der Alp gewidmet sind», steht auf einem Schild vor der Buvette. Auf der Alpage de Neuvaz werden Ziegen, Mutterkühe und Jungvieh gesömmert. Das Jungvieh und die Ziegen gehören seiner Familie.
Grivel wohnt in St.-Paul-en-Chablais, etwa drei Kilometer südlich von Evian-les-Bains (F). Auf der Ferme du Noyer befinden sich 95 Milchkühe, deren Milch in der eigenen Käserei unter anderem zum AOP-geschützten Abondance-Käse verarbeitet wird. Auf der Alp wird Ziegenkäse produziert. Die 170 Saanenziegen werden von Lucie Delhomme, einer von vier Angestellten, in einem mobilen Melkstand gemolken. Derselbe Melkstand wird im Winter auf dem Heimbetrieb genutzt.

Der Bergbach und eine Brücke teilen das Dorf in eine schweizerische (rechts) und eine französische Hälfte.
Christian Zufferey
Wolf sorgt für Herausforderungen
«Zu unseren grössten Herausforderungen zählen Wölfe», klagt Michel Grivel. «Im Sommer 2023 haben sie unsere Ziegen 18-mal attackiert.» Zwar sei es ihm und seinen Hirten inzwischen erlaubt, sich gegen angreifende Wölfe unter bestimmten Voraussetzungen zu verteidigen. «Es müssen mindestens zwei Massnahmen, um unsere Herden zu schützen, ergriffen werden.»
Er setzt auf ständige Behirtung, elektrische Zäune, und er holt seine Ziegen nachts in den Stall, wo sie sich auch während der Hitze des Nachmittags aufhalten. Der Mittelpunkt der Alpage de Neuvaz liegt auf rund 1’500 Meter über Meer. Dass er im letzten und in diesem Sommer bislang keine Schäden zu beklagen hat, führt er auf die Schweiz zurück.

Die Buvette auf der Alpage de Neuvaz oberhalb von St-Gingolph dient Familie Grivel, die in St-Paul-en-Chablais einen Hofladen betreibt, auch der Imagepflege.
Christian Zufferey
Davon, dass im Wallis seit dem 1. Dezember 2023 Wölfe präventiv reguliert werden dürfen, profitieren auch die grenznahen Alpen in Frankreich. «Der Wolf muss lernen, den Menschen als Gefahr wahrzunehmen.»
Als nicht praktikabel sieht er Herdenschutzhunde. «Um 170 lebhafte Ziegen zu schützen, wären zehn Hunde nötig», schätzt Grivel. Doch das ginge aufgrund der vielen Wanderer nicht, die häufig unterwegs sind und auf die Grivel angewiesen ist. Zwar ist die Alpage de Neuvaz praktisch nur zu Fuss erreichbar oder mit einem Geländefahrzeug, weshalb Wanderer nur wenig Frischkäse und Joghurts kaufen. Dafür hat seine Alp-Buvette eine umso grössere Bedeutung.

Michel Grivel hinter dem Melkstand für seine Ziegen, den er im Winter auch auf dem Heimbetrieb in St-Paul-en-Chablais nutzt.
Christian Zufferey
Käse wird ins Tal gebracht
Wo Grivel – auch an den Nationalfeiertagen – selbst in der Küche steht, um die in der Region typische Tartiflette zu kochen. Sie wird in riesigen Pfannen zubereitet, wobei Kartoffeln (im savoyischen Dialekt Tartiflâ) und der in der Region typische und ebenfalls AOP-zertifizierte Weichkäse Reblochon die Hauptbestandteile bilden. «Wer auf unserer Alp mit eigenen Augen sieht, wie wir unsere Tiere halten, ist eher geneigt, Käse einzukaufen.»
Viele seiner Produkte verkauft er auf seinem Hof in St.-Paul-en-Chablais. Auch den Ziegenkäse von der Alp, der im Keller auf dem Heimbetrieb gepflegt wird und reift. «Wir bringen den Käse, den wir auf der Alp produzieren, zweimal wöchentlich hinunter.» Ausser im eigenen Laden verkauft Grivel seinen Käse auch auf Märkten und in sieben Lebensmittel-Boutiques im gesamten französischen Chablais, das heisst im Gebiet zwischen den beiden Kantonen Wallis und Genf.