Der Wolf hinterlässt mit dem Töten der Tiere nicht nur einen materiellen Schaden. Er löse damit auch Existenzängste aus, schreibt die «Berner Zeitung» in einem Bericht über die Begegnung von Bauern mit Wölfen. Das dürfe man nicht ignorieren, heisst es weiter.
Andri Kober, Präsident des bäuerlichen Sorgentelefons kennt diese Ängste, mit denen sich Bäuerinnen und Bauern. Der Herdenschutz mit Zäunen und Hunden sei aufwendig. Und darauf, dass die Entschädigungen der öffentlichen Hand wirklich fliessen, mögen nicht alle vertrauen. Kober erzählt gegenüber der Zeitung von einem Bauernpaar, das noch Wochen nach einer Konfrontation mit einem Wolf von diesem traumatischen Ereignis geplagt wurde.
Aufgeschreckte Kühe
Es ist Mitten in der Nacht. Ein Bauer hat seine Tiere am am Abend zuvor in den Stall gebracht. Es war ein anstrengender Tag. Doch jetzt ist alles so wie es sein soll. Die Nachtruhe ist wohlverdient. Das Ehepaar legt sich schlafen und finde schon bald den erholsamen Schlaf.
Doch plötzlich wird das Ehepaar von einem markerschütternden Lärm aus dem Schlaf gerissen. Die Kühe im Stall brüllen als würden sie gleich aufgespiesst. Panische Angst macht sich auch im Schlafzimmer breit. Und der erste Gedanke des Ehepaars: hat es der Wolf vielleicht doch geschafft in den Stall vorzudringen? Sind die Kühe jetzt auch im Stall nicht mehr vor diesem Raubtier sicher?
«Bring dich doch nicht unnötig in Gefahr»
Für den Bauern war klar, dass er etwas tun musste. Nicht nur, dass er dieses panische Muhen nicht mehr ertragen konnte, es ging vielleicht auch um das Leben seiner Kühe. Also griff er mutig und tatkräftig nach seinem Karabiner-Gewehr und schien bereit, sich mit der vermeintlichen Gefahr zu konfrontieren.
Seine verängstige Frau flehte ihn an, sich doch nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Doch der Bauer liess nicht ab von seiner Absicht nach dem Rechten schauen zu wollen. Man kann sich die bangen Minuten vorstellen, welche die verängstige Frau um die Sorge um ihren Mann hat ausstehen müssen. Wie Stunden müssen ihr diesen kurzen Momenten vorgekommen sein, in denen sie sorgenvoll auf die Rückkehr ihres Mannes ausgeharrt hat.
Doch ihr Mann kam unverletzt zurück und durfte ihr sogar berichten, dass auch den Tieren nichts geschehen sei. Auch der erleichterte Seufzer kann man sich vorstellen, denn die Frau in diesem Moment ausgestossen haben mag, ausgelöst durch den riesigen Felsbrocken, der ihr vom Herzen gefallen sein muss. Auch das Brüllen der Kühe hat aufgehört. Und die gewohnte Nachtruhe kehrt wieder ein.
Andri Kober vom bäuerlichen Sorgentelefon weiss um die Existenzängste in Zusammenhang mit dem Wolf.
Barbara Schwarzwald
Bauern hat nur noch geweint
An Schlaf hat das Ehepaar in dieser Nacht aber lange nicht denken können. Und tatsächlich sah das Ehepaar am nächsten Morgen ihre Vermutung bestätigt. Es waren Wölfe, die die Kühe dermassen erschreckt haben. Doch in diesem Fall nicht, weil sie die Kühe reissen wollten. Statt dessen fanden sie am nächsten Morgen vor dem Haus den Kadaver einer Leitwölfin, wie sie später von der Polizei erfahren haben. Die Wölfin sei in der Nacht von einem Rudel konkurrierender Jungwölfe angegriffen und schliesslich getötet worden.
Die Wölfe haben in diesem Fall glücklicherweise also weder Mensch noch Hoftiere, weder verletzt noch getötet. Doch mit dieser – trotz der widrigen Umstände – erfreulichen Nachricht war dieses Erlebnis für das Bauerehepaar noch lange nicht zu Ende. Noch Wochen später haben sie es nicht geschafft, den Vorfall richtig in Worte zu fassen, berichtet die «Berner Zeitung» weiter. «Er konnte kaum reden, und sie hat nur geweint», erinnert sich Andri Kobi vom Sorgentelefon.
Ein solches Bild von gerissenen Schafen in Wirklichkeit sehen zu müssen, kann ein traumatisches Erlebnis sein.
Glarner Bauernverband
Tiefe Spuren
Die Tatsache, dass sich der Wolf in einigen Kantonen der Schweiz immer weiter breit macht, bekomme auch das bäuerliche Sorgentelefon zu spüren. «Wir suchen im Moment den richtigen Umgang mit dem Thema», sagt Kober. Kober ist neben seiner Tätigkeit beim Sorgentelefon auch Pfarrer, Mediator und Mitarbeiter eines Teams, das Menschen in akuten Krisen seit Jahren beisteht.
Er kennt sich also aus mit Erfahrungen, die unser Leben schlagartig verändern können. Eine Begegnung mit einem Wolf und die ständige Angst vor ihm, würden tiefe Spuren in unserer Seele hinterlassen, führt der Seelsorger weiter aus. Er berichtet von einem anderen Fall.
«Macht das alles überhaupt noch Sinn»?
Eine Bäuerin hätte die Telefonseelsorge kontaktiert, weil deren Mann eine direkte Begegnung mit dem Wolf gehabt hätte. Der Mann war auf der Alp und hätte letzte Vorbereitungen für die Sömmerung getroffen. Da stand dem Mann plötzlich ein knurrender Wolf gegenüber. Als die Frau dann auf die Alp fuhr, um mit ihrem Mann über dieses Erlebnis zu reden, hätte sie ihn völlig teilnahmslos am Tisch sitzen sehen. Und er sagte zu ihr: «Macht das alles überhaupt noch Sinn?».
Kober vom Sorgentelefon könne diese Reaktion sehr gut nachvollziehen. «Landwirtinnen und Landwirte sind mit Leib und Seele bei der Sache und nehmen lange Arbeitstage von frühmorgens bis spätabends ohne Wenn und Aber in Kauf», sagt er. Und jegliche Art von Bedrohung in ihrem bäuerlichen Alltag würde nicht nur ihren Beruf, sondern auch ihr ganzes Sein infrage stellen.
Sorgentelefon bietet Unterstützung
Die Gefahr, dass die Betroffenen aus einer Begegnung mit dem Wolf ein Trauma davontragen, halte Seelsorger Andri Kober für sehr real. Die Betroffenen würden sich zurückziehen, würden von Albtraumbildern regelmässig aus dem Schlaf gerissen. Der Seelsorge rät in solchen Situationen, sich beraten zu lassen. «Sobald sie das gerissene Tier nicht mehr aus dem Kopf, das panische Schreien nicht mehr aus den Ohren bekommen, sollten sie Hilfe holen» rät Kober.
Eine solche Begegnung mit einem Wolf würde Urängste auslösen, die wir seit jeher mit uns herumtragen würden. Das Sorgentelefon werde zurzeit zwar nur gelegentlich mit solchen Anfragen konfrontiert, schreibt die «Berner Zeitung», doch sei es vorbereitet, in solchen Situationen unterstützend zur Seite zu stehen.
Das bäuerliche Sorgentelefon ist drei Mal in der Woche besetzt. Sie können sich auch via E-Mail beraten lassen.
In einem anderen Artikel vom «Schweizer Bauer» lesen Sie , wie die Präsenz von Wölfen auf der Alp einer Bäuerin Sorgen bereitet.
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