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Urs Niggli, Direktor FiBL: «Ein erster und administrativ ganz einfacher wäre die Einführung einer Steuer auf Pflanzenschutzmittel, Handelsdünger und Energie.»
Der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), Prof. Urs Niggli, äussert sich in einem Interview über eine nachhaltige Ernährungspolitik, die Weiterentwicklung des Biolandbaus und eine optimierte Gesundheitsvorsorge
Agra-Europe: In Ihren Vorträgen sprechen Sie davon, dass es einen Systemwechsel in der Landwirtschaft geben muss. Wo sehen Sie die Fehlentwicklungen des jetzigen Systems?
Urs Niggli: Dass sich was ändern muss, sagen mittlerweile alle. Die Landwirtschaft hat äusserst erfolgreich die Produktivität gesteigert und die Skaleneffekte genutzt. Das hat die vor- und nachgelagerten Branchen reich gemacht und den Konsumenten billigste Lebensmittel beschert. Die Bauern als Berufsstand sind dezimiert worden. Es ist neben erfolgreichem Unternehmertum auch viel wirtschaftliches und soziales Elend zu beobachten. Richtig
in Bedrängnis geraten sind aber die natürlichen Produktionsgrundlagen wie der Boden, die natürliche Vielfalt, das Klima, das Wasser und die Tiere.
Wie sollte also ein Systemwechsel aussehen?
Die biologische Landwirtschaft hat deshalb Erfolg, weil sie auf all diese Entwicklungen bessere Lösungen anbietet. So sieht ein guter Systemwechsel aus. Andere gute wissenschaftliche Ideen wie die integrierte Produktion, an der ich auch vor 35 Jahren arbeitete, haben die Landwirtschaft zu wenig verändert. Heute gibt es viele spannende neue Ideen unter dem Stichwort Agrarökologie, welche gleiche Ziele und Methoden wie der Biolandbau haben. Sie basieren nicht auf einer strengen Zertifizierung und lassen es deshalb zu, dass der Landwirt im Notfall auch konventionelle Mittel und Massnahmen einsetzen kann. Eine wachsende Bedeutung haben Nachhaltigkeitsbewertungsmethoden. Damit wird qualitativ und quantitativ gemessen, wie weit ein Betrieb bei zahlreichen ökonomischen, ökologischen und sozialen Indikatoren wirklich nachhaltig ist und ob der Betrieb gut geführt ist. Dies ist aber genauso aufwändig wie eine Biokontrolle. Beide Entwicklungen – Agrarökologie und Nachhaltigkeitsbewertung – bilden zusammen mit dem Ökolandbau die Zukunft.
Was muss sich Ihrer Ansicht nach ausserhalb der Landwirtschaft ändern, um das Ziel eines zukunftsfähigen Ernährungssystems zu erreichen?
Ich vertrete die nicht populäre Meinung, dass die Lebensmittel zu billig sind. Vermutlich dürfte der heutige Preis von Bioprodukten etwa einem realistischen Preis für eine umweltgerechte Erzeugung entsprechen, welche auch auf das Wohl der Tiere Rücksicht nimmt. Häufig heisst es, dass sich aber nur der Mittelstand diese Preise leisten kann. Aber man darf doch nicht Sozialpolitik auf Kosten der Umwelt machen. Es passiert nur etwas, wenn die EU und nationale Regierungen die eklatanten Widersprüche zwischen der Landwirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitspolitik auflösen. Die Landwirtschaft verursacht hohe Reparaturkosten an der Umwelt, welche uns beispielsweise beim Klimawandel und bei der Biodiversität noch teuer zu stehen kommen werden. Und die billige Fleischproduktion lässt die Gesundheitskosten explodieren. Die Landwirtschaft ist so produktiv geworden, dass wir es uns leisten können, 30 bis 40 Prozent des Geernteten wegzuschmeissen. Das hat einen Produktionswert von 900 Mrd. Euro (1’053 Mrd. Fr.) und soziale und ökologische Folgekosten von 1’300 Mrd. Euro (1’521 Mrd. Fr.) jährlich, weltweit.
Wie kann die Politik diese Widersprüche auflösen?
Diese Kongruenz in der Politik kann mit kleinen Schritten angestrebt werden. Ein erster und administrativ ganz einfacher wäre die Einführung einer Steuer auf Pflanzenschutzmittel, Handelsdünger und Energie. Das lenkt die Entscheide der Landwirte und entlastet die Umwelt. Auch in der Revision der Gemeinsamen Agrarpolitik haben wir ein Lenkungspotential von 54 Mrd. Euro – nutzen wir das doch. Und man sollte auch konsequent fett- und zuckerreiche Lebensmittel besteuern. Sich ungesund ernähren, sollte richtig teuer sein, weil die medizinischen Folgekosten sonst enorm hoch sind. Solche Dinge können, wie das Beispiel Dänemark zeigt, nur europaweit gelöst werden, sonst gehen die Konsumenten über die Grenze einkaufen. Begleitet muss das sein durch eine frühe Schulung in gesunder Ernährung und eine ausgezeichnete Ernährungsberatung. Jeder möchte eigentlich jung, schlank und gesund sein, auch noch mit 60. Also statt teure Reparaturmedizin im Alter, umfassende Ernährungsbildung in der Jugend.
Unter welchen Vorzeichen halten Sie es für realistisch, dass sich die Gewohnheiten der Konsumenten ändern?
Die Konsumenten sind heute schon gut informiert. Gutes Essen, Sport und Gesundheit haben einen hohen Stellenwert. Wenn auch noch die wirtschaftlichen Anreize, wie oben beschrieben, dazukommen, wird das eine grosse Wirkung haben. Aber wir müssen auch mit technischen Lösungen weiter kommen. In der EU-Forschung wird die individualisierte Ernährung entwickelt, so dass das Display auf dem Einkaufswagen im Supermarkt uns sagt, ob wir richtig oder falsch einkaufen, abhängig von der erblichen Disposition, dem Lebenswandel und dem Gesundheitszustand. Oder wie wir den Wertstoff Lebensmittelabfälle zum Beispiel über Insektenzuchten zu hochwertigen Lebens- und Futtermitteln veredeln können, ist ein technologisches Problem, das wir ohne weiteres lösen können. Es fehlt da an Forschung und an Fachleuten.
Sie sehen den Ökolandbau als System der Zukunft. Hat dieses System auch Grenzen?
Der Biolandbau ist sehr dynamisch und meist auch erfrischend pragmatisch. Deswegen kann er heute auch Ziele wie 20% Land- und 10% Marktanteil in Europa so locker angehen. Es gibt aber auch weisse Flecken, über die man nicht gerne diskutiert. So können die gegenüber der Intensivlandwirtschaft deutlich tieferen Erträge nicht einfach durch höhere Erträge des Biolandbaus bei den Subsistenz- oder Selbstversorgerlandwirten in Subsahara- Afrika kompensiert werden. Dort zeigen Fallstudien, dass man mit Bio die Erträge verdoppeln kann. Aber die Mehrheit dieser Betriebe weiss nichts oder will nichts vom Biolandbau wissen. Oft ist es sehr schwierig, genug Humus für den Bodenfruchtbarkeitsaufbau zu finden und die geologisch alten Böden haben einen Phosphormangel. Zudem ist die biologische Bekämpfung von Krankheiten und Schädlingen wissensintensiv und die tollen Methoden wie Push & Pull funktionieren gegen vieles nicht.
Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Angriffspunkte jetzt und in naher Zukunft, um den Biolandbau sinnvoll weiterzuentwickeln?
Der Biolandbau ist vorläufig noch die perfekte Nischenstrategie. Will man daraus eine globale Ernährungsstrategie machen, braucht es eine enorme technische Entwicklung. Das traue ich dem Ökolandbau zu, aber dazu müsste man die ökologisch sinnvollen Innovationen in der Pflanzenzüchtung zu nutzen lernen. Ein weiteres Problem ist, dass eine starke Ausdehnung des Biolandbaus – was gut für die Umwelt wäre – nur in Kombination mit einer Beschränkung des Fleisch- und Eierkonsums und einer Reduzierung der Lebensmittelverschwendung funktioniert. In unserer Nature Communication Studie haben wir 2017 zwar berechnet, dass die Menschheit im Jahr 2050 bei einer Halbierung sowohl der Futtergetreidefläche als auch der Lebensmittelabfälle auch biologisch ernährt werden könnte. Und dies, ohne mehr Land unter den Pflug zu nehmen. Was aber tun, wenn diese Suffizienz- Strategie der Mäßigung einfach nicht funktioniert?
Gibt es denn noch andere Baustellen?
Wo ich auch Handlungsbedarf sehe, ist bei der Qualitätskontrolle. Bio ist in den letzten 30 Jahren ein grosser globaler Markt geworden, aber die Kontrollstellen arbeiten immer noch so wie damals. Die Blockchain-Technologie könnte die Sicherheit der Zertifikate massiv verbessern, und modernste Analytik würde den Anbau- und Verarbeitungsprozess besser und objektiver dokumentieren als Selbstaufzeichnungen der Akteure. Der Forschungs- und Entwicklungsbedarf des Biolandbaus wurde in der Forschungsstrategie der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) sehr detailliert dargestellt.
Was entgegnen Sie zu der Aussage, dass der Biolandbau der Nahrungsmittelanbieter der Reichen ist, der von den Ärmeren über Steuern mitfinanziert wird?
Die Zahlungen an die Biobetriebe machen nur einen kleinen Teil aller direkten und indirekten Unterstützungsmassnahmen an die Landwirtschaft aus. Konventionelle Landwirte verursachen zusätzlich noch hohe Umweltkosten, auch solche, die der Steuerzahler heute schon berappt, wie die Aufreinigung
von sauberem Trinkwasser. Der Biolandbau dürfte den Steuerzahler auf die Dauer sehr günstig zu stehen kommen.
Ist der Biolandbau nicht auf die konventionelle Landwirtschaft angewiesen, damit der Schädlingsdruck nicht zu hoch wird?
Nein, der Biolandbau funktioniert auch grossflächig sehr stabil. Die Biolandwirte haben vielfältigere Fruchtfolgen, Mischkulturen und robustere Sorten.
Wie bewerten Sie die neue EU-Bioverordnung?
Mit dem erfolgreichen Abschluss des Trilogs haben sich alle wieder beruhigt. Es geht jetzt nicht mehr um politische Forderungen, wo jede Seite so hoch wie möglich pokert. Jetzt kommen die geschickte Umsetzung der nachgelagerten Rechtsverordnungen und viele Detailregelungen. Die Kommission will dabei eng mit dem Sektor zusammenarbeiten. Ich bin überzeugt, wir werden am Schluss eine gute, nein, eine bessere Verordnung haben.
Worauf sollte Ihrer Ansicht nach bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik die Priorität liegen?
Das wichtigste wäre, die jährlich 54 Mrd. Euro (63 Mrd. Fr.) wirkungsorientiert auszubezahlen, so wie es bei der letzten Reform schon ansatzweise angedacht war, aber leider scheiterte. Man könnte in kurzer Zeit eine grosse Hebelwirkung zugunsten von gesellschaftlichen Zielen beobachten. Die Wissenschaft und die Beratung haben Methoden entwickelt, wie sie einen landwirtschaftlichen Betrieb innert wenigen Stunden analysieren können, wie weit er von einer ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit entfernt ist und wie gut der Betrieb geführt ist. Es ist also heute möglich, öffentliche Gelder nur für öffentliche Güter einzusetzen. Damit lässt sich gleichzeitig Innovation und Unternehmertum in der Landwirtschaft fördern. Das muss das Ziel der Agrarpolitik nach 2020 sein.