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Andreas Fischlin gibt Einblicke in seine Arbeit für den Weltklimarat. Er war dem Forum virtuell zugeschaltet. -
Der erste Tag als Visualisierung. -
Das Agrarpolitik Forum ist der Treffpunkt zu agrarpolitischen Fragen.
Das diesjährige Agrarpolitik-Forum an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (Hafl) widmete sich dem Klimawandel und der Landwirtschaft von morgen. «Klimapolitik – Die Landwirtschaft von morgen gestalten», lautete das Thema des diesjährigen Agrarpolitik-Forums an der HAFL in Zollikofen.
Das Agrarpolitik-Forum ist der Treffpunkt zu agrarpolitischen Fragen. Die Keynote-Referate am ersten Forums-Tag standen unter dem Motto «Erkenntnisse, Standpunkte und Forderungen».
„Klimaerwärmung in der Schweiz doppelt so hoch“
Andreas Fischlin, emeritierter Professor der ETH Zürich und Mitglied in einer Arbeitsgruppe des Weltklimarates, eröffnete diesen Programmpunkt. Er war dem Agrarpolitik-Forum virtuell zugeschaltet und zeigt als Einstieg einen kurzen, aber eindrücklichen Film zur globalen Erwärmung ab 1880.
Fischlin betont dabei, dass die Klimaerwärmung in der Schweiz im globalen Vergleich doppelt so hoch sei. «Die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft verursachen einen grossen Teil dieser Erwärmung. Gleichzeitig sind diese Bereiche dadurch aber auch selber gefährdet», erklärt Fischlin das Dilemma.
Land- und Ernährungswirtschaft Hauptproblem
Aus dem Sonderbericht des Weltklimarates geht laut Fischlin klar hervor, dass das Hauptproblem bei den Treibhausgas-Emissionen – verursacht durch die Land- und Ernährungswirtschaft – liegt. Der Agrarsektor ist dabei zu 23% für die Netto-Emissionen verantwortlich, die Ernährungswirtschaft zu 21 bis 37% – je nach Berechnungsart.
Zu denken gebe dabei vor allem auch, dass 25 bis 30% der global produzierten Lebensmittel verlorengehen, also unter die Rubrik «Food Waste» fallen, sagt Fischlin. Gleichzeitig werden Witterungs-Extreme häufiger. Als Beispiel führt Fischlin den Rekordsommer 2003 und das Rekord-Hitzejahr 2018 an. «Dies alles zeigt: eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber viele Schwalben schon», sagt Fischlin.
Ambitiöser Klimaschutz nötig
Wenn am aktuellen Trend nichts verändert wird, haben wir bis 2040 eine globale Erwärmung von 1,5 Grad erreicht, so Fischlin. Was das genau bedeutet, veranschaulicht er folgendermassen: bei 2 Grad Erderwärmung wäre jedes Jahr so heiss wie 2018. Mit einem ambitiösen Klimaschutz könnte es jedoch möglich sein, die 2 Grad-Grenze nicht zu überschreiten, sagt Fischlin. Dies sei auch im Pariser Abkommen festgehalten worden.
Das Ziel laute klar: «CO2-Emissionen weltweit in 30 Jahren auf Netto Null bringen», so Fischlin. Dies sei aber nur mit dem Einsatz und weiteren Ausbau von alternativen Energien wie Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft sowie Biomasse-Anlagen zu erreichen und beinhalte, dass ab 2030 ein massiver Rückgang bei den fossilen Treib- und Brennstoffen verzeichnet werden müsse.
«Das kann nicht der Weg sein»
«Aktuell ist ein sehr interessanter politischer Prozess im Gang», leitete Christian Hofer, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) sein Referat ein. Die Landwirtschaft trage eine grosse Mitverantwortung in Sachen Klimawandel und leide gleichzeitig auch darunter. Man dürfe dabei nicht vergessen, dass unser Pro-Kopf-Konsum an Lebensmitteln in den letzten Jahren enorm gestiegen sei. Dabei stamme ein Drittel aus dem In-, zwei Drittel aus dem Ausland.
Aktuell sei das zweite CO2-Gesetz in Kraft, welches einen Rückgang des CO2-Ausstosses um 20% verlange. Dabei habe es bisher noch keine verbindlichen Klimaziele für die Landwirtschaft gegeben. Klar war bisher nur, dass etwas geschehen muss. Damit etwas geschehe, müssten alle beteiligten Akteure aus Forschung, Beratung, Verwaltung und Praxis eng zusammenarbeiten, sagt Hofer.
Bis 2050 Ziel Klimaneutralität
Bis 2030 lautet das Ziel, den CO2-Ausstoss zu halbieren. Der AP22+ komme dabei die Aufgabe zu, Anreize zu schaffen und verbindliche Vorgaben zu erarbeiten, sagte Hofer. Bis 2050 müsse die Schweiz klimaneutral sein. Das bedeutet auch, dass Tiere und Pflanzen indes robuster und trockenheitsresistenter werden müssen.
Dazu brauche es effektivere Bewässerungssysteme und Bodenverbesserungsmassnahmen, so Hofer. Auch die Ernährungspolitik, die mit der Landwirtschaft Hand in Hand gehe, müsse klimafreundlicher werden. «Die Rechnung geht nicht auf, wenn wir weiter pro Kopf und Woche ein Kilogramm Fleisch essen, aber gleichzeitig die Tierbestände reduzieren müssen», sagt Hofer. Dies würde höchstens eine noch stärkere Verlagerung auf Importfleisch bedeuten. «Das kann nicht der Weg sein».
Klimastreik als mögliche Lösung
Den Abschluss der Key Note-Referate bestritt am Donnerstag Lorenz Obrist, Klimaaktivist und Mitglied von Klimastreik Schweiz. Obrist erläuterte die Forderungen des Klimastreiks: Klimanotstand, Netto Null bei den Treibhausgas-Emissionen bis 2030 sowie Klimagerechtigkeit. «Dazu braucht es einen Systemwandel, wenn dies im aktuellen System nicht umsetzbar ist», sagte Obrist. Es seien existenzielle Forderungen, die der Klimastreik habe, es gehe letztendlich um unsere Zukunft. «2030 ist schon sehr bald – die Zeit rennt uns davon», so Obrist.
Erfahrungen aus dem In- und Ausland
Am zweiten Forumstag eröffnete Guillaume Gruère die Keynote-Referate, die unter dem Motto «Erfahrungen aus dem In- und Ausland» standen. Er ist leitender Politikanalyst der Direktion für Landwirtschaft und Handel bei der OECD, war aus Paris zugeschaltet und zeigte den internationalen Stand der Dinge bezüglich Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft und kommende Schritte auf.
So steigen in der Mehrzahl der OECD- und Schwellenländer die Emissionen pro Hektar weiter, jedoch langsamer als die landwirtschaftliche Produktivität. Zudem haben bereits einige OECD-Länder Ziele für die Landwirtschaft vorgegeben, um die Emissionen zu mindern. Nur Irland und Neuseeland haben aber laut Gruère rechtsverbindliche Ziele zur Reduktion der Emissionen festgeschrieben.
Informieren
Als Möglichkeiten zur Emissions-Reduktion sieht Gruère unter anderem die Reform von Regelungen, die Preise verzerren und zur Erhöhung der Emissionen beitragen. «Die Stützungen, welche die grössten Marktverzerrungen verursachen, sind auch jene mit den negativsten Umwelt-Wirkungen», so Gruère.
Aber auch die Konsumenten sollen ihren Beitrag leisten. Sie und die Produzenten sollen gemäss Guillame Gruère vermehrt über die Auswahl von Lebensmitteln und Möglichkeiten zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen informiert werden. Gruère ist überzeugt, dass die Regierungen trotz der Fortschritte in diversen Ländern ihre Bemühungen verstärken müssen.
„Zeit der Bescheidenheit ist vorbei“
«Die Uhr läuft: Schluss mit der Bescheidenheit!» nannte Regine Künast ihr Referat. Online zugeschaltet aus Berlin plädierte die ehemalige deutsche Agrarministerin der Grünen für ein konsequentes Handeln. Ihrer Ansicht nach muss rasch gehandelt werden, um innert nützlicher Frist tatsächlich Resultate zu erhalten.
Bescheiden dürfen die Forderungen gemäss Künast nicht mehr sein, wolle man das Schlimmste verhindern. Die Bäuerinnen und Bauern täten gut daran, Massnahmen zu ergreifen. Denn ohne solche könne man in einigen Jahrzehnten gar keine Landwirtschaft mehr betreiben. Dürrejahre seien ja jetzt schon der Normalzustand, so Künast.
Städte ins Visier nehmen
Sie wehrt sich deshalb gegen eine «Pflästerlipolitik», die aus diversen Einzelmassnahmen besteht und verlangt, dass in der Agrarpolitik die finanzielle Unterstützung des alten Systems eingestellt wird. Vielmehr sollen die Gelder helfen, eine klimaschonende Landwirtschaft zu ermöglichen. Für Künast ist klar, dass eine ökologische Landwirtschaft nur funktionieren kann, wenn die Bäuerinnen und Bauern davon auch leben können.
Ein Dorn im Auge ist der Politikerin auch die ungesunde Ernährung, sie verlangt unter anderem eine Zuckersteuer. Und sie fordert die Städte auf, zu reagieren: «Wir müssen die Städte ins Visier nehmen und die Ernährungsumgebung ändern. Was kommt einem in der Stadt als erstes entgegen: Süssigkeiten und Fast Food.»
Negative Effekte für Landwirtschaft überwiegen
Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Schweizer Landwirtschaft. Welche das sind, zeigte SBV-Direktor Martin Rufer auf. Einigen positiven Effekten – längeren Vegetationszeiten und kurz- bis mittelfristig besseren Erträgen beim Futterbau – stehen zahlreiche negative Effekte gegenüber.
Dazu zählen ein höherer Bewässerungsbedarf, bessere Bedingungen für Schädlinge, Wasser -und Futterengpässe oder tiefere Qualität und Erträge bei Kulturen, die anfällig auf Trockenheit reagieren. Rufer erklärte, dass die Landwirtschaft den Ausstoss von Treibhausgas-Emissionen seit 1990 bereits um gut 11 Prozent reduziert habe. Grosse Reduktionen ohne eine tiefere Nahrungsmittelproduktion seien jedoch schwierig, so Rufer.
Landwirtschaft produziert Strom
Es gebe aber eine Vielzahl landwirtschaftlicher Klimaschutzmassnahmen, etwa klimafreundliche Milch oder Programme zum Klimaschutz auf Betriebsebene wie bei IP-Suisse. Und bereits heute produziert die Landwirtschaft 75 Prozent des verbrauchten Stroms selbst. «Das Potenzial, mehr als den eigenen Verbrauch zu produzieren, ist gross», so Rufer.
Der Bauernverband-Direktor hält geeignete Rahmenbedingungen für wichtig, mit denen Klimaschutzmassnahmen wirtschaftlich umgesetzt werden können. Zudem müsse eine Diskussion über klimafreundliches Konsumverhalten geführt werden, regte er im Ausblick an.
Weitere Informationen finden Sie unter Agrarpolitik-Forum