Dienstag, 30. Mai 2023
07.09.2019 06:02
Betriebsführung

Mit Leidenschaft dabei

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Von: Melina Gerhard, lid

Ohne Innovationen in der Land- und Ernährungswirtschaft können die politischen Ziele gemäss Bundesverfassung nicht erreicht werden. Oftmals behindern aber politische Rahmenbedingungen Innovationen in der Branche. Wie kann die Politik Innovationen im Agrarsektor eine Chance geben?

Am Schweizer Agrarpolitik Forum stand die Förderung von Innovationen in der Agrarbranche im Zentrum der Diskussion. Jean-Marc Chappuis, Leiter Wissenssysteme, Technologie und Internationales beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), zeigte sich bei seiner Rede sicher, dass nur eine Kombination von Massnahmen zum Erfolg führen kann. Einerseits schaffe die Schweizer Agrarpolitik Handlungsspielräume und ermögliche somit Diversität. Gleichzeitig fördere sie Innovationen subsidiär.

Agrarpolitik projektorientiert 

Um dem Verfassungsartikel über die Landwirtschaft (Artikel 104) gerecht zu werden, müsse man sich fragen, ob die künftige Agrarpolitik eher in Form von Zielen als in Form von Massnahmen Anreize schaffen soll. Die heutige Agrarpolitik sei eher projektorientiert als betriebsorientiert.

Beratung, Forschung, Ressourcenprogramme, Strukturverbesserungen und die Verordnung über die Förderung von Qualität und Nachhaltigkeit in der Land- und Ernährungswirtschaft (QuNaV) bilden zurzeit Förderinstrumente der Agrarpolitik. Die Frage, ob Innovationsanreize angesichts des hohen staatlichen Stützungsniveaus überhaupt wirken, sei laut Chappuis eine Grundsatzfrage, die immer wieder für Diskussionen sorge. Er plädierte für mehr Dialog und mehr Pilotprojekte in der AP 22+.

Innosuisse: From Science to Market

Zusätzlich zu den laufenden Massnahmen fördert die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung Innosuisse wissenschaftsbasierte Innovationsprojekte. In verschiedenen Projektphasen werden die Initianten unterstützt, beispielsweise mit Mentoren in der Startphase.

Situation in den Niederlanden und Frankreich

Der niederländische Ökonom Krijn Poppe ist sicher, dass die Landwirtschaft in seinem Land hauptsächlich aufgrund der Geschichte der Niederlande so innovativ sei. Um überleben zu können, hätten Landwirte schon früh innovativ sein müssen. Denn die Niederlande waren nie eine Industriemacht. Der Zugang zu Häfen und eine flache, für die Landwirtschaft geeignete Topographie gaben der Landwirtschaft aber von jeher einen Handelsvorteil. Um mehr Innovationen zu fördern, müsse nun die niederländische Agrarpolitik einerseits die Direktzahlungen aufrechterhalten und andererseits die ländliche Entwicklung unterstützen, so Poppe.

Sébastien Roumegous, Co-Gründer von Agrifind und dem Zentrum für Agrarökologische Entwicklung (CDAO), gab Einblicke zur Situation in Frankreich. Er betonte, dass die Landwirte im Herzen der Innovation stehen sollten. Ohne strategisch viel zu ändern, müsse man vermehrt bei ihnen ansetzen, um Veränderung in der Agrarbranche zu bewirken. Die Agrarpolitik könne zwar Geld für Bildung ausgeben, wichtig sei aber ein Wissenstransfer bis zu den Wurzeln. Roumegous erwähnte beispielsweise Lernvideos auf Youtube oder Coaches, die den Landwirten auf dem Feld Unterstützung bieten können.

Aus der Praxis

Regina und Jürg Moser bewirtschaften seit Anfang 2015 einen Pachtbetrieb in Worb BE. Beim Agrarstudium hatte sich das junge Paar (beide Jahrgang 1986) kennengelernt und nachdem klar war, dass die elterlichen Betriebe jeweils von Geschwistern übernommen würden, begaben sie sich auf Hofsuche. Den Hof in Worb übernahmen sie im Wissen, dass der Pachtvertrag nur 12 Jahre dauern würde. Trotzdem setzten sie zahlreiche innovative Ideen um.

Genau das mache die beiden zu einem innovativen Vorzeigepaar, meinte Ernst Flückiger, Betriebsberater am Inforama Rütti in Bern. „Man könnte auch die Arme verschränken und denken, dass man in 12 Jahren eh nicht viel erreichen kann. Es wäre wohl das einfachste, den Betrieb so weiterzuführen wie bis anhin“, so Flückiger. Für Mosers war dies jedoch keine Option. Sie stiegen auf Bio um, gaben nach eineinhalb Jahren die bestehende Milchwirtschaft auf und investierten in Hühner-Häuser für Mastpoulets. Dazu kamen unter anderem der Gemüseanbau und -vertrieb mit eigenem Abo, der Anbau von Teekräutern und aussergewöhnlichen Ackerkulturen wie Mohn und Linsen.

Gute Zusammenarbeit

„Zu Beginn rechnen wir jeweils, ob und wie wir eine Idee in Tat umsetzen können. Dann ziehen wir es durch und schauen, ob es funktioniert“, erzählt Regina Moser. „Jeder Betriebszweig braucht Leidenschaft, das ist das Wichtigste“, fügt Jürg Moser an. Für Regina sei es das Gemüse-Abo, für ihn die Kräuter, die er mit einem Vollernter einbringt. Sie gaben auch schon markttaugliche Betriebszweige auf, weil ihnen der Spass daran fehlte. So zum Beispiel die Freiland-Pilzproduktion.

Ihre Stärken sieht das Paar in der guten Zusammenarbeit und im fachlichen Background, mit dem die Agrarwirtschafterin und der Agronom mit Spezialisierung in Pflanzenbau gerüstet seien. Dabei sei nicht in erster Linie das Fachwissen entscheidend, sondern die Methodik. Neue Herausforderungen geschickt anzugehen und das Risiko zu kalkulieren, das sei der Schlüssel zu ihrem Betriebserfolg. „Mut ist die fehlende Angst vor Konsequenzen“, meint Regina Moser. „Und wenn man gut rechnet, braucht man gar keine Angst vor den Konsequenzen zu haben.“

Cash Cow Mastpoulets

Für das Paar ist klar: es gibt noch unzählige Möglichkeiten, auf Schweizer Bauernhöfen innovative Ideen umzusetzen. „In der Schweiz herrscht hohes Kaufkraftpotential, das müssen wir nutzen“, meint Regina Moser. Als Pächter hatte das Paar keine Starthilfe, auf die sie zählen konnten. Die Mastpoulets dienten als Cash Cow, um Kapital aufzubauen. Limitationen sehen die beiden nicht unbedingt in fehlender finanzieller Unterstützung. Von der Agrarpolitik erhoffen sie sich bessere Rahmenbedingungen, insbesondere auf administrativer und struktureller Ebene.

Als Tipp für andere Betriebsleiter nennt Moser eine gute Organisation. „Wenn man sich einen Angestellten leistet, hat man mehr Zeit um neue Projekte zu realisieren. Mit den Milchkühen waren wir in einem regelrechten Hamsterrad gefangen und hatten kaum Zeit, über die Entwicklung unseres Betriebs nachzudenken“, sagt sie. „Dabei habe ich bereits zu Hause bei meinen Eltern gesehen: etwas aufzugeben ist auch immer ein Neuanfang mit ganz viel Potential.“

Schweizer Agrarpolitik Forum

Das Forum fand dieses Jahr zum zweiten Mal statt. Der Hauptorganisator Martin Pidoux ist mit der diesjährigen Ausgabe zufrieden. „Wir haben viele Feedbacks aus dem letzten Jahr umgesetzt, beispielsweise Politiker eingeladen und so das Forum aktiver gestaltet“, so der Dozent für Agrarpolitik und -märkte an der Fachhochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL).

Die Vision des Anlasses sei eine Art World Economic Forum für die Landwirtschaft auf Schweizer Ebene. „Die Leute sollen wissen, dass jedes Jahr im August an der HAFL über die Agrarpolitik diskutiert wird.“

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