-
BIG-M-Präsident Martin Haab.
Fünf Jahre nach dem Ende der Milchkontingentierung in der Schweiz zieht BIG-M-Präsident Martin Haab eine negative Bilanz. Er prognostiziert der EU eine ähnlich schlechte Entwicklung für den Ausstieg nächstes Jahr.
«Schweizer Bauer»: Fünf Jahre nach dem Ausstieg aus der Milchkontingentierung ist es ruhig geworden. Auch von BIG-M hört man nicht mehr so viel wie früher…
Martin Haab: In den letzten zwölf Monaten war es ruhig im Milchmarkt. Der Grund war aber nicht etwa die neue Führung der Schweizer Milchproduzenten und dass nun alles rund laufen würde, sondern dass der Milchpreis nach oben zeigte und sich die Produzenten in Sicherheit fühlten. In einem solchen Umfeld ist es schwierig, die Leute für Aktionen zu mobilisieren. Es ist aber eine trügerische Sicherheit, wenn man sieht, wie die Schweizer Milchverarbeiter auf die internationale Bewegung vor allem im Milchpulverbereich reagieren. Auch steht in der EU der Ausstieg aus der Kontingentierung bevor. BIG-M hat sich in letzter Zeit deshalb stark mit den Partnerorganisationen auf europäischer Ebene vernetzt. Wir stellen fest, dass in Europa vermutlich die gleiche Misere ablaufen wird.
Das European Milkboard (EMB) hat in einer Studie den Ausstieg der Schweiz aus der Kontingentierung untersuchen lassen. Was ist für Sie das wichtigste Fazit daraus?
Man stellt in dieser Studie offiziell fest, was alles gelaufen ist in den letzten zehn Jahren. Es ist eine gewisse Befriedigung für uns von BIG-M, dass wir die Situation immer korrekt beschrieben haben. Wir haben nicht polemisiert, sondern die Dinge beim Namen genannt. Diejenigen Bauernvertreter und Politiker, welche damals vielleicht blauäugig der Abschaffung der Kontingentierung zugenickt haben, sind von anderen Rahmenbedingungen ausgegangen. Nämlich, dass der Bund sich aktiv für Rahmenbedingungen einsetzt, mit denen die Menge privatrechtlich in den Griff zu bekommen ist. Damals wollte man also eine mengenrelevante Regelung, was aber absolut nicht eingehalten wurde. Die Bauern sind Verlierer des Ausstiegs. Das widerspricht komplett den Versprechungen bei den Beschlüssen zum Ausstieg. Genau das Gleiche wird nun wohl auch bei der Aufhebung der Quoten in der EU abgehen.
BIG-M ist Gründungsmitglied des EMB. Was sagen die europäischen Milchbauern zur Situation in der Schweiz?
Die europäischen Kollegen haben verstanden, dass der Ausstieg aus der Kontingentierung in der Schweiz in einer speziellen Marktsituation erfolgt ist. In der Anfangsphase im Jahr 2007 herrschte eine global gute Situation auf dem Milchmarkt. Erst später verschlechterte sich die Situation auf den internationalen Märkten. In der EU liegen wir momentan bei einem Milchpreis von 41 Cent/kg (51 Rp). Die Anzeichen deuten darauf hin, dass der Milchpreis runtergeht. Wenn sich das jetzt paart mit der Russlandkrise, einer guten Produktion in Ozeanien und einem Anstieg der Milchmenge in Europa nach dem Ausstieg, wird der Milchpreis noch stärker zusammenfallen als bei uns damals. Wenn es in den nächsten Monaten so weiter geht, dann würde ich sagen dass der EU-Milchpreis in einem Jahr bei unter 30 Cent/kg (37 Rp) liegen wird.
Die Studie betont die Uneinigkeit unter den Produzenten. Warum waren sich die Bauern dermassen uneinig?
Es unmöglich, dass die noch rund 23’000 Milchbauern alle mit einer Stimme sprechen können. Wenn es darum geht, solidarische Massnahmen umzusetzen, dann stellt sich das Problem der Trittbrettfahrer, die von der Solidarität ihrer Berufskollegen nur profitieren. Es ist daher verständlich, dass sich immer mehr Bauern aus der Solidarität verabschieden und nur für das eigene Wohl schauen. Dieser Umstand wurde von gewissen Marktakteuren ausgenutzt, welche den Bauern bezüglich Marktchancen für zusätzlich produzierte Milch das Blaue vom Himmel versprachen. Einige Bauern glaubten den Versprechungen und dehnten ihre Mengen aus. Doch der Absatz war zum grössten Teil nicht da. Wenn man sieht, wie diese selbst ernannten Milchpropheten heute den Kopf aus der Schlinge ziehen wollen, dann ist das völlig daneben.
BIG-M kämpfte lange für eine Mengensteuerung. Doch offenbar geht es auch ohne?
Ja, das stimmt. Es hat in letzter Zeit funktioniert, weil es weltweit zu wenig Milch hatte und weil der Milchpreis wieder etwas gestiegen war. Ich muss aber betonen, dass der Milchpreis auch im vergangenen Jahr nicht kostendeckend war. Man hat es in dieser guten Phase auch nicht geschafft, ein Szenario für schlechtere Zeiten zu planen. Die überstürzte Gründung der Lactofama AG, um kurzfristig ein Problem überbrücken zu können, zeigt, dass man erkannt hat, dass wieder schwierigere Zeiten kommen. Damit hat man das jetzige Problem aber nicht gelöst. Die Grundidee der Lactofama ist nicht a priori schlecht. Bewirtschaftet man mit diesem System saisonale Milch- und Fettüberschüsse, so kann das Sinn machen, wir haben jedoch strukturelle Überschüsse, und da taugt diese Vorgehensweise wenig. Wenn dann die Finanzierung wieder über einen flächendeckenden Abzug von 1 Rp./kg für alle Produzenten gehen soll, dann sind wir wieder gleich weit wie vorher, nämlich nirgends.
Ist der Kampf um eine Mengensteuerung verloren, oder könnten verbindliche Lieferrechte in Zukunft wieder aktuell werden?
Der Kampf um die Mengensteuerung wäre eigentlich kein Thema mehr. Wir hätten zwar eine Segmentierung und eine Vertragspflicht. Die Vertragspflicht wäre sogar Bestandteil des Gesetzes. Wenn die Segmentierung und die Vertragspflicht umgesetzt würden und zwar so, dass sie mengenwirksam wären, dann hätte man die Überproduktion im Griff. Das Hauptproblem ist, dass die Vertragspflicht über Menge, Zeit und Preis nicht umgesetzt ist.
Haben Sie selber einen gültigen Vertrag?
Ich habe einen Vertrag, der besagt, dass mein Milchabnehmer ZMP bei mir die Milch abholt. Weiter gilt das Reglement über die Milchpreisbestandteile. Über die zu liefernde Menge, die Aufteilung der Menge in A-, B- oder C–Milch, die Zeitspanne und den Preis steht aber nichts darin. Wie ich haben die meisten Milchbauern auch keinen Vertrag, der Menge und Preis für die Dauer eines Jahres regelt, was im Gesetz eigentlich gefordert wäre.