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Die Anolei-Frauen sammeln ihre Plastikcontainer ein, die aus Nairobi ankommen. -
Frische Kamelmilch ist sehr schaumig und kann einen salzigen Geschmack aufweisen. -
Die in der Molkerei ankommende Milch wird in einen Kühltank oder andere Container umgeschüttet. -
In der Molkerei bleibt stets Zeit für einen kleinen Schwatz bei einem Tässchen Kamelmilch-Tee. -
Fatuma Bilow verstaut die Plastikcontainer in einer Kühlbox. Über Nacht wird die Milch gekühlt für den Transport nach Nairobi am nächsten Morgen. -
Der Mount Kenya ist im Hintergrund erkennbar. -
Obwohl der Kamelbulle ganz schön gefährlich aussieht, ist er total zahm. -
Fett lagert sich vorwiegend im Höcker ein, sodass keine Fettschicht am ganzen Körper den Organismus bei grosser Hitze belastet. -
In Kenia könnte das Kamel wegen des Klimawandels an Bedeutung gewinnen. Denn es gibt noch Milch, wenn die Kuh-Milch längst versiegt ist.
In Kenia könnte das Kamel wegen des Klimawandels an Bedeutung gewinnen. Denn es gibt noch Milch, wenn die Kuh-Milch längst versiegt ist. Derzeit handeln hauptsächlich Somalis mit der speziellen Milch. Der Handel ist komplett in Frauenhand.
Für Menschen im Horn von Afrika sind die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren. Vermehrt gibt es Trockenperioden, die Gegend wird immer heisser, der „grosse Regen“ in den Monaten März bis Mai fällt nicht mehr zuverlässig. Rund die Hälfte von Kenias Fläche ist als Trockengebiet eingestuft. Geschätzte 10 Millionen Bewohner, die vor allem von der Viehhaltung leben, sind in diesen Gebieten angesiedelt.
Je nach Bevölkerungsgruppe und entsprechendem kulturellen Hintergrund werden Rinder, Schafe oder Ziegen gehalten. Und vermehrt auch Kamele. Denn diese geben selbst dann noch Milch, wenn der Milchfluss bei den Rindern bereits versiegt ist und sie stark abgemagert sind. Zur Aufklärung: es handelt sich hierbei um die einhöckrigen Dromedare, die viel besser ans heisse Wüstenklima angepasst sind als ihre zweihöckrigen Verwandten, die insbesondere in kälteren Gegenden wie der Mongolei anzutreffen sind. Beide gehören zwar zur Gruppe der Altweltkamele, sie haben sich aber während Jahrhunderten auf die jeweiligen klimatischen Umstände abgestimmt. In Kenia spricht trotzdem jeder vom „Kamel“.
Angepasste Überlebenskünstler
Verschiedene Anpassungsmechanismen machen die Tiere zu wahren Überlebenskünstlern. Die gespaltene Oberlippe vereinfacht das Abfressen von stacheligen Bäumen, die zottige Mundschleimhaut erlaubt das mechanische Zerkleinern von holzigem Geäst. Die Nasenlöcher von Kamelen sind verschliessbar, und auch die Wimpern schützen vor eindringendem Sand und Staub.
Fett lagert sich vorwiegend im Höcker ein, sodass keine Fettschicht am ganzen Körper den Organismus bei grosser Hitze belastet. In der Mittagssonne stellen sich die Tiere mit dem Gesicht zur Sonne, damit die bestrahlte Körperoberfläche möglichst klein ist. Wenn sie sich ablegen, berührt nur eine Schwiele am Bauch den heissen Boden. Und ihre Beine kühlen sie, indem sie sie mit Urin benetzen. Kurzum: das Kamel ist total an die raue Gegend angepasst.
Statussymbol und Bankkonto
Es wäre also das perfekte Tier für diese Gegend. Kulturell verankert ist das Kamel als Nutztier jedoch erst in wenigen der 24 kenianischen Volksstämme. Die aus dem Norden einwandernden Somalis haben jedoch grosse Erfahrung mit den Tieren und nutzen sowohl deren Milch als auch ihr Fleisch.
Fatuma Bilow ist alleinerziehende Mutter von fünf Kindern. Für sie und ihre Familie ist das Kamel Statussymbol und Bankkonto zugleich. Reichtum zeige sich in einer grossen Kamelherde, erklärt sie. Die Tiere leben im Busch der ariden Gebiete und ziehen in Herden von 20 bis 200 Tieren mit ihren Hütern umher. Wie Fatuma Bilow leben die meisten Besitzer in den Städten und verkaufen die Tiere, wenn sie Bargeld für Schulgebühren oder tägliche Ausgaben brauchen. Obwohl die zierliche Frau die Schule selber bloss ein Jahr besucht hat, will sie ihren Kindern sogar eine universitäre Bildung ermöglichen. Deshalb hofft sie, mit dem Verkauf der Milch möglichst viel Geld verdienen zu können.
Milch in Frauenhand
Kamele werden täglich zweimal gemolken, wobei nur mit der Morgenmilch gehandelt wird und am Abend die Kälber saugen dürfen. Im Durchschnitt können pro Kamelstute täglich 4 Liter Milch während einer Laktation von 360 Tagen zum Verkauf gewonnen werden. Diese Milch muss von den Herden im Busch irgendwie zum Konsumenten gebracht werden. Isiolo, eine Kleinstadt im Zentrum von Kenia, gilt als Kamelmilch-Mekka. Dort wird die ankommende Milch in einem Molkereigebäude entgegengenommen, gekühlt, und für den Transport in die Hauptstadt vorbereitet.
Obwohl die Männer die Kamele besitzen, ist der Handel mit der Milch rein in Frauenhänden. So haben sich in Isiolo drei Frauenkooperativen gebildet, die sich gegenseitig bei ihrem Geschäft unterstützen. Die grösste dieser Kooperativen, die Anolei Camel Milk Cooperative, empfängt täglich rund 3’500 Liter Milch, die am nächsten Morgen ins somalische Quartier Eastleigh in Nairobi gebracht werden. Unterstützt von der Schweizer NGO „Vétérinaires Sans Frontières“ konnten sie sich 2018 einen gekühlten Lastwagen leisten, der nun täglich die fünf Stunden Fahrt in die Hauptstadt unternimmt.
Nach dem Melken am Morgen wird die Milch per Motorrad zu den Anolei-Frauen gebracht. Fatuma Bilow bezieht nebst Milch von eigenen Kamelen auch solche von anderen Kamelbesitzern und bezahlt pro Liter umgerechnet 70 Rappen. In der Trockenzeit ist der Preis mit umgerechnet einem Franken höher, weil die Milch knapp ist. Fatuma Bilow und die anderen Anolei-Frauen bezahlen den Transport fürs Motorrad und den anschliessenden Vertrieb nach Nairobi und verkaufen dort die Milch etwa 30 Rappen teurer, also 1 Franken in der Regen- oder 1.30 in der Trockenzeit. Morgens um elf erwarten die Schlusshändlerinnen in Nairobi die Milch. Diese kaufen den Anolei-Frauen die Milch ab, beliefern Hotels oder Privatpersonen und profitieren von verhältnismässig hohen Margen. Auf der Strasse in Nairobi kostet ein Liter schliesslich umgerechnet zwischen 1.20 und 1.50 Franken.
Gelbe Plastikcontainer überall
In gelben Plastikcontainern wird die Milch transportiert. Die ausgedienten Speiseöl-Behälter haben 5 bis 20 Liter Fassungsvermögen und können aufgrund der kleinen Öffnung nur schlecht gereinigt werden. Meist werden sie bloss mit Holzkohle ausgeschwenkt. Dies soll desinfizierend wirken und ist die einzige Option bei Wassermangel im Busch. Es verleiht der Milch allerdings auch einen rauchigen Geschmack, den die Somalis lieben. Zusätzlich sind die gelben Container während des Transports zur Molkerei hohen Temperaturen ausgesetzt.
Trotzdem wird die Milch nie pasteurisiert, denn die Somalis fürchten, dass beim Erhitzen wertvolle Nährstoffe kaputtgehen (siehe Textbox). Einzig das Ansäuern der Milch ist eine vielfach praktizierte Methode, die die Haltbarkeit erhöht. Aber auch da fehlt eine professionelle Durchführung: die saure Milch entsteht einfach, wenn die Milch zu lange nicht gekühlt wurde. Von den Konsumenten in Nairobi wird die Milch frisch, gesäuert oder angereichert mit Gewürzen und viel Zucker als Kamel-Chai genossen.
Ein bislang informeller Markt
Der gesamte Handel mit Milch aus Isiolo geschieht also informell und die Milch wird von Nicht-Somalis kaum konsumiert. Ein paar kleine Produzenten rund um Nairobi wittern aber grosses Potential in der gesundheitlichen Wirkung der Milch und versuchen, sie formell zu vermarkten. Das heisst, dass sie sie pasteurisieren oder zu Joghurt mit diversen Geschmacksrichtungen verarbeiten, in hübsche Plastikbehälter abfüllen und in den Supermärkten von Nairobi den Konsumenten präsentieren. Der wachsende Mittelstand in Kenia verspricht ein kaufkräftiges Publikum. Und wer weiss, vielleicht kann sich kenianische Kamelmilch bald als Exportprodukt neben Rosen und Avocados behaupten.
Kamelmilch – das gesunde weisse Gold
In Kenia wird der Kamelmilch heilende Wirkung bei Allergien, Autismus, Diabetes und Autoimmun-Problemen nachgesagt. Die meisten dieser Angaben sind zu dem Zeitpunkt nicht wissenschaftlich belegt.
Fakt ist jedoch, dass das in der Kuhmilch am häufigsten vorkommende Molkenprotein β-Laktoglobulin, das häufig Milchallergien auslöst, in der Kamelmilch nicht lokalisiert werden kann. Zudem ist die Proportion von K-Kasein in der Kamelmilch sehr tief im Vergleich zur Kuhmilch. Somit muss bei der Verarbeitung von Kamelmilch ein speziell angepasstes Lab eingesetzt werden.