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11.10.2016 18:20
Agropreis

Seidenraupen: Eine «Mast» der Superlative

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Von: Reto Blunier

Die Vereinigung Schweizer Seidenproduzenten hat eine Tradition wieder zum Leben erweckt. Die gesamte Wertschöpfungskette ist eingebunden. Derzeit werden rund 27 Kilo Rohseide produziert. Die Nachfrage ist aber deutlich höher.

Die Region um den Wohlensee gehört zu den Naherholungsgebieten der Stadt Bern. Der Stausee verleiht der Landschaft westlich der Hauptstadt einen besonderen Reiz. Seinen Anfang nimmt das stehende Gewässer in Hinterkappelen. Unzählige Hochhäuser charakterisieren die Ortschaft. An dieser idyllischen und urbanen Stätte wurde ein altes Handwerk wieder zum Leben erweckt.

Bis ins 13. Jahrhundert

Die Seidenproduktion hat in der Schweiz eine lange Tradition. Sie reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Vor dem 1. Weltkrieg wurden im Tessin die letzten Raupen aufgezogen. Erste Pflöcke für eine Rückkehr der Produktion wurden in den 1990er-Jahren eingeschlagen.

Ueli Ramseier reiste damals nach Frankreich und kam in Kontakt mit einem Seidenraupenprojekt. «Die Seidenproduktion wäre für die Schweizer Landwirtschaft doch interessant», dachte sich der Landwirt, Ethnologe und Textilingenieur einige Jahre später. Für die Umsetzung der Idee benötigte er einen langen Atem.

Heikle Raupen

2009 gründete er zusammen mit Bauern einen Verein mit dem Ziel, ein Nebenerwerbseinkommen für die Landwirtschaft zu schaffen. Zuerst wurden produktionstechnische Aspekte überprüft. Das Wissen über die Aufzucht der Raupen und die Vervielfältigung der Futterpflanze, des Maulbeerbaums, galt es zu erarbeiten. «Weder in der Schweiz noch in Europa gibt es eine landwirtschaftliche Schule, die die Maulbeerbaum- und Seidenraupenaufzucht lehrt», führt Ramseier aus. Mittels Reisen und aus der Fachliteratur hat der Verein das Wissen zusammengetragen. «Zwar verursacht diese Produktionsform nur geringe Investitionskosten, der Zeitbedarf ist aber gross», hebt er hervor.

«Wir haben auch immer wieder Rückschläge einstecken müssen», hält der umtriebige Berner fest. Die Raupen sind sehr empfindlich. Kleine Abweichungen bei Temperatur und Feuchtigkeit behagen der Raupe nicht. Abdrift von Pflanzenschutzmitteln, der auf den Blättern des Maulbeerbaumes landet, hemmen die Entwicklung des Seidenspinners ebenso.

Vier Projekte sind von der Jury für den diesjährigen Agropreis nominiert worden. Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben nun die Möglichkeit, Ihrem bevorzugten Projekt die Stimme für den Leserpreis zu geben. Hier gehts zum Voting

Empfindlich reagiert dieser auch auf  Krankheiten. «Hygiene ist absolut zentral», macht Ramseier deutlich. Geraten Teile dieses fragilen Puzzles durcheinander, leidet die Qualität der Seide. Die Saison dauert von Mai bis Oktober. Während dieser Zeit produziert der Maulbeerbaum Blätter. Produziert wird in 2 oder 3 Zyklen. Einen Erfolg stellt für das Projekt die Integration der Produktionsform ins Direktzahlungssystem dar.

Fressorgie

Der Seidenspinner (Bombyx mori) ist ein ursprünglich in China beheimateter Schmetterling aus der Familie der Echten Spinner. Seine Entwicklung vom Ei bis zum Kokon innerhalb von 30 Tagen ist eindrücklich. Bis die Raupen aus Eiern so gross wie Mohnsamen schlüpfen, dauert es fünf Tage. In den nächsten 25 Tagen setzen die Tiere zu einer regelrechten Fressorgie an. Es handelt sich hierbei um eine Art Raupenmast.

Die winzige Larve (1,5mm) wächst in dieser Zeit zu einer Raupe von einer Grösse zwischen 7 bis 8 Zentimeter heran. Die Gewichtszunahme beträgt das Zehntausendfache. «Wir müssen während dieser Zeit die Tiere laufend mit Blättern füttern. Dafür habe ich 650 Bäume in Produktion», schmunzelt Ramseier.

Anschliessend beginnt sich die Raupe in einem Kartonrahmen zu verpuppen, dieser Prozess dauert 3 bis 4 Tage. Der daraus entstehende Kokon ist etwa daumengross und besteht  aus bis zu 3000 Meter Seidenfaden. Das Schlüpfen erlebt der Schmetterling nicht mehr. Das Lebensende ist abrupt. «In unseren zwei Trocknungsöfen werden die Tiere abgetötet», sagt der Vereinspräsident. Würden die Schmetterlinge schlüpfen, könnte die Seide nicht abgehaspelt werden.

450 Franken pro Kilo

Das Wissen um das Gewinnen der Rohseide, das Abhaspeln, mussten sich die Produzenten aneignen. Für 1 Kilo Rohseide werden insgesamt 4000 Raupen benötigt. Aus 8 Kilo Kokons entsteht 1 Kilo Rohseide. Pro Kilo Kokon wird ein Grundpreis von 25 Fr. ausbezahlt. Zusätzlich werden Qualitätszuschläge entrichtet.

Ebenso wichtig war die starke Marktorientierung. Diese entschied über den Erfolg des Projekts. Nach fünf Jahren des Experimentierens nahm die Produktion Fahrt auf. Ramseier fand in Oliver Weisbrod einen Partner in der Textilindustrie. Dass dieser die Schweizer Seide aufkauft, ist nicht selbstverständlich. Denn Schweizer Seide kostet mit 450 Franken pro Kilo das Achtfache des Weltmarktpreises. Aus der Seide werden unter anderem Krawatten oder Foulards hergestellt.

Momentan werden auf 12 Betrieben, davon 10 Bauern, Raupen aufgezogen. In diesem Jahr erwartet Ramseier rund 25 bis 27 Kilo Rohseide. Dazu wurden 100’000 Raupen «gemästet». «Die Nachfrage wäre aber dreimal so hoch», erklärt er. Das Ziel sei deshalb, die Produktion bis in etwa 5 Jahren auf 100 bis 150 Kilo auszudehnen. Sollte der Verein den Agropreis gewinnen, würden er das Preisgeld in eine neue Abhaspelmaschine investieren. «Hier haben wir Potenzial», lächelt Ramseier.

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