Bei den wochenlangen Protesten in Neu Delhi gegen eine Deregulierung der Landwirtschaft sind mindestens 22 Bauern gestorben. Sie kamen unter anderem bei Verkehrsunfällen oder wegen der nächtlichen Kälte ums Leben, teilte Ashutosh Mishra, ein Sprecher der protestierenden Bauernverbände, am Freitag mit.
Zehntausende Landwirte kampieren bereits seit Ende November aus Protest gegen ein umstrittenes Gesetzespaket an den Stadträndern der indischen Hauptstadt. Sie befürchten, durch die umstrittene Agrarreform im freien Wettbewerb vom Markt gedrängt zu werden.
Schlafen unter dem Traktor
Die vor allem aus Haryana, Rajasthan und Pandschab kommenden Bauern essen oft gemeinsam mit Frauen und Kindern auf der Strasse und übernachten in provisorischen Unterkünften wie Traktoren und Zelten. Die für Nordindien derzeit ungewöhnlich niedrigen Temperaturen von rund drei Grad Celsius in der Nacht hätten vielen der oft älteren Landwirte zugesetzt, sagte der Sprecher.
Einige erlitten demnach Herzinfarkte. Mindestens fünf starben auf dem Weg zu den Protesten im Verkehr. Die Polizei, die die ersten Protestzüge am 26. November vor der Metropole gestoppt hatte, wurde massiv verstärkt und baute Barrieren, um die Bauern am Weiterziehen zu hindern.
Regierung will Deregulierung
Das Protestforum der Bauernverbände AIKSCC will vor allem drei im September beschlossene Gesetze zu Fall bringen, die nach seiner Einschätzung das Einkommen der Landwirte drücken und die Gewinne grosser Agrarkonzerne steigern würden.
In Indien wird Getreide in staatlich organisierten Grossmärkten bisher zu garantierten Mindestpreisen gehandelt. Nun sollen die Bauern ihre Ware ohne Mittelmänner auch direkt an Privatfirmen verkaufen können. Die Bauern befürchten einen Preisverfall, weil sie in Verhandlungen mit den Agrarkonzernen in einer schlechten Position wären.
Premierminister Narendra Modi argumentiert, die Gesetze würden die Bauern von antiquierten Marktordnungen befreien und ihnen höhere Preise auf dem freien Markt ermöglichen. Modi versicherte den Bauern, die eine starke Wählerschaft stellen, dass der Regierung ihr Wohlergehen am Herzen liege. Die Reformen würden Investitionen in Kühlketten und Modernisierung der Landwirtschaft anstossen und den Bauern zugute kommen, sagte er beim Jahrestreffen der indischen Handelskammer.
Bauern unter Druck
Die Landwirtschaft trägt rund 15 Prozent zur indischen Wirtschaftsleistung bei und ist Lebensgrundlage für rund 58 Prozent der 1,3 Milliarden Einwohner des Landes. Viele Bauern stehen wirtschaftlich stark unter Druck und befürchten, im freien Wettbewerb ganz vom Markt gedrängt zu werden.
Dass vielen Bauern um ihre Existenz fürchten, hat auch mit der Betriebsgrösse zu tun. 2010/11 betrug die Durchschnittsfläche der 138 Mio. Betriebe im Land 1,16 ha. 85 % der Betriebe bewirtschaften weniger als 2 ha Land. Insgesamt entfallen auf diese Kategorie 45 % der Gesamtfläche.
Rund 10 Prozent der Gesamtfläche wird von 0,7% der Betriebe bewirtschaftet, die mit einer Fläche von über 10 ha als Grossbetriebe gelten. Das sind gemäss dem Bericht des deutschen Agrarministeriums fast 1 Mio. Betriebe. Die grössten 170’000 Landwirte bewirtschaften im Schnitt je 37 ha.