Seit dem Winter 2010/ 2011 wurde im Gebiet Hintergraben in Sarnen eine Zunahme der Rutschung festgestellt: bis zu einem Zentimeter pro Tag. Seit Anfang Mai 2013 rutscht der Hang täglich bis 20 Zentimeter talwärts.
Das Gebiet Hintergraben umfasst eine Fläche von rund 500 Meter Breite, 700 Meter Länge. Auf dieser Fläche befinden sich sechs Wohnhäuser und mehrere Ställe. 1919 rutscht der Hang im Gebiet Hintergraben und zerstört ein Heimet. Danach bleibt es lange ruhig im Hintergraben. Entwässerungen, Bachverbauungen und Stabilisierung der Bäche durch Ufergehölz erweisen sich als Erfolg versprechende Massnahmen der Hangstabilisierung.
Bewegung nimmt zu
2010 zeigen jedoch GPS-Messungen und Bohrungen, dass das Gebiet Hintergraben sich jede Woche ein bis zwei Zentimeter talwärts bewegt. Aufgrund der aktuellen Messdaten sehen sich die verantwortlichen Behörden gezwungen, das ganze Rutschgebiet in der Gefahrenkarte als rote Zone auszuscheiden. Im März 2011 baut die Gemeinde eine Notbrücke über den Schlimbach. Ein Haus und zwei Ställe werden abgebrochen.
Seit Anfang 2013 ist eine zunehmende Beschleunigung der Bewegungsgeschwindigkeit zu beobachten. Am 2. Mai 2013 erklärt die Obwaldner Regierung den Hintergraben zum Notstandsgebiet: Täglich rutscht der Hang nun bis zu 20 Zentimeter abwärts.
Gesättigte Böden
Der Untergrund im Hintergraben weist eine schwierige Geologie auf. Diese besteht aus Gesteinsschichten, die aus Ton, Mergel und Sandstein bestehen. Der Ausdruck «Flysch» (flysch = fliessen) entstammt dem lokalen Dialekt im Simmental und bezeichnet schiefriges, leicht spaltbares, zu Plättchen verwitterndes, leicht erodierbares Felsmaterial.
«Während der letzten Eiszeit lagerten Gletscher riesige Mengen lockeren Gesteinsmaterials auf den Flysch», erklärt Stephan Flury, Chef Naturgefahren im Sarner Gemeindeführungsstab. «Wir hatten einen langen und sehr schneereichen Winter. Die Böden haben sehr viel Wasser aufgenommen. Nun rutscht das Gebiet Hintergraben auf der tonhaltigen und inzwischen seifigen Flysch-Schicht sukzessive talwärts.»
Sofortmassnahmen
Für die betroffenen 50 Menschen im Rutschgebiet besteht noch keine unmittelbare Lebensgefahr. Sie können im Notfall schnell alarmiert und evakuiert werden. Bäche werden ausgebaggert, Wasser über Rohre abgeleitet, Wald wird gerodet, eine Hauptversorgungsleitung des Elektrizitätswerks Obwalden verlegt.
Weitere Schäden an Gebäuden, Brücken und Strassen sind zu erwarten. Der Regierungsrat hat für die notwendigen baulichen Sofortmassnahmen einen Notstandskredit von 200'000 Franken als Vorfinanzierung bewilligt. Ebenso habe der Bund finanzielle Unterstützung zugesichert, teilt die Gemeinde Sarnen mit.
Belastend für Betroffene
«Für die betroffenen Menschen ist die Situation schwierig», sagt Peter Lienert, Leiter des Amts für Wald und Landschaft im Kanton Obwalden. «Paul Britschgi im Brend räumt seinen Stall, der wegzurutschen droht. Josef Kathriner muss sein Haus, das er seit 27 Jahren bewohnt, verlassen. Viele wissen nicht, wie es weitergehen soll. Das ist für die Menschen belastend und tragisch.»
Machtlos gegenüber Natur
Die Rutschung aufzuhalten oder den Hang mit technischen Massnahmen zu stabilisieren, ist allerdings unmöglich. Vier Millionen Kubikmeter Boden mit einer Mächtigkeit von 20 bis 40 Metern sind in Bewegung. Dies entspricht einem Volumen von rund 60'000 40-Tonnen-Containern, die aneinandergereiht eine Länge von 720 Kilometern ergäben.
Der Gemeindeführungsstab hat das Gebiet weiträumig abgesperrt, kontrolliert täglich die Messstellen und informiert die Bewohner. Notfalls müssten Menschen evakuiert werden. «Wir haben den Bewohnern die gefährlichsten Stellen gezeigt», sagt der Geologe Markus Liniger. «Durch weitere Niederschläge kann noch mehr Wasser in die Spalten dringen. Der Boden wird weiter verflüssigt, und jederzeit können sich einzelne Erdrutsche lösen. Dann besteht Lebensgefahr.» Das Gebiet rutscht weiter – jeden Tag 10 bis 20 Zentimeter. Es wird Wochen oder gar Monate dauern, bis die Rutschung zum Stillstand kommen wird.
Gebiet abgesperrt
Mit einem Vertreter des Amts für Landwirtschaft kann der «Schweizer Bauer» heute im Gebiet Hintergraben einen Augenschein nehmen. Dabei wird erläutert, wie man gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen für die Zukunft sucht. Das Rutschgebiet ist abgesperrt und für Schaulustige nicht zugänglich. Wir werden in der nächsten Ausgabe darüber berichten. ral