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75 Jahre Mobilmachung: 430'000 Schweizer Soldaten rückten ein

Vor 75 Jahren hat der Bundesrat die Kriegsmobilmachung beschlossen. 430'000 Soldaten und 200'000 hilfsdienstpflichtige Männer rückten in den Aktivdienst ein. Innert kürzester Zeit packten sie ihr Gewehr, verabschiedeten sich von der Familie und verliessen Heim und Hof.

sda |

 

Vor 75 Jahren hat der Bundesrat die Kriegsmobilmachung beschlossen. 430'000 Soldaten und 200'000 hilfsdienstpflichtige Männer rückten in den Aktivdienst ein. Innert kürzester Zeit packten sie ihr Gewehr, verabschiedeten sich von der Familie und verliessen Heim und Hof.

Der Bundesrat fällte den Entscheid zur Mobilmachung am 1. September 1939 - an dem Tag, als Hitlers Truppen in Polen einfielen. «Die aussenpolitische Lage hat sich in den letzten Tagen derart zugespitzt, dass es dringend notwendig erscheint, die Sicherheit der Landesgrenzen und den Schutz unserer Neutralität der Armee anzuvertrauen», heisst es im Protokoll der Bundesratssitzung von anno dazumal.

Totale Mobilmachung

Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete tags darauf, die «totale Mobilmachung der Wehr, des Willens und des Geistes» sei im Gange. «Ein Viermillionenvolk steht auf Grenzwacht und harrt gefasst und entschlossen der Prüfungen dieser dunkeln, blutigen, mordenden Zeit.»

Bereits am 28. August waren die Grenzschutztruppen mobilisiert worden. Ein Sanitätswachtmeister erzählt im Buch «Es war halt Krieg», wie er nach Feierabend vom Aufgebot erfuhr: «Vor einem Haus in meiner Nachbarschaft standen Leute mit ernsten Gesichtern, still und überrascht studierte männiglich einen Anschlag mit roten Diagonalstreifen: den Marschbefehl für die Grenztruppen.» Viel Zeit zum Abschied nehmen blieb nicht. Beim Abendessen sagte er zu seiner Frau: «Du Pauly, ich muss heute Abend noch einrücken.»

«In 10 Tagen sind wir wieder daheim»

Die einrückenden Männer begaben sich zu ihrem Sammelplatz. Ein Mitrailleur (Maschinengewehrschütze) im Grenzdienst schilderte die Szenerie mit folgenden Worten: «Hunderte von Männern, alle voller Angst, die überspielt wurde; Gerüchte schwirrten kreuz und quer. Kaum einer von uns glaubte ernsthaft, dass es zu einem längeren Krieg kommt: (...) 'In 10 Tagen sind wir wieder daheim.'»

Als Erstes mussten die Einrückenden den Fahneneid leisten. «Wir mussten schwören, dass wir das Vaterland verteidigen werden bis zum letzten Blutstropfen. Das war sehr eindrücklich», erzählt ein Soldat. Die Vereidigung habe den Übergang vom Frieden in die Kriegszeit gekennzeichnet, schreibt der Historiker Christof Dejung. Danach begann der Alltag in der Armee - und dieser sei sehr oft äusserst monoton gewesen.

 

Henri Guisan - der beliebte General

An der Spitze der Schweizer Armee stand während des Zweiten Weltkriegs der Waadtländer Henri Guisan. Am 30. August 1939 wählte ihn die Bundesversammlung mit grosser Mehrheit zum General.

Hinter der Nominierung Guisans stand Bundesrat Rudolf Minger, der damals dem Militärdepartement vorstand. Minger habe das grosse Charisma von Guisan gespürt und verstanden, dass dieser das Land einen könne, schreibt der Historiker Christian Favre.

Réduit und Rütli-Rapport

Anfänglich wurde Guisan von Rechts mit Geringschätzung bedacht und von Links mit Argwohn aufgenommen, wie der Historiker Georg Kreis festhält. Doch nach und nach habe der Waadtländer dank seiner starken Präsenz bei der Truppe und bei zivilen Anlässen Respekt und Vertrauen gewonnen. «Guisan war populär und er kultivierte seine Popularität», fasst Favre zusammen.

Guisan galt nicht als grosser Stratege, aber als Pragmatiker und Realist. So rückte er angesichts der Schwäche der Schweizer Armee ab vom damals noch gültigen Prinzip des «strategischen Bewegungskriegs». Er machte sich schliesslich das Konzept des Réduit, der Rücknahme der Hauptkräfte der Armee in die Alpenfestung, zu eigen. Am vielbeachteten Rütli-Rapport vom 25. Juli 1940, bei dem er alle höheren Offiziere zusammenrief, um sie über das neue Verteidigungskonzept in Kenntnis zu setzen, fand Guisan die richtigen Worte zur richtigen Zeit.

Abmachungen mit Frankreich

Seine Beliebtheit zeigte sich auch nach seinem Tod am 7. April 1960: 300'000 Personen nahmen fünf Tage später an seinem Begräbnis teil. Bis in die 1970er Jahre galt Guisan als Seele der wehrhaften Schweiz; später erhielt sein Ruf jedoch einige Kratzer.

Historiker hinterfragten das Bild von Guisan als kompromisslosem Verteidiger von Demokratie und Neutralität. So war er schon Ende der 1930er Jahre bei den Generalstabsbesprechungen mit den Franzosen an die Grenzen der Neutralität gegangen: Frankreich sollte bei einem deutschen Angriff der Schweiz beistehen.

«Romand du siècle»

Nachdem die Deutschen 1940 in Frankreich die Akten über diese Absprachen gefunden hatten, schlug der unter Druck geratene General dem Bundesrat sehr weitreichende Beschwichtigungsmassnahmen gegenüber Deutschland vor - die aber nicht umgesetzt wurden.

Der Popularität Guisans tat dies jedoch nur bedingt Abbruch. Anlässlich seines 50. Todestages im Jahr 2010 würdigte Verteidigungsminister Ueli Maurer ihn als eine der grössten Schweizer Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Und das Westschweizer Fernsehpublikum wählte ihn Ende 2011 zum «Romand du siècle» - zum wichtigsten Westschweizer des Jahrhunderts. sda

 

«Was tun mit all diesen Truppen?»

Der bereits erwähnte Mitrailleur hat die erste Zeit der Mobilmachung nicht in guter Erinnerung. «Und dann ging das grosse Rätselraten los: Was tun mit all diesen Truppen? Es schien nichts, aber auch gar nichts für den Ernstfall vorgesehen.»

Auch um die Ausrüstung stand es nicht zum Besten. Es fehlte vor allem an schweren Waffen, wie der Historiker Georg Kreis später schrieb. Bei Kriegsausbruch hatte die Armee beispielsweise nur 24 Panzer. Die Moral der Truppe war laut Kreis jedoch alles in allem ziemlich gut gewesen, oft besser als bei der Zivilbevölkerung.

Wenn plötzlich das halbe Personal fehlt

Die Daheimgebliebenen stellte die allgemeine Mobilmachung vor Schwierigkeiten. Die eingerückten Männer - zeitweise über 10 Prozent der Bevölkerung - fehlten in der Familie wie in der Arbeitswelt.

Bei der Migros beispielsweise reduzierte die Mobilmachung das männliche Personal um zirka zwei Drittel, wie sie am 3. September 1939 in einem Inserat in der «NZZ» bekannt gab. Auch der weitaus grösste Teil der Camions sei eingezogen worden. «Ob wir Benzin für die restlichen bekommen, ist ungewiss». Die Kunden sollten sich aber nicht beunruhigen, denn die Migros verfüge über grosse Vorräte, hiess es im Inserat.

Landwirtschaftliche «Anbauschlacht»

Eine zusätzliche Belastung für die Frauen und andere Daheimgebliebene brachte später die landwirtschaftliche «Anbauschlacht»: Aus Furcht vor einer Lebensmittelknappheit verfügte der Bund eine Ausweitung der Ackerbaufläche. Der Selbstversorgungsgrad stieg dadurch von 52 auf 59 Prozent.

 

Frauen: Einsatz für Schweiz kaum zur Kenntnis genommen 

Obwohl hunderttausende Männer aufgrund der Mobilmachung ihre Arbeitsplätze verlassen mussten, arbeiteten im Zweiten Weltkrieg nicht mehr Frauen ausser Haus - im Gegenteil: 1941 erreichte die Zahl der erwerbstätigen Frauen einen noch nie verzeichneten Tiefstand.

Anders waren die Verhältnisse auf den Bauernbetrieben, die in der Statistik nicht berücksichtigt wurden, wie der Historiker Georg Kreis schreibt. Zu tun gab es jedoch auch abseits der Bauernhöfe genug: Die Frauen besorgten unter anderem die Wäsche der Soldaten, strickten Socken für sie und flickten Kleider.

Wichtig für die Moral

Die Unterstützung der Frauen sei äusserst wichtig für die Moral der Soldaten und das Funktionieren der militärischen Institution gewesen, schreibt der Historiker Christof Dejung. Doch nicht jede Art von Unterstützung war willkommen: Während die Soldatenmütter hoch geschätzt worden seien, seien Angehörige des militärischen Frauenhilfsdienstes (FHD) sehr oft misstrauisch betrachtet worden.

Der militärische FHD war 1940 geschaffen worden. Von 1940 bis 1945 leisteten stets zwischen 18'000 und 23'000 FHD-Angehörige im Rahmen der unbewaffneten Hilfsdienste Militärdienst. Sie wurden eingesetzt als Fahrerinnen, Flugzeugbeobachterinnen, Sanitäterinnen oder Bürohilfen.

Für diese Frauen hatte das Engagement innerhalb der Armee auch einen emanzipatorischen Charakter, wie die Historikerin Simone Chiquet schreibt. Doch es habe sich bei den Militärdienst leistenden Frauen um Ausnahmen gehandelt: Frauen, die es sich leisten konnten, für mehrere hundert Tage von zu Hause wegzubleiben.

Hoffnungen enttäuscht

Die Hoffnungen von progressiven Frauenverbänden, dass die Frauen nach Kriegsende als Lohn für ihren Einsatz das Stimm- und Wahlrecht auf nationaler Ebene erhielten, wurden enttäuscht.

Die Mobilmachung habe im zeitgenössischen Diskurs zu einer Aufwertung des Soldatischen und der dienstleistenden Männer geführt, schreibt Dejung. Als Lohn für die Bereitschaft, die Nation mit ihrem Leben zu verteidigen, erhielten die Soldaten einen erhöhten sozialen Status. Die Arbeit der Frauen sei dagegen kaum zur Kenntnis genommen worden. sda

 

Die Behörden waren bemüht, aus den sozialpolitischen Fehlern des Aktivdienstes 1914-1918 zu lernen, wie der Historiker Dejung schreibt. So wurde der allgemeine «Wehrmannsschutz», der spätere Erwerbsersatz, eingeführt. Zudem sicherte ein neues Gesetz die Arbeitsplätze der Wehrmänner.

Fast sechs Jahre Aktivdienst

Bis diese definitiv dorthin zurückkehren konnten, dauerte es jedoch fast sechs Jahre. Am 8. Mai 1945 ging mit der Kapitulation Deutschlands der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende. Der Aktivdienst dauerte gemäss dem Historischen Lexikon der Schweiz wegen Räumungsarbeiten noch gut drei Monate länger. Obwohl die Schweiz weitgehend in der Zuschauerrolle war, wurde sie laut dem Historiker Kreis dennoch vom Krieg geprägt, insbesondere durch den jahrelangen Militärdienst, die Versorgungsknappheit - und durch die dumpfe Befürchtung, doch noch angegriffen zu werden.

Die Verluste der Schweiz waren im Vergleich zu den am Krieg direkt beteiligten Ländern gering: Vier Fliegeroffiziere fanden im Einsatz den Tod; durch Bombardierungen verloren 84 Menschen ihr Leben.

 

Quellen:
- Simone Chiquet (Hg.): «Es war halt Krieg» - Erinnerungen an den Alltag in der Schweiz 1939-1945, Chronos Verlag, Zürich, 1992.
- Christof Dejung: Aktivdienst und Geschlechterordnung. Eine Kultur- und Alltagsgeschichte des Militärdienstes in der Schweiz 1939-1945. Chronos Verlag, Zürich, 2006.
- Georg Kreis: Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Haymon Verlag, Innsbruck-Wien, 2011
- Christian Favre: La Suisse avant et pendant la Seconde Guerre mondiale. Editions Baudelaire, Lyon, 2011

 

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