Der Ständerat ist nicht auf den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats zur Biodiversitätsinitiative verschiedener Umwelt- und Heimatschutzorganisationen eingetreten. Eine Mitte-Rechts-Mehrheit fand, der Gegenvorschlag sei unklar und unnötig.
Mit 28 zu 14 Stimmen bei einer Enthaltung beschloss die kleine Kammer am Dienstag Nichteintreten. Der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats geht damit zurück an den Nationalrat, welcher ihm im Herbst 2022 zustimmte und Änderungen vornahm.
17% Schutzfläche
Hinter der Biodiversitätsinitiative steht der Trägerverein «Ja zu mehr Natur, Landschaft und Baukultur», dem verschiedene Organisationen wie etwa Pro Natura und die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz angehören. Mit einer Anpassung der Bundesverfassung wollen die Initianten den Bund und neu auch die Kantone zum Schutz und zur Schonung von Biodiversität und Landschaft verpflichten. Sie fordern dafür mehr Gelder der öffentlichen Hand.
Dem Bundesrat geht die Initiative zu weit. Er beschloss Ende 2020, ihr einen indirekten Gegenvorschlag entgegenzustellen. Es geht um eine Änderung im Natur- und Heimatschutzgesetz und weiteren Erlassen. Der Bundesrat wollte in diesen Änderungen festlegen, dass Biodiversitäts- und Schutzgebiete insgesamt 17 Prozent der Schweizer Landesfläche ausmachen sollen. Derzeit liegt der Anteil dieser Schutzflächen bei 13,4 Prozent. Doch strich der Nationalrat diese Zahl aus der Vorlage. Es sei besser, qualitative Vorgaben zu machen.
«Regulierungsmonster»
Im Ständerat beantragte am Dienstag die Mehrheit der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek-S), nicht auf diese Vorlage einzutreten. Mehrheitssprecher Beat Rieder (Mitte/VS) bezeichnete sie als «Regulierungsmonster» und sprach von fehlender Grundlagenarbeit in diesem Bereich.
Ein von der Urek-S beim Bundesamt für Umwelt angeforderter Bericht zeige nämlich, dass die Biodiversitätsflächen bereits heute 23,4 Prozent der Schweizer Fläche ausmachten und 2030 voraussichtlich 28 Prozent. Das Ziel von 30 Prozent Biodiversitätsflächen in der Schweiz gemäss der internationalen Montreal-Kunming-Übereinkunft könne also auch mit den bestehenden Instrumenten, aber mit mehr Anstrengungen, erreicht werden, so Rieder.
«Ziele der Agrarpolitik erreicht»
Jakob Stark (SVP/TG) kritisierte, die Vorlage arbeite mit problematischen Begriffen wie etwa «ökologische Infrastruktur» – das sei «ein unglaubliches Wort». Die Biodiversität sei wichtig, doch für ihn sei dieser Gegenvorschlag nicht gut genug. Es hiess auch, der Vorschlag beschneide die Kompetenzen der Kantone.
Ganz klar gegen Initiative und den Gegenvorschlag positionierte sich Werner Salzmann (SVP/BE). Dieser gehe viel zu weit und übertreffe in einigen Punkten sogar die Forderungen der Initiative. Zudem seien neue gesetzliche Rahmenbedingungen unnötig, da die aktuelle rechtliche Grundlage genüge. Die Landwirtschaft mache heute bereits sehr viel. «Rund 19 Prozent der Biodiversitätsförderflächen (BFF) liegen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Blühstreifen, extensive Wiesen, Brachen, Hecken und Anlagen für Hochstamm-Obstbäume», führte der Berner aus.
Die Zwischenziele der Agrarpolitik 2014-2017 und 2018-2021 seien weitgehend erreicht. «Das heisst konkret: 80 000 Hektar BFF der Qualität 1 liegen in der Talzone, 43 Prozent BFF wurden sogar mit Qualität 2 ausgezeichnet, und 87 Prozent der BFF sind vernetzt», so Salzmann weiter.
Er fügte sechs Punkte an, die gegen aus seiner Sicht gegen den Gegenvorschlag sprechen.
1. Es führe zu einer massiven Schwächung der Nahrungsmittelproduktion. «Der Selbstversorgungsgrad darf nicht weiter sinken, er muss steigen», so Salzmann.
2. Weiter würden dem Bundesrat werden zu viele Kompetenzen übertragen.
3. Gemäss Bundesrat und Nationalrat soll die Festlegung von Kern- und Vernetzungsgebieten über die Richtplanung erfolgen. «Eine Standortänderung der Biodiversitätsflächen wäre nur noch über eine Änderung der Richtpläne möglich. Können Sie sich vorstellen, wie dann die Bauern ihre Fruchtfolge planen», kritisierte Salzmann.
4. Die Kantone sind gemäss Gegenvorschlag dazu verpflichtet, Biotope von regionaler oder lokaler Bedeutung zu bestimmen. So gehe weiteres Landwirtschaftsland verloren.
5. Weiter verwies er auf die hohen Kosten, die die ökologischen Infrastruktur verursache. «Der Verlust von Produktionsflächen bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Einkommensverlust für die betroffenen Bauern», hielt er fest.
6. Für die Umsetzung des Gegenvorschlages schätzt der Bundesrat die pro Jahr erforderlichen Mittel auf 96 Millionen Franken. «Angesichts der finanzpolitischen Lage des Bundes sind solche Mehrausgaben für mich nicht zu verantworten», so Salzmann.
«Es handelt sich beiden Vorlagen um Abbauinitiativen der produzierenden Landwirtschaft», sagte Salzmann unmissverständlich.
«Landwirtschaft und Biodiversität nebeneinander»
Die Befürworterinnen und Befürworter des Vorschlags betonten demgegenüber die hohe Bedeutung der Biodiversität als Grundlage der Existenz des Menschen auf dem Planeten Erde. Roberto Zanetti (SP/SO) sagte, es gelte einzutreten. Dann könne man die Vorlage verbessern. «Über all die Kritikpunkte können wir in der Kommission diskutieren. Ich staune, wie Ständeräte einfach sagen, dass das eine schlechte Ausgangslage sei, sodass man nicht eintreten wolle», so Zanetti. Der Ständerat soll sich dahinter machen und einen tollen Gegenvorschlag präsentieren, sagte er weiter.
Auch Thomas Minder (parteilos/SH) warb dafür, auf die Vorlage einzutreten. Ein nebeneinander von produktiver Landwirtschaft und Biodiversität sei möglich. Er verwies dabei auf das Klettgau, die Landschaft des Jahres 2023. «Das Gebiet wurde über Jahrzehnte im Dreiklang von Landwirtschaft, Biodiversitätsförderung und Landschaft erhalte», sagte Minder. Hier werde viel Getreide angebaut und die Biodiversität werde gefördert. «Das demonstriert eindrücklich, dass ein Nebeneinander von Landwirtschaft und Biodiversität möglich ist», sagt Minder.
Rösti plädierte für Eintreten
Auch Umweltminister Albert Rösti warb für Eintreten. Er sprach von einer «sehr extremen» Initiative, welcher der Bundesrat einen moderaten Gegenvorschlag gegenüberstellen wolle. Diesen habe der Nationalrat verschärft. Es gehe um eine Güterabwägung zwischen den Zielen von mindestens vier sehr bedeutenden Politikbereichen. «Eigentlich möchten wir die Ziele aller vier Politikbereiche ungeschmälert erfüllt wissen. Es sind dies neben der Biodiversität als erstem Politikbereich zweitens der Klimaschutz, drittens die Lebensmittelproduktion und viertens die Energieproduktion», führte er aus.
Für Rösti kommt die Lebensmittelproduktion an erster Stelle. «Sie kommt gerade in der Diskussion um die Biodiversität an erster Stelle, weil wir im Rahmen der Lebensmittelproduktion, im Rahmen der Agrargesetzgebung hier schon sehr viel machen», sagte Rösti.
Der indirekte Gegenvorschlag sei umsetzbar, ohne dass zusätzliche Schutzflächen ausgeschieden werden müssten. «Dafür würde ich in der Umsetzung wirklich auch Hand bieten», versicherte Rösti. Bei 19 Prozent Ökoausgleichsflächen in der Landwirtschaft könnten mit Blick auf die sichere Lebensmittelproduktion nicht noch zusätzliche Schutzflächen ausgeschieden werden. «Bei der Vernetzung hingegen können Verstärkungen zugunsten der Biodiversität gemacht werden, ohne dass es zusätzliche Flächen kostet. Damit bin ich einverstanden, und ich glaube, das könnte man in der Umsetzung so machen», sagte er weiter. «Deshalb bitte ich Sie - und zwar in erster Linie, um diese Initiative zu verhindern -, auf die Vorlage einzutreten», fuhr er fort. Der Bitte wurde nicht entsprochen. Er warnte davor, die Initiative «nackt» dem Stimmvolk zu präsentiere. Die Chance sei erhöht, dass diese durchkomme.
Vorschlag ist noch nicht vom Tisch
Der Nationalrat hatte dem indirekten Gegenvorschlag im Herbst 2022 mit 104 zu 83 Stimmen bei 5 Enthaltungen zugestimmt. Diese Vorlage ist erst vom Tisch, wenn auch der Nationalrat nicht mehr darauf eintreten sollte oder ein Rat die Vorlage ein zweites Mal nicht behandeln will.
Mit dem Vorschlag in der jetzigen Form wären die Urheber der Volksinitiative zufrieden: Sie forderten am Montagmorgen den Ständerat in Bern auf, Eintreten zu beschliessen. Sie taten dies mit einem Appell, den laut Mitteilung des Trägervereins der Initiative über 43’000 Personen unterschrieben hatten.
Die Biodiversität sei das Fundament unseres Lebens und unserer Wirtschaft, schrieb der Trägerverein. Sie liefere Nahrung, sauberes Wasser und Luft, Medikamente und Rohstoffe. Sie reguliere das Klima und schütze vor Naturkatastrophen. Es gelte, sie zu schützen.