Seit 1954 waren Stockers für die Hirtschaft der Alp Maienfall verantwortlich. Nun nimmt die Familie Abschied.
In Boltigen leben Marcel Stocker und Ursula Feuz noch zwischen Bananenschachteln. Erst vor ein paar Tagen sind sie mit den Kühen von der Alp Maienfall heimgezügelt – und dann warteten der Munimärit in Thun und viel Arbeit, die Vorrang vor dem Auspacken hat.
Traditionelle Rinderalp
«Zum Glück haben wir viel zu tun», ist sich das junge Paar einig, «sonst hätten wir ständig ‹Lengizyti›.» Der Abschied von der Alp fällt ihnen dieses Jahr besonders schwer, weil es der letzte ist. «1954 gingen meine Grosseltern erstmals auf Maienfall z Berg», berichtet Marcel Stocker. Hans und Martha Stocker waren von der Alpkorporation Maienfall von Zimmerwald für die Hirtschaft angestellt worden. Die Korporation hatte die grosse Alp im 16. Jahrhundert nach einem verheerenden Pestzug im Diemtigtal gekauft.
1970 kam Transportseilbahn
Rund 200 Rinder vom Längenberg und von Zimmerwald wurden auf der gutgräsigen Alp an der Niesenkette gesömmert. Traditionsgemäss brachten die Hirten ihre eigenen Kühe mit, und im Huttli trug Hans Stocker beim ersten Alpaufzug das halbjährige Söhnchen Andreas mit.
Im oberen Maienfall hatte die Alpkorporation damals gerade eine neue Hütte gebaut. Die Hütten standen leer; alles, was es für das tägliche Leben brauchte, musste die neue Hirtenfamilie vom Tal auf die Alp basten – mit ihrem Pferd oder auf dem eigenen Rücken. 1970 wurden die beiden Alpstafel mit einer Transportseilbahn verbunden, und 1976 wurde die Strasse in den unteren Maienfall gebaut.
Ursula Feuz
Die Familie half
Die Rinder, die Kühe sowie die 260 Schafe, welche die steilsten Hänge unter dem Schmelihorn beweiden – alle kamen früher mit der Eisenbahn nach Diemtigen und zogen in vier Stunden zu Fuss auf die Alp. Und noch bis 1996 ging es mit den Rindern im Herbst zu Fuss zurück nach Horboden. Damals war aber längst auch der obere Maienfall mit einer Alpstrasse erschlossen.
1976 übernahm Andreas Stocker die Hirtschaft. Unterstützt wurde er von seiner Frau Susanne und den drei Kindern – und nach Bedarf von seinen sechs Geschwistern, die alle schon von Kindsbeinen an mitgeholfen hatten. «Auf die Familie war immer Verlass», sagt Marcel Stocker, der seit 2015 in der dritten Generation für die Hirtschaft angestellt war. Arbeit gab es mehr als genug.
16 Kilometer Zäune
Die Hirten gingen jeden Tag allen Tieren nach, schauten, ob es ihnen gut ging, und holten sie wenn nötig in den Stall. Zum Schutz der Tiere und der Weide stellten sie jeden Sommer gut 16 Kilometer Zäune auf. Solange die Kühe mit in den oberen Stafel gingen, wurden auch Käse und Alpbutter hergestellt. In den letzten Jahren behielten Ursula Feuz und Marcel Stocker die Kühe den ganzen Sommer im unteren Maienfall und lieferten die Milch ins Tal, während sich die Eltern um den oberen Maienfall kümmerten.
Als Kinder gingen Stockers nach den Sommerferien in Diemtigen zur Schule. «So waren wir im Sommer Diemtiger und im Winter Boltiger», schmunzelt Marcel Stocker. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft machte aber auch vor dem Maienfall nicht halt. Die Besetzer schickten mit der Zeit weniger Rinder auf die Alp, und die Familie Stocker konnte ihren Talbetrieb vergrössern.
Sibylle Hunziker
Kein einfacher Entscheid
Da das junge Paar nun auch den Hof von Ursula Feuz’ Eltern übernehmen kann, entschied die Familie, die Hirtschaft aufzugeben. Auch Susanne und Andreas Stocker fiel der Entscheid nicht leicht; aber da sie seit ein paar Jahren pensioniert sind, freuen sie sich nun auf den einen oder anderen freien Sonntag.
Den letzten Alpsommer schloss die Familie mit einem Alpabzug ab, zu dem sich viele Verwandte und Freunde einfanden. Ein schöner Abschied sei es gewesen – und ein guter Start in das neue Leben.