Am 12. März stimmt die Bevölkerung des Kantons Bern über die Umfahrungen Aarwangen und Emmental ab. Während die Befürworter mit der Sicherheit argumentieren, ist es bei den Gegnern das Kulturland, das verloren geht.
Die Bürgerinnen und Bürger des Kantons Bern stimmen am 12. März über die Umfahrungen Aarwangen und Burgdorf-Oberburg-Hasle ab. 6,3 Hektaren Land beansprucht das Projekt im Oberaargau, vorwiegend Fruchtfolgeflächen, wie auch rund 1,6 Hektaren Wald. Ein Teil der 6,3 Hektaren ist Kompensationsmassnahmen geschuldet. 3,7 Hektaren Landwirtschaftsfläche beanspruchen die Strassen im Emmental.
Seit über 30 Jahren plant der Kanton eine millionenteure Umfahrung in Aarwangen. Vor gut sieben Jahren kam es zur ersten Mitwirkung. «Und seither beschäftigen sich die Landwirte von Aarwangen konstruktiv mit dem Projekt», sagt Thomas Aeschlimann. Der Landwirt aus Aarwangen spricht im Namen einer Gruppe betroffener Landwirte.
Die Strasse führt quer durch das Bannfeld, eine zusammenhängende Ackerfläche von ungefähr 140 ha. Zusammen mit dem Oberaargauischen Bauernverein (OBV), der Burgergemeinde Aarwangen, dem Berner Bauernverband (BBV) und den Anwohnern reichten sie in der Mitwirkung einen Strassenverlauf ein, der sich in die vorhandene Topografie einfügt und weniger Kulturland in Anspruch nimmt.
«Diese Anliegen wurden vom Kanton nicht im geringsten in die weitere Planung aufgenommen», so Aeschlimann. «Die Landwirte machten weitere Vorstösse, um irgendwie Einfluss auf das Projekt zu nehmen. Auch hier ohne Erfolg.» 2020 kam es zur zweiten Mitwirkung, in der die vorgängig erwähnten Parteien ihre Anliegen nochmals mit Nachdruck eingaben. Mit dem Resultat: «Alle Vorschläge wurden verworfen», erklärt Aeschlimann.
Überparteiliches Komitee
Schlaflose Nächte hat auch Samuel Jenzer. Der Landwirt wohnt in Bützberg und auch über sein Land geht die Linienführung der Umfahrungsstrasse. Und auch er hat vor sieben Jahren von dem Projekt erfahren, daraufhin gründete er ein überparteiliches Komitee. Am 8. September 2021 kam es dann «zum Schulterschluss von Landwirten» in der Region. Sie gründeten den Verein Natur statt Beton. Seither kämpfen sie gemeinsam gegen das Mega-Projekt. Um die Bevölkerung zu sensibilisieren, wurden verschiedene Aktionen durchgeführt. So auch kürzlich, als Landwirtinnen und Landwirte mit 70 Traktoren auf dem Bannfeld in Aarwangen den Verlauf der geplanten Strasse aufzeigten.
Schwierige Situation
Laut Regierungsrat profitiere die Landwirtschaft von der angeordneten Landumlegung, sagt Aeschlimann. «Nur ist es halt so, dass laut technischem Bericht die Landumlegung in erster Linie der Beschaffung des benötigten Landes dient.» Die Landumlegung brauche es, aber den Schaden, den die diagonale Linienführung durch die arrondierten Flächen im Bannfeld und Bützbergtäli verursachen, könne sie nicht wettmachen.
«Für die Landwirte ist es eine schwierige Situation. Sie verlieren unter dem Strich einen Teil ihrer heutigen Bewirtschaftungsflächen – u. a. auch wegen den ökologischen Ausgleichsmassnahmen», teilt die Bau- und Verkehrsdirektion (BVD) schriftlich mit. «Die Landwirte gewinnen aber auch wirtschaftliche Transportwege. Mit dem Parallelprojekt Landumlegung, einem Anliegen, welches die Landwirte im Rahmen der Projektentwicklung eingebracht haben, können Parzellen zusammenhängend gruppiert und dadurch günstig bewirtschaftet werden.
Durch das neu angelegte Wegnetz werden überflüssige Verbindungs- und Landwirtschaftsstrassen zurückgebaut und in neues Kulturland umgewandelt. Zudem kann kantonseigenes Landwirtschaftsland als Teilrealersatz eingebracht werden.»
Die Kosten
Die Gesamtkosten für die beiden Verkehrssanierungen belaufen sich auf 618,5 Millionen Franken. Nach Abzügen der Beiträge von Bund (rund 137 Millionen) und Dritten sowie der bereits bewilligten Kredite für die Projektierungen geht es jetzt noch um knapp 412 Millionen Franken. pd
«Wir sehen schon, dass in Aarwangen etwas geschehen muss, schon alleine wegen der Sicherheit der Schüler, Fussgänger und Velofahrer», sagt Landwirt Samuel Jenzer, Co-Präsident des Vereins Natur statt Beton. Und er nennt die Variante Null+. Bei dieser Version sei der Vorschlag gewesen, die problematischen Punkte im Dorf zu verbessern. Das beinhalte beispielsweise die Sanierung der heutigen Hauptstrasse durch das Dorf. Die Kosten wären deutlich tiefer, zudem käme es kaum zu Eingriffen in die Natur.
«Bis jetzt hat der Kanton aber aus taktischen Gründen sämtliche Sicherheitsmassnahmen im Bereich der Schulwege verschlafen, weil er dem Projekt Umfahrung einfach den Vorzug geben will. Deshalb wurde die Variante Null+ in der Mitwirkung verworfen», so Jenzer.
Und weiter: «Uns Landwirten ist bewusst, und dies ärgert uns sehr, dass die projektierte Fläche auf Papier nur minimal berechnet und ausgewiesen ist. Vergleicht man bestehende Autostrassen im Kanton Bern, haben dort die Querschnitte von Zaun zu Zaun die doppelte Breite. Das eigentliche Bild von diesem Monsterprojekt wird dem Stimmbürger totgeschwiegen.» Dass drei Geländekammern, eine Uferlandschaft mit einer 400 Meter langen Betonbrücke zerschnitten werde, dass westlich von Aarwangen und im Bützbergtäli Fruchtfolgeflächen, Feuchtgebiete, Biodiversitätsflächen – eigentlich Naherholungsraum, in noch nicht festgelegtem Flächenbedarf auf einem 2 Meter hohem Damm für ewige Zeiten asphaltiert werden, mache Angst und werde zur Belastung der nachfolgenden Generationen.
Der Landwirt sagt weiter, dass die Umfahrung auch bei Umweltschützern auf Widerstand stosse. Denn sie führe durch ein sogenanntes Smaragdgebiet. «Hier arbeiten Bauern und Umweltschützer seit 15 Jahren Hand in Hand für ökologische Aufwertungen, deshalb ist auch vor diesem Hintergrund das Projekt Umfahrung Aarwangen in Frage gestellt. Diese Gebiete gründen auf einem internationalen Übereinkommen zur Erhaltung wildlebender Pflanzen und Tiere, das die Schweiz ratifiziert hat.» Das Smaragdgebiet Oberaargau besteht aus 19 Gemeinden in den Kantonen Bern, Luzern, Aargau und Solothurn.
Ablehnung im Emmental
Auch im Emmental regt sich Widerstand. Eine Allianz aus Parteien und Verbänden hat sich zum «Komitee gegen Megastrassen» zusammengeschlossen. Die Umfahrungsstrassen seien ein Raubzug auf die Kantonskassen – auf Kosten von wertvollem Ackerland, Umwelt und Klilma, heisst es in einer Medienmitteilung. Darum ihre Parole: 2-mal Nein.
«In Hasle wird vom Projekt rund 1,2 ha Landwirtschaftsland, verteilt auf neun verschiedene Eigentümer, dauerhaft in Anspruch genommen», schreibt die Bau- und Verkehrsdirektion. Die vom BVD genannte Zahl stimme jedoch gemäss dem Landerwerbsplan nicht, so ein betroffener Bauer von Hasle. «Es fehlen die 108 Aren vom Eichholz.»
Anders als im Oberaargau ist im Perimeter von Hasle jedoch kein Realersatz für den Flächenverbrauch des Bauvorhabens vorgesehen. Das findet der Bauer nicht richtig. «Ich muss selbst für Ersatzland schauen.» Einzig habe ihm der Kanton eine Bahnböschung angeboten. «Was soll ich damit anfangen? Zudem gehört das Bord der BLS.»
Und noch etwas anderes ärgert den Landwirt. Erst wenn er dem Landverkauf zustimme, werde ihm der Preis genannt. «Der Landerwerb bzw. die Entschädigungen sind nicht Gegenstand des Strassenplangenehmigungsverfahrens. Dementsprechend wurden noch keine Verhandlungen bezüglich des Landwirtschaftslandes durchgeführt. Dies erfolgt im nachgelagerten Landerwerbs- und Schätzungsverfahren voraussichtlich ab 2024», lautet die Antwort der BVD.
Kritik an Verkehrsführung
Und wie seine Berufskollegen im Oberaargau kritisiert auch der Bauer die Verkehrsführung. Vorgesehen ist, eine 950 m lange, westlich am Bahnhof vorbeiführende Umfahrung. Die Dorfstrasse wird mit einer neuen Brücke überquert. Anschliessend verläuft die Umfahrung auf einem mit einer Lärmschutzwand versehenen Damm parallel zur Bahnlinie und mündet westlich der Bahnunterführung in den neuen Kreisel Kalchofen. «Wenn das Projekt so realisiert wird, ist es nicht mehr möglich, beim Bahnhof in Richtung Rüegsauschachen abzubiegen. Die Autofahrer müssen bis zum neu geplanten Kreisel in Richtung Oberburg fahren», so der Bauer.
Die Argumente der Befürworter
Der Langenthaler Stadtpräsident Reto Müller (SP) spricht sich für die Umfahrungen aus. «Die Schweiz wächst kontinuierlich. Viele Gemeinden haben in den letzten Jahren im Wohnungsbau geklotzt, und auch das Gewerbe wuchs. Ich kann gut verstehen, dass sich Landwirtinnen und Landwirte für ihr Land einsetzen. Wenn wir alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit berücksichtigen, gibt es aber nicht nur die Dimension der Umwelt. Wir haben die Dimensionen Gesellschaft und Wirtschaft auch zu berücksichtigen. Menschen in Aarwangen und Oberburg brauchen eine Lösung für ihre Ortsdurchfahrten, und unsere Wirtschaft im Kanton braucht diese Verkehrssanierungen. Eine Ablehnung der jetzt vorliegenden Projekte verzögert eine Lösung um weitere Jahrzehnte. Daher: 2× Ja.» Und der Stadtpräsident von Burgdorf, Stefan Berger (SP), argumentiert so: «Es ist unbestritten, dass es für die Orte Burgdorf, Oberburg und Hasle Massnahmen braucht. Dank zwei neuen Bahnunterführungen sowie einer Bewirtschaftung des Verkehrs können Stausituationen im Zentrum vermieden werden. Zusätzlich werden mit dem Projekt weitere Massnahmen wie zum Beispiel zusätzliche Busspuren ergriffen, um den öffentlichen Verkehr zu bevorzugen und ihm damit ein besseres Durchkommen zu gewähren. Auch werden die Verhältnisse für den Fuss- und den Veloverkehr verbessert. Die Ortsdurchfahrten von Oberburg und Hasle können dank verschiedenster Massnahmen zu einem attraktiven Strassenraum umgestaltet und so ein lebenswerter Raum geschaffen werden. Die belastenden Verkehrssituationen werden mit dem Projekt zugunsten von mehr Sicherheit und Lebensqualität korrigiert.» Durch die Verkehrssanierung profitiere die gesamte Region Emmental, sagt Roland Ryser (SVP), Landwirt und Gemeindepräsident von Affoltern. «Die verbesserte Mobilität führt zu einer Attraktivierung im Gewerbe, Privatleben wie auch im Tourismus.» Ja zur Verkehrssanierung Aarwangen und Ja zur Verkehrssanierung Emmental sagt ebenfalls Ernst Kühni, Mitinhaber der Kühni AG, Ramsei. «Von unseren über 60 Fahrzeugen fahren täglich unter der Woche 20 bis 30 Richtung Burgdorf. Oft starten die Monteure schon vor 6 Uhr, um dem Stau zu entgehen, was dann auch oft lange Arbeitstage bedeutet.» Die langen Arbeitszeiten würden sich bei dem aktuellen Fachkräftemangel nicht gerade positiv auf den Personalbestand auswirken. Und auch Thomas Matzinger spricht sich für die Umfahrung Aarwangen aus. «Die Kinder von Aarwangen benötigen dringend unser Ja für einen sicheren Schulweg.» jgr
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