Seit fast fünf Jahren lebt die Dietwilerin Claire Simonetta in Schottland. Sie studiert Agriculture und setzt sich für schottische Landwirte ein. Ihr Engagement ist so gross, dass sie den Preis als beste Studentin bekommen hat.
Das erste Mal, als Claire Simonetta per Internettelefon anrufen sollte, tat sie es nicht. Stunden verstrichen, ohne dass der Klingelton ertönte. Tage gingen vorbei, ohne ein Mail.
Das Problem mit dem Internet
Nach einer Woche dann die Nachricht: Das Internet auf ihrer schottischen Insel war wegen eines Wintersturms unterbrochen. Es tue ihr sehr leid, aber beim schottischen Wetter und dem Leben auf einer Insel, käme das schon einmal vor. Claire Simonetta hat sich an das schottische Wetter gewöhnt. Seit April 2012 lebt die mittlerweile 25-jährige aus Dietwil AG dort.
Nach Schottland ging sie, um ein Praktikum in der Land- und Forstwirtschaft zu machen. Aus diesem einen Praktikum wurden mehrere, und danach begann sie in Schottland ihr Agriculture-Studium (entspricht etwa unserem Agraringenieur-Studium). «Ich hatte das nicht geplant, aber es hat mir so gut gefallen, dass ich bleiben wollte», erzählt sie, als das Internettelefon schliesslich funktioniert.
Wollte nie bauern
Über die Videokamera ist eine schlanke, ziemlich grosse Frau zu erkennen. Sie trägt einen grauen, dicken Pullover. Ihr langes braunes Haar ist zu einem dicken Zopf geflochten. Mit ihren grossen Augen blickt sie auf den Bildschirm vor sich. Mit tiefer, fester Stimme spricht sie weiter: «Eigentlich hatte ich nie vor, in die Landwirtschaft einzusteigen.» Seit sie siebenjährig war, lebte sie auf dem Hof ihres Stiefvaters.
Den Betrieb zu übernehmen, hat sie nie in Betracht gezogen. «Als ich ins Gymnasium kam, wurde mir von verschiedenen Richtungen vermittelt, dass Landwirtschaft und das Bauern nicht gut genug seien für meine Karriere. Deshalb dachte ich, ich müsste einen akademischen Weg gehen.» Nach der Matur habe sie zunächst in Zürich beim Handelsregisteramt gearbeitet und geplant, Astrophysik zu studieren.
Schottisch wie Chinesisch
Dann lernte sie Schottland kennen. Sie konnte damals mit ihrer Mutter, die Sekretärin des Schweizer Hochlandrinder-Vereins war, nach Glasgow an eine internationale Zusammenkunft reisen. Dort lernte Claire Simonetta spannende Leute kennen. «Auch mein heutiger Lebenspartner hat dort einen Vortrag gehalten.» Sie lacht ein tiefes Lachen, als sie davon erzählt. «Mein Englisch war damals nicht schlecht. Aber in Schottland nützen einem wegen des starken schottischen Akzents auch gute Englischkenntnisse nichts. Mein Partner hätte auch chinesisch sprechen können, ich hätte gleich viel verstanden», erzählt sie.
Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten hat es sie nach dem ersten Aufenthalt wieder dorthin gezogen. Heute studiert sie am Scotland’s Rural College im vierten Jahr Agriculture. In den Semesterferien und an den Wochenenden lebt sie bei ihrem Partner auf der Isle of Mull. Auf einer gepachteten 3200-ha-Schaf- und Hochlandrinder-Farm. «Es tönt grauenhaft, aber ich weiss nicht genau, wie viele Tiere wir momentan haben. Es ist schwer zu sagen, weil wir sie nicht immer alle finden», sagt sie. Dann legt sie sich doch fest auf etwa 1050 Mutterschafe und 55 Hochlandkühe plus deren Nachkommen.
Beste Studentin
Neben der Arbeit auf der Farm ist sie eine engagierte Studentin. So sehr, dass sie dafür mit Preisen ausgezeichnet wurde. 2015 hat sie die schottlandweite Auszeichnung als beste Agriculture-Studentin erhalten. 2016 dann die Auszeichnung als «National Agricultural Student of the Year 2016», die sie 2016 als beste Agriculture-Studentin von ganz Grossbritannien auszeichnete. Die Richter lobten ihre Kombination aus ausgezeichneten akademischen und praktischen Fähigkeiten, Zudem sei sie extrem und leidenschaftlich an der Landwirtschaft interessiert.
Wie kommt es, dass eine junge Schweizerin, so grosses Interesse an der schottischen Landwirtschaft hat? «Viele junge Schotten mit landwirtschaftlichem Hintergrund interessieren sich nicht für Agrarpolitik. Mir scheint es aber sehr wichtig. Sie greift in viele Lebensbereiche.» Ihr Partner etwa sei momentan Pächter. Sein Vertrag sei schlecht. In Schottland würden die Landbesitzer zu sehr geschützt, wodurch die Bauern eingeschränkt seinen.
Für Bauern einsetzen
«Dank meiner Erfahrung beim Handelsregisteramt kenne ich mich mit Gesetzestexten aus und kann mich auch auf juristischer Ebene engagieren. Ich habe bereits einigen Bauern bei gesetzlichen Fragen geholfen, arbeite mit ihnen zusammen und bin in sozialen Medien aktiv», sagt sie. Sie wolle sich in Schottland einbringen, weil sie das Land fasziniere, aber auch beängstige.
Aufgrund der eindrücklichen Natur und gleichzeitig der vielfältigen politischen, religiösen und ökonomischen Problemen. «Ich bin sehr froh, dass ich nach Schottland gekommen bin und als Bäuerin versuchen kann, mitzuhelfen, die Zukunft besser zu machen.»
«Die weiss was»
Dank der Auszeichnungen könne sie sich noch besser engagieren. Gerade weil sie Ausländerin sei, sei diese Anerkennung wichtig. «Die Leute merken dank der Preise, aha, die weiss was, obwohl sie nicht hier aufgewachsen ist. Das bringt mir den Respekt, den ich für mein Engagement brauche.» Nicht nur Respekt hat sie durch die Auszeichnungen bekommen, sondern auch mehrere Jobangebote im Bereich landwirtschaftlicher Beratung.
«Bevor ich ein Angebot annehme, möchte ich aber schauen, wie es bei uns auf dem Betrieb weitergeht. Wir sind noch einiges am Aufbauen, und ich möchte sehen, wohin das führt». Später würde sie gerne teilzeit arbeiten. Auf dem Betrieb werde sie vor allem während der Lamm- und Schersaison gebraucht. Daneben könnte sie gut noch extern arbeiten.
Eigene Kinder
In dem Moment, als die Zukunft zur Sprache kommt, wird das Telefongespräch von den Kindern ihres Partners unterbrochen. «Ich führe übers Internet eine Unterhaltung, bitte seid nicht zu laut und werft die Türe nicht ins Schloss», sagt sie auf englisch, und ihr schottischer Akzent ist deutlich zu hören.
Jede zweite Woche sind die Kinder bei ihnen auf dem Hof. «Eigene Kinder sind im Moment kein Thema für mich. Ich will nichts ausschliessen, aber im Moment hat meine Arbeit in der und für die schottische Landwirtschaft Priorität», sagt sie mit bestimmter Stimme.