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«Als die Strassen noch keinen Teer hatten»

Ruedi Roth |

 

Während der Coronapandemie fallen Veranstaltungen aus, und es bleibt mehr Zeit, um einander zuzuhören. Wenn der 94-jährige Adolf Frei aus Hemberg Geschichten aus vergangener Zeit erzählt, gerät mancher ins Staunen.

 

Auf dem Stubentisch des 94-jährigen Adolf Frei aus Hemberg SG liegen Tages- und Wochenzeitschriften. Er liest sie gründlich. Und das, obwohl ihm seine Lehrerin einst in sein Zeugnis geschrieben hatte: «Adolf ist sehr fleissig. Aber das Lesen bereitet ihm Mühe.»

 

Adolf Frei interessiert sich für die Landwirtschaft und für das Weltgeschehen, das war schon immer so. Und vielleicht erinnert er sich genau deshalb noch an viele Begebnisse aus früherer Zeit.

 

Kühe fressen Chries

 

So mag sich Adolf Frei noch gut an Bauer Künzle erinnern, der sein Heu in den Dreissigerjahren in zwei Scheunen untergebracht hatte, um jenes im einen Heustock an einen anderen Viehhalter zu verkaufen. Es sollte ihm etwas Geld in die arg strapazierte Kasse bringen.

 

«Doch Künzle verkaufte jedes Mal zu viel», weiss Frei. Ging es dem Frühling entgegen, musste er als Futterersatz für seine Kühe täglich Weisstannenchries aus dem Wald holen. Suppenteller besass die Familie keine. In der Mitte des Esstischs gab es deshalb eine Ausbuchtung, die als Teller für alle diente.

 

Winter in den Dreissigerjahren

 

Eine andere Erinnerung aus der Region: Da habe es Jakob Keller gegeben, den Wirt des Restaurants Sonne, weiss Adolf Frei. Der Sonnewirt, wie ihn alle genannt hätten, habe nebst seiner Beiz ein Fuhrunternehmen betrieben und habe mit seinen Pferden Heu, Stroh, Kies und Holz transportiert. Hin und wieder habe er auch als Leichentransporteur einspringen müssen.

 

So sei in einem Winter in den Dreissigerjahren ein Hemberger im Spital Herisau verstorben, und Jakob Keller habe von den Angehörigen den Auftrag erhalten, den Sarg mit dem Verstorbenen für dessen Beerdigung ins Dorf nach Hemberg zu holen. Er sei etwas früh drangewesen, der Jakob Keller, weiss Frei, sodass er auf seinem Weg nach Herisau manchem «Wirtschäftli» einen Besuch abgestattet habe.

 

Der Geschichtenerzähler Adolf Frei

 

Adolf Frei lebte während seiner Jugendzeit auf einem Bauernhof in der Toggenburger Gemeinde Hemberg im Kanton St. Gallen. Nach der Primarschule war er auf verschiedenen Bauernhöfen als Knecht tätig. Nach der Heirat mit der Hembergerin Olga Schafflützel übernahm er einen kleinen Bauernbetrieb unweit des elterlichen Hofes. Sechs Kinder wurden dem Paar geschenkt. Adolf Frei interessierte sich immer schon sehr für die Geschehnisse der Gemeinde. Er amtete zudem in verschiedenen Gremien und übte viele Jahre lang das Amt des Hemberger Feuerwehrkommandanten aus.

Seine Offenheit gegenüber Neuem und Modernem zeigte sich beim Bau seiner neuen Scheune in den Sechzigerjahren. Der 200 Kubikmeter fassende Güllekasten und die Entmistung, die er installieren liess, waren damals aussergewöhnliche Einrichtungen in der Bergregion. Während all der Jahre war das Holzen der hauptsächliche Nebenverdienst der Familie Frei. Nach der Hofübergabe an seinen Sohn half Adolf Frei weiter auf dem Hof und liess sich über die Sommermonate von einer landwirtschaftlichen Genossenschaft als Älpler anstellen. Adolf Frei wohnt noch heute in Hemberg und besucht seine Bekannten gerne mit dem Auto. Er liest viel und lässt sich gerne von Freunden zu einem Jass überreden. 

 

Leichnam verloren

 

Angeheitert sei er beim Spital angekommen, habe den Sarg auf seinen Wagen aufgeladen und sich wieder auf den Rückweg gemacht. Die Pferde hätten den Weg ja fast von alleine gewusst. Also habe er auf dem Weg zurück noch die Serviertochter im Restaurant Kreuz und jene im «Schäfli» besucht. Es habe stark geschneit, doch der Transport habe den Zielort trotz steiler Strasse mühelos erreicht.

 

Kein Wunder, denn dort angekommen, hätten Jakob Keller und die Angehörigen des Verstorbenen festgestellt, dass der Sarg nicht mehr auf dem Wagen gewesen sei. Um den verlorenen Leichnam finden zu können, hätten alle helfen müssen. So sei es dem betrunkenen Transporteur nicht möglich gewesen, den in einer Schneeverwehung verschwundenen Sarg mit dem Toten alleine wieder aufzuladen.

 

Fünfliber ausgegangen

 

Wenn der Sonnenwirt die Hemberger Landwirte mit Heu oder Stroh bedient habe, habe er oftmals mit der mangelnden Zahlungsmoral der Belieferten zurechtkommen müssen. «Schon damals schaute halt fast jeder in erster Linie für sich selbst», sagt Geschichtenerzähler Adolf Frei.

 

«Manchmal ging es dann so weit, dass Jakob Keller die Fünfliber ausgingen.» Diese hätte er aber benötigt, um seinen Münzautomaten für den Bezug von Elektrizität zu füttern. So sei es ab und zu vorgekommen, dass in der Wirtsstube der «Sonne» nur Kerzenlicht geleuchtet habe.

 

Mit Öl gegen Staub

 

Die Strassen in der Gemeinde Hemberg seien spät mit einem Teerbelag versehen worden. «Da waren die Appenzeller früher dran», erinnert sich Adolf Frei. In trockenen Zeiten habe sich deshalb unerhört viel Staub entwickelt, wenn ein Fuhrwerk oder ein Auto auf den Hemberg gefahren sei. Dagegen habe Strassenmeister Müller von der Frohwies im Jahr 1957 nur eine Abhilfe gesehen.

 

Er habe angeordnet, es solle mit Altöl ausgerückt werden. Die Strasse sei mit Spritzkannen voller Öl übergossen worden, welches dann mit Reisigbesen schön verteilt worden sei. «So war wenigstens eine Weile der Staubanfall vermindert und das Altöl grad auch noch entsorgt.»

 

Öl im Wald entsorgt

 

Der fragwürdige Umgang mit Öl sei aber nicht nur in Hemberg praktiziert worden: 1947 habe Adolf Frei die Rekrutenschule in Bière VD besucht. In diesem Jahr habe es dort zum ersten Mal eine motorisierte Truppengattung gegeben. Habe bei den Lastwagen das Öl gewechselt werden müssen, habe es von den Vorgesetzten einen klaren Befehl gegeben. Das Altöl habe angemessen entsorgt werden müssen.

 

Der Wald sei dafür geeignet erschienen. «Ein metertiefes Loch haben wir dort ausgehoben, das Öl hineingeleert, Erde darübergeschüttet, und fertig war die Sache», sagt Frei. Das allgemeine Aufkommen der Mechanisierung habe auch die Entsorgung von ausgedienten Fahrzeugen erfordert. Aus damaliger Sicht sei es kein Problem gewesen, die Schrottvehikel in einem Graben oder in einem Loch aufeinanderzubeigen, weiss Frei.

 

«Umesäger» statt Zeitung

 

In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hätten nur wenige Leute eine Zeitung abonniert. Und der Postbote sei nicht jeden Tag auf den zum Teil abgelegenen Höfen erschienen. Man habe aber gewusst, wenn die Kirchenglocken um 12.30 Uhr geläutet hätten, sei jemand gestorben.

 

Damit die Bürger möglichst schnell erfahren hätten, wen es getroffen habe, habe es den «Umesäger» gegeben. Der Meier habe dies besorgt. «Eigentlich ein solider Mann», erinnert sich Frei, «aber eben, beim Umesäge habe er halt da und dort ein Schnäpschen erhalten, was seinen Kopf gehörig durcheinandergebracht habe.» Es sei dazugekommen, dass gar der Meier auf dem Hof die Frage gestellt habe, wer denn nun gestern verstorben sei.

 

Wer mehr von Adolf Frei lesen will, findet weitere seiner Geschichten am Sonntag, 21. März, auf www.schweizerbauer.ch.

Kommentare (1)

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  • Mark Koller | 26.03.2021
    Diese alten Geschichten haben etwas Erheiterndes und zeigen eine ländliche und bodenständige Heimat, welche die meisten nicht mehr im eigenen Erleben kennengelernt haben. Adolf Frei wünsche ich alles Gute weiterhin gute Gesundheit für ihn und seine Familie.

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