«Schweizer Bauer»: Am Sonntag, 30. Juli, gab es im Gebiet Gwalpeten einen Bergsturz, bei dem 450 ’ 000 Kubikmeter Stein herunterkamen. Wie haben Sie das erlebt?
Bernhard Gwerder: Steine sind auf der Alp immer schon heruntergekommen, auch in den neun Jahren, in denen meine Familie sie bewirtschaftet. Vor drei Jahren waren es plötzlich mehr Steine. Ich habe das der Gemeinde gemeldet. In der Folge mussten wir unter dem Berg die Weide, die wir Kanzel nennen, auf Gwalpeten abalpen. Dort hatten wir immer viele Rinder geweidet. Dann hielt sich der Berg zwei Jahre lang still, wir konnten einen Grossteil der Kanzel wieder beweiden. Nun, am 6. Juli, kurz vor dem Bestossen der Kanzel fielen 20’000 Kubikmeter Steine runter, so viel wie noch nie. Interessant war, ich konnte zuschauen. Die Steine sind gefallen, als hätte man einen Turm gesprengt. Damals kamen alle neuen Steine auf dem bestehenden Geröllfeld zu liegen.
Die Schäden waren also zu diesem Zeitpunkt nicht gross?
Nein. Die Behörden installierten dann eine Überwachungsanlage auf dem Berg, die regelmässig Bilder übermittelte. Ein bestehender Spalt wurde innerhalb von knapp zehn Tagen um 15 cm breiter. Da konnte man sich ausrechnen, dass dieses Jahr noch etwas geschehen könnte. Die Gemeinde empfahl uns, das Vieh in Sicherheit zu bringen.
Bernhard Gwerder, Landwirt in Muotathal, auf seiner Alp im Bisisthal.
zvg
Haben Sie den Rat befolgt?
Ja, ich habe die Gefahr ja auch gesehen. Eine gute Woche vor dem grossen Ereignis vom 30. Juli bin ich mit Theo Pfyl, dem Stabschef der Gemeinde Muotathal, auf den Oberstafel der Ruossalp gegangen …
… diese Alp liegt gleich gegenüber und bietet einen guten Überblick auf das betroffene Gelände.
Ja, wir haben von dort aus überlegt, wo das Vieh noch sicher ist, und kamen zum Schluss, dass man einen grossen Teil des Viehs abalpen oder auf andere Alpen verteilen muss. Denn, da das Gefahrengebiet nicht mehr beweidet werden durfte, hatte ich nicht mehr genug Futter für alle Tiere. Mit den Kühen sind wir wieder auf die unterhalb liegende Alp Waldi «gefahren», das heisst, die Tiere gingen zu Fuss. Wir fragten die Korporation Uri und die Nachbarn an, so konnten wir diverse Tiere abgeben. Und das war gut! Wo wir sonst die Kühe um diese Zeit geweidet hatten, kam jetzt der Berg runter. Hätten wir sie nicht abgealpt, wären sie unter den Bergsturz geraten. Die Rinder hielten wir mit Zäunen von der Gefahrenzone fern.
Wie viel Vieh hatten Sie überhaupt gealpt?
Knapp 70 Stück. 15 bis 16 Milchkühe, restliche 45 Stück Jungvieh, hauptsächlich Kälber, einjährige Rinder sowie 20 bis 25 Ziegen.
Wie viel Vieh ist jetzt noch oben?
Jetzt befinden sich nur noch die Ziegen, vier Galtkühe und elf eigene Rinder auf der Gwalpeten.
Manuel, Reto, Bernhard und Brigitte Gwerder.
zvg
Wie sieht es bezüglich Entschädigung oder Versicherung aus? Die Genossame Muotathal als Landbesitzer und Sie als Pächter und Bewirtschafter haben ja einen grossen Schaden erlitten.
Da ist nichts in Aussicht, ausser, dass mir wie schon vor drei Jahren trotz vorzeitiger Abalpung die vollen Alpungsbeiträge zugesichert worden sind.
Wie sieht es für 2024 aus?
Ich habe keine Ahnung, wie viel Vieh ich überhaupt alpen werde können. Ich weiss nicht, wie viele Stösse ich verlieren werde. Das grösste Problem ist, dass oben auf der Kanzel die einzige Wasserquelle verschüttet worden ist. Das Grasland, das noch vorhanden ist, bringt nichts, weil es dort oben kein Wasser mehr gibt. Das heisst, rund 10 Hektaren frühere Weide sind nicht mehr nutzbar. Waldi und Gwalpeten hatten zusammen bislang 44 Normalstösse gehabt. Waldi allein hat 16 Normalstösse, also sind gesamthaft 28 Normalstösse betroffen oder in Frage gestellt.
Und bezüglich Bergsturz, was sagen die Fachleute?
Es fallen weiterhin im kleinen Rahmen Steine, aber ein weiterer grösserer Felssturz wird nicht mehr erwartet. Offen ist, ob die Bäche Material aus den Schuttkegeln mitnehmen werden. Das könnte die Gwalpetenhütte, die Christian Schmidig gehört, gefährden.
Geräumt wird nicht?
Nein, das kann man nicht. Man muss jetzt den Bach im Auge behalten, damit nicht noch mehr Geröll auf das Wiesland gerät.
Wer gehört zu Ihrer Familie? Wer ist betroffen?
Meine Ehefrau Brigitte und ich und fünf Kinder, drei Mädchen (Petra, Anette, Heidi) und zwei Buben (Reto, Manuel). Von den fünf Kindern sind nur noch drei zu Hause, Reto ist im letzten Schuljahr, Manuel ist im dritten Lehrjahr als Landwirt, und Heidi ist gelernte Malerin. Unten im Muotathal haben wir das Heimwesen Figgleren mit viel Steillagen und Handarbeit, es umfasst 3 Hektaren Eigenland und 17 Hektaren Pachtland.
Wie geht es Ihnen als Familie?
Es geht uns nicht so schlecht, wir haben ja gewusst, dass ein Bergsturz wahrscheinlich bevorsteht. So konnten wir uns darauf einstellen. Was uns beschäftigt, ist die grosse Unsicherheit, wie es weitergeht. Was ist, wenn wir viele Normalstösse verlieren. Ob das Alpen sich dann noch lohnen wird.
Denken Sie, dass das Ereignis etwas mit dem Klimawandel zu tun hat?
Es hat ja weiter oben noch eine Schafalp. Der 60-jährige Schafälpler sagt, der Berg habe schon immer gebröckelt, schon vor Jahren, als noch niemand vom Klimawandel gesprochen habe.
Möchten Sie noch etwas sagen?
Ja, gerne. Und zwar möchte ich allen Leuten Danke sagen, die unbürokratisch geholfen, die grosszügig Vieh übernommen haben.