Wie aus einer Tierart viele Arten werden, lässt sich vorhersagen. Dies schliessen Schweizer Forscher aus der Analyse von Buntbarschen in sämtlichen afrikanischen Seen. Demnach fördern starke Partnerwahlpräferenzen und tiefe Seen die Artbildung. Auch Felchenarten in Schweizer Seen wurden unterrsucht.
Die Vielfalt der Lebewesen ist eine Art Versicherung für die Natur und die Menschheit. So sind Fischbestände mit vielen Arten weniger störungsanfällig, was die Fischerei-Erträge und das Funktionieren des Ökosystems stabilisiert. Deshalb ist es von grosser Bedeutung zu verstehen, wieso sich in manchen Fällen eine Art in viele neue Arten aufteilt, meistens aber nicht.
650 Arten untersucht
Dazu untersuchten Forscher bisher entweder die Umweltbedingungen und die Anpassung der Lebewesen daran oder artspezifische Merkmale, wie ihre Vorlieben in der Partnerwahl. Doch erst anhand beider Faktoren zusammen lässt sich erklären, welche Arten sich auffächern, berichtet nun das Team um Ole Seehausen von der Wasserforschungsanstalt des ETH-Bereichs Eawag und der Universität Bern in der Vorausgabe des Fachblatts «Nature».
In der bislang umfassendsten Rekonstruktion der Evolutionsgeschichte der Buntbarsche analysierten die Biologen die Merkmale von rund 650 Arten in 46 afrikanischen Seen. Zudem erhoben sie die Umweltmerkmale der Seen wie Grösse, Tiefe, Sonneneinstrahlung und Präsenz von Raubfischen. Buntbarsche sind berühmt dafür, dass in manchen Seen in kurzer Zeit sehr viele Arten entstanden sind.
Höhere Vielfalt in tiefen Seen
Die Wahrscheinlichkeit für eine Artenexplosion war deutlich höher, wenn der See tief war, hohe Sonneneinstrahlung erhielt und die Farbunterschiede zwischen Fischmännchen und -weibchen gross waren. Letzteres bedeutet, dass die Weibchen starke Partnerwahl ausüben. Dies verstärkt die genetische Isolierung von Gruppen und fördert im Zusammenspiel mit Umweltanpassungen die Artbildung.
Die Grösse der Seen war hingegen weniger bedeutsam. Tiefe Seen bieten den Fischen offenbar mehr unterschiedliche Lebensräume: Mit zunehmender Tiefe verändern sich Licht, Nahrungsangebot, Temperatur und Sauerstoffgehalt. «Die Wassertiefe scheint ein sehr starkes Kriterium bei der Artenbildung zu sein», sagte Seehausen zur Nachrichtenagentur sda.
Gleicher Prozess in Schweizer Seen
Dies ist auch in Schweizer Mittellandseen der Fall, wie Seehausens Team in früheren Studien zeigen konnte. In tiefen Seen entstanden etliche Felchenarten mit unterschiedlichen Nahrungs- und Partnerpräferenzen. Wo es in der Tiefe jedoch wegen Nährstoffeinträgen zu Sauerstoffmangel kam und diese unbewohnbar wurde, vermischten sich die Arten im Flachwasser wieder und verschwanden.
In Afrika geschieht das Gleiche, wenn Seen durch Nährstoffeinträge verschmutzt werden oder die Menschen Seewasser zur Bewässerung abpumpen. «Wenn die Tiefengradienten durch Abzug von Wasser stark verändert werden, kollabiert der Artenreichtum wieder», sagte Seehausen. Im See Genezareth in Israel und im Guinas-See in Namibia seien so bereits Arten verloren gegangen, respektive vom Aussterben bedroht.
Einfluss menschlicher Eingriffe vorhersagen
Dass jetzt die Konstellationen bekannt sind, die zur Artbildung führen, ist laut Seehausen in mehrerer Hinsicht bedeutsam: Erstens für das Verständnis des evolutionären Prozesses an sich. Zweitens lässt sich so besser vorhersagen, wo bislang unbekannte Vielfalt zu erwarten ist. Letztlich lässt sich auch der Einfluss menschlicher Eingriffe auf die bestehende Vielfalt besser vorhersagen.
Für andere Biologen, die die Artenbildung studieren, sei die Studie ein Hinweis, künftig umwelt- und artspezifische Faktoren stets gemeinsam anzuschauen. «Es ist gut möglich, dass das Zusammentreffen eines differenzierten Partnerwahlsystems mit ökologischen Anpassungen die Artbildung fördert - nicht nur bei Buntbarschen», sagte Seehausen.


