«Also bei uns ist alles gut, wir haben keine Probleme»

Wir alle kennen Konflikte – doch die gefährlichsten sind jene, über die niemand spricht. Barbara Eiselen gibt Einblicke in ihre Erfahrungen als Coach in der Landwirtschaft und erklärt, wie das Schweigen in vielen Familien nicht die Harmonie fördert, sondern zu ungelösten Konflikten führt, die über Jahre hinweg Beziehungen belasten.

Barbara Eiselen |

Schweigend aus einem Konflikt zu gehen, ist keine Ruhe und kein Frieden, sondern Brennstoff einer Konfliktdynamik – die «Ruhigen» merken das aber meist gar nicht. Jeder und jede hat schon einmal Konflikte erlebt. Und das ist völlig normal.

Würde jemand das Gegenteil behaupten, wäre es eine glatte Lüge, denn es ist unter Menschen schlicht nicht möglich, konfliktlos zu leben. In dieser Kolumne gehe ich auf die schweigenden Konflikte ein – und warum diese schädlich sind.

Die Illusion der konfliktfreien FamilieIn

Familien, die sich konfliktlos und rein geben, schwelen oft die allergrössten Konflikte – doch man schweigt einfach darüber. Sie werden unter den Teppich gekehrt. Oft seit Generationen. Solche Familien geben sich friedlich und schier heilig, und es heisst: «Bei uns ist alles in Ordnung.» Weiter noch: «Wenn du ein Problem mit uns hast, dann muss das zwangsläufig mit dir zu tun haben, denn mit uns ist alles gut.» Nicht selten hat dann die Schwiegertochter oder der Schwiegersohn ein Problem. Aber darauf bin ich in anderen Kolumnen bereits eingegangen.

So zu tun, als habe man keine Konflikte, nur weil man darüber schweigt, ist keine Konfliktlösungskompetenz, sondern schlicht Vermeidung. Und das zermürbt Beziehungen leise und langsam über Jahre hinweg – bis nichts mehr geht. Aber man hat immer noch keine Probleme. Und wenn man welche hat, dann sind es die der anderen, denn eines ist klar: «Wir haben keine Probleme – bei uns, oder zumindest bei mir, ist alles gut.»

Warum Konflikte entstehen

Aber wie kommen Konflikte überhaupt zustande? Dafür ist es wichtig, ein Grundverständnis für das menschliche Wesen zu schaffen. Jeder Mensch stellt manchmal – meist unwissend – Dinge an, die andere verletzen. Das ist einfach so. Daran ist nichts Schlimmes – es ist schlicht menschlich.

Problematisch wird es aber sehr schnell, wenn genau diese Einsicht fehlt, ohne die es nicht möglich ist, eigene Fehler einzugestehen. Und das ist ein sehr weit verbreitetes Phänomen. Es gibt viele Menschen, die von sich meinen, einfach nur gut zu sein – Achtung: weil sie es gut meinen. Und da passiert eine Verwechslung: Nur weil jemand es gut meint, heisst das noch lange nicht, dass es auch gut ist. Diese Unterscheidung ist zentral, und wirklich böswillige Menschen gibt es nur wenige. Und bei dieser Unterscheidung liegt der Hund begraben. Das Selbstbild «Ich meine es gut, also ist es gut» hat über die Jahre oft schwerwiegende Auswirkungen auf Beziehungen und Kommunikation.

Kolumne mit Barbara Eiselen

Barbara Eiselen ist Agronomin und war viele Jahre in der landwirtschaftlichen Lehre und Forschung in den Bereichen Betriebswirtschaft, Agrarpolitik und -märkte tätig. Sie schreibt einmal im Monat für den «Schweizer Bauer» und greift in ihrer Kolumne Themen auf, die unsere Leser beschäftigen.

In ihrer beruflichen Laufbahn erkannte sie, dass es sich bei Hofstrategien und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen meistens um tieferliegende Themen handelt.

Barbara Eiselen bildete sich fort in den Bereichen Coaching, Psychologie und Familiensysteme und ist heute selbstständige Beraterin. Sie hat die Vision, die Hemmschwelle für Tabu-Themen in der Landwirtschaft zu brechen, so dass man sich frühzeitig Hilfe für die wahren Probleme holen darf.

Sie nennt es «den Service für die Seele, die Psyche und die Ehe, genauso wie der Traktor auch seinen jährlichen Service bekommt». Eiselen ist Bauerntochter und Schwiegertochter einer Bauernfamilie.

Ein Beispiel aus dem Familienalltag

Gerne gebe ich ein konkretes Beispiel, wie so eine Konfliktdynamik aussehen kann: Die junge Generation will den Garten umgestalten und sich einen gemütlichen Sitzplatz mit Abendsonne und Grillstelle einrichten. Bei der älteren Generation triggert das irgendetwas – keine Ahnung was. Vielleicht löst es Angst aus, dass der Garten danach weniger schön aussieht? Vielleicht meint man, so ein Freizeitvergnügen brauche es nicht? Jedenfalls ist es irrational – und menschlich. Es wird laut.

Und was passiert in einer Familie, in der «man es doch gut hat»? Man geht einander schnell aus dem Weg und vermeidet die Eskalation. Jeder zieht sich zurück, meidet die Auseinandersetzung und damit den Konflikt. Das Ergebnis? Zwanzig Jahre später gibt es immer noch keinen Sitzplatz. Die junge Generation macht die Faust im Sack, lässt aber Gras drüber wachsen. Gelöst wurde dieser Konflikt nie. Und in solchen Konstellationen gibt es meist einen Haufen weiterer Konflikte, die ebenfalls nie gelöst werden können. Denn: Man hat ja keine Probleme.

Die Folgen des ewigen Schweigens 

In Wahrheit sind die Probleme aber so gross, dass man eine Müllhalde füllen könnte. Eigentlich wäre die Eskalationsstufe längst erreicht. Aber man schweigt konsequent darüber. Und die Wahrheit ist, dass es den Menschen, die darin leben, in Wirklichkeit gar nicht gut geht.

Es zeigen sich Symptome wie Depressionen, Ängste, Schlafstörungen oder passiv-aggressive Kommunikation. Aber «man hat es gut». Und das ist nun wirklich ironisch gemeint!

Rückzug: hilfreich oder gefährlich?

Rückzug an sich ist nichts Schlechtes – er verschafft eine Pause, um nachzudenken. Schädlich wird er dort, wo er systematisch ist, Konflikte nie gelöst werden und sich ins Unermessliche anhäufen. Meist über Generationen.

Um aus solchen Dynamiken auszusteigen, braucht es Reflexion. Das Ziel ist, genau zu verstehen, was abgeht. Erst dann können Wege gefunden werden, um auszusteigen. Das ist keine leichte Sache und erfordert auch die Grösse, für die eigenen Fehler einzustehen. Aber Achtung: nur für die eigenen.

Konflikte sind normal und menschlich – der Umgang damit ist es in vielen Familiensystemen nicht.

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