Unter dem Motto «Bürogummi wird Bauer» hat Sebastian Hagenbuch sein zweites Lehrjahr in seiner Zweitausbildung als Landwirt in Angriff genommen. Er berichtet in seinem Blog regelmässig über seine Ausbildung. Sebastian hat seine Abschlussrede auf Schweizerdeutsch geschrieben.
Gegen Ende meiner Ausbildung standen die Erntearbeiten rund um den Weizen und den Raps auf dem Programm. Eine schöne Sache, da ich bereits beim Anbau dieser Kulturen mitwirken und sie während meinem 3. Lehrjahr mit etwas besser geschulten Augen als noch vor einem Jahr beobachten konnte.
Es ging gehörig die Post ab in der letzten Woche: Raps und Weizen geerntet, Stroh eingefahren, Stoppelbearbeitung erledigt, dazu die Ackerbohnen gehackt und Gülle ausgebracht. Die Ernte ist trotz teilweisem Auswuchs beim Brotgetreide ziemlich gut verlaufen. Insbesondere der Bio-Raps warf einen rekordverdächtigen Ertrag ab. Es war für mich ein neues Gefühl, dass ich auch zu mehreren Fuhren Weizen oder Raps, wo praktisch alle Arbeiten auch im Biolandbau maschinell erledigt werden und es sich um „Massenware“ handelt, eine Beziehung oder einen Produzentenstolz haben kann. Das ist wohl eine Folge vom grösseren Verständnis, was es alles brauchte, damit die Kulturen gut geraten sind.
Obwohl mein bescheidener Lehrlingslohn nicht an den Ernteerfolg gekoppelt ist, kam ich gehörig auf meine Kosten: Ich durfte jeweils das Getreide in der Mühle abliefern, und dort erlebt man in mehreren Stunden Wartezeit doch so einiges: Ein Riesenhaufen Getreide mit einem kleineren, aber doch beträchtlichen Häuflein Landwirte bietet Geschichten am Laufmeter. Da werden Hosenträger gestreckt, Fantasiezahlen über Erträge genannt, im gleichen Atemzug gejammert über’s Wetter, die Politik und die Konsumenten, gefachsimpelt über Fallzahlen, Proteingehalten und Getreidesorten, Räubergeschichten aus alten Tagen ausgetauscht, in Erinnerungen geschwelgt und dazu Most getrunken.
Beispielsweise habe ich vernommen, dass jemand vom jemandem gehört hat, dass wir zu Hause 105 kg Gerste gedroschen haben. Das war mir neu und auch keineswegs der Realität entsprechen. An der Wahrheit (92 kg) war aber niemand wirklich interessiert. Man glaubt, was man glauben will, auch der Geschichte zu liebe. Bei einigen Bauern hatte ich den Eindruck, dass ihnen die Wartezeit gerade recht kam, andere sassen wie auf Nadeln, weil sie zu Hause noch viel Arbeit vor sich hatten.
Abenteuerliche Lastenzüge
Auch die Gefährte, welche die Landwirte hervorkramen um die Frucht zur Mühle zu bringen, sind abenteuerlich. Es gibt alle Variationen: Riesen-Schlepper mit Mini-Schrottanhänger, welcher höchstens einen mittelgrossen Rucksack ersetzt. Grossvaters erster Traktor mit 2 bumsvollen Anhängern, selbstverständlich jeder ohne Bremsen. Grosser Traktor mit modernem Abschiebewagen, Kipper mit originellen Eigenkonstruktionen zur Volumenvergrösserung, abgeänderter Lastwagenanhänger der Marke Eigenbau – so vielseitig ist die Schweizer Landwirtschaft.
Ebensogross war die Streuung der angelieferten Ware: Trockener Weizen in bester Qualität, feuchter und vor Wärme sogar leicht dampfender Weizen, welcher trotzdem schon Auswuchs hat oder Raps mit haufenweise Ernterückständen Das Personal bei der Mühle brauchte Nerven, zeigte diese aber nicht gross: Geduldig beantwortete man immer wieder die gleichen Fragen, nahm Proben, übermittelte möglichst schonend die Hiobsbotschaft von Auswuchs und Feuchtigkeit oder gratulierte mit sympathischem Lächeln zur guten Qualität. Jetzt wird noch Gras angesät und Emd eingebracht, bevor sich die Akte „Landwirtschaftliche Lehre“ schliesst.