Das Temperament einer Kuh weist eine relativ hohe Erblichkeit auf. Genomische Zuchtwerte können helfen, laufstalltaugliche, ausgeglichene Kühe zu züchten. Das haben Untersuchungen an 1800 Braunviehkühen gezeigt.
Die Schweizer Milchviehherden werden grösser und grösser. Zudem werden die Kühe immer öfter in Laufställen gehalten. «Da spielt das Temperament der Tiere eine nicht zu unterschätzende Rolle», findet Anna Bieber. Sie arbeitet am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick AG, und sie hat am Projekt LowInput Breeds (siehe Kasten) mitgearbeitet, genauer am Teilprojekt Rinder. Dieses wurde vergangenes Jahr abgeschlossen.
1800 Kühe untersucht
Bieber zieht ein interessantes Fazit: «Die Verhaltensmerkmale der Kühe weisen teilweise erstaunlich grosse Erblichkeiten auf (siehe Tabelle). Sie lassen sich züchterisch teilweise besser bearbeiten als erwartet. Dies auch dank der genomischen Zuchtwertschätzung.» Das gelte im Übrigen auch für die Eutertiefe, so Bieber.
Sie hat mit anderen Forschern auf 40 Schweizer Braunviehbetrieben 1800 Kühe beobachtet und vermessen, wobei auch die Bauern viele Informationen geliefert haben. «Wir sammelten Daten zu Tiergesundheit, Fruchtbarkeit und aber auch zum Verhalten», erklärt sie das Vorgehen. Konkret wurden beim Verhalten das Temperament, das Melkverhalten, die Aggressivität und die Rangordnung der Kühe erfasst.
Zappeln beim Melken
Das Temperament beschreibt, ob eine Kuh in der Herde als sehr nervös oder eher als ruhig gilt. Das Melkverhalten gibt an, ob sie während dem Melken zappelig oder gelassen ist. Die Aggressivität charakterisiert, ob sich eine Kuh gegenüber Herdengefährtinnen angriffig oder friedlich verhält. Die Rangordnung ordnet ihr den Platz, den sie nach Auffassung des Bauern in der Herde innehat, zu.
Temperamentvolle Kühe können Unruhe in die Herde bringen, was zu Stress bei den anderen Kühen und zu Einbussen bei der Milchleistung oder in der Fruchtbarkeit führen kann. Im Melkstand benötigen diese Kühe mehr Aufmerksamkeit und bergen ein höheres Verletzungsrisiko für den Melker. Sehr träge Kühe sind hingegen ein Hindernis, wenn die Herde auf die Weide oder zum Melken getrieben wird. Kühe, die sich aggressiv verhalten, sind häufig in Rangkämpfe verwickelt.
1200 Kühe typisiert
Nach dieser Datenerhebung wurden 1200 ausgewählte Kühe typisiert. «Wir konnten so erstmals genomische Zuchtwerte für die erfassten Merkmale schätzen», so Bieber. «Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere das Temperament eine hohe Erblichkeit aufweist.» Das Verhalten während des Melkens wird hingegen kaum durch die Gene beeinflusst.
Zwischen dem Temperament und dem Melkverhalten besteht zudem praktisch keine genetische Korrelation. «Kühe, die innerhalb der Herde sehr lebhaft sind, können also beim Melken durchaus sehr ruhig sein oder umgekehrt», erläutert die Forscherin. Die Aggressivität und die Rangordnung innerhalb der Herde weisen ebenfalls nur geringe Erblichkeiten auf.
Messen statt schätzen
Auch bezüglich Exterieur hat LowInputBreeds neue Erkenntnisse geliefert. Bieber: «Bei der Eutertiefe zeigten unsere direkten Messungen, dass dieses Merkmal züchterisch noch weiter verbessert werden könnte.»
Rinder, Schafe, Schweine, Hennen
Im EU-Projekt LowInput Breeds (Zucht extensiv gehaltener Tiere) wurden von 2009 bis 2014 Zucht- und Managementstrategien untersucht, um die Tiergesundheit, die Produktqualität und die Produktivität in den Bereichen Milch, Fleisch und Eier zu optimieren. Den Rindern, Schafen, Schweinen und Legehennen war je ein Teilprojekt gewidmet. Bei den Schafen zeigte sich, dass die Genetik die Widerstandsfähigkeit gegen Hitze, Parasiten und Mastitis beeinflusst. Untersucht wurden griechische Sfakiano-Milchschafe. Im Teilprojekt Schweine suchte man nach Rassen, die sich für Low-Input-Systeme eignen. Damit und mit dem Management konnten die Ferkelsterblichkeit reduziert und die Fleischqualität verbessert werden. Im Legehennenprojekt wurden Optimierungen bei der Fütterung gesucht sowie Lösungen gegen das Federpicken. sum