
Die Kategoriensiegerin Longeraie Cadillac Mimosa (l.) an der letztjährigen Junior Bulle Expo hat mit Kings-Ransom King Doc Cadillac-ET einen Vater, der mit Kingboy mütterlicher- und väterlicherseits den gleichen Grossvater aufweist.
Robert Alder
Schnelle Generationenintervalle durch die genomische Selektion brachten der Rindviehzucht in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte. Die Analyse der Zuchtwerte, bereits kurz nach der Geburt, ermöglicht frühes Selektieren und führt in der Praxis zu einem intensiven Einsatz der Jungstiere mit ausgezeichneten Zuchtwerten.
Leider werden genomisch getestete Stiere aber nicht selten nach den ersten Ergebnissen der Töchterleistungen zurückgestuft. Die beeindruckenden Zuchtwerte täuschen häufig über hohe Inzuchtwerte hinweg. Die guten Tiere weisen meist ähnliche Abstammungen auf, was die hohen Inzuchtwerte erklärt. Durch die fortlaufende Zucht mit diesen Linien gehen weniger starke, aber genetisch wertvolle Linien verloren.
Inzucht-Richtwert nicht überschreiten
Es ist kein Geheimnis, dass ein gewisser Inzuchtgrad auch positive Effekte auf die Zucht haben kann. Dass die Linienzucht jedoch ebenso die negativen Eigenschaften festigen kann, gerät oft in Vergessenheit. Mit steigender Inzucht erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachkommen gleiche Gene beider Elternteile erhalten und somit rezessive Erbfehler vermehrt auftreten können. Deshalb sollte der empfohlene Richtwert von 6,25% Inzucht nicht überschritten werden.
Anpassungsfähigkeit ist gefährdet Die aktuellen Angebote der weltweiten KB-Stationen zeigen allerdings, dass es für Landwirte schwierig ist, Tiere mit Inzuchtwerten unterhalb dieser Grenze zu finden. Denn Inzucht wird von vielen KB-Stationen kaum thematisiert, da der Fokus auf hohen Zuchtwerten und kompletten Exterieurprofilen liegt.
Anpassungsfähigkeit geht verloren
Die Zuchtstationen bieten Stiere mit Inzuchtkoeffizienten bis zu 20% an. Beispielsweise weist der kanadische Stier Claynook Zeus-ET, im Angebot von Swissgenetics, einen Inzuchtkoeffizienten von 23,03% auf, und der US-Amerikaner Kings-Ransom King Doca Cadillac-ET, erhältlich bei Select Star, hat mit 19,73% einen hohen Inzuchtkoeffizienten. Zum Vergleich: Eine Verpaarung von Geschwistern oder zwischen Vater und Tochter weist einen Inzuchtkoeffizienten von 25% auf.
Der Verlust der genetischen Vielfalt bringt die Rasse aus dem Gleichgewicht und verkleinert die effektive Populationsgrösse weiter. Dadurch geht die Anpassungsfähigkeit verloren, und die Rasse wird mehr und mehr vom Aussterben bedroht. Um die Anpassungsfähigkeit zu erhalten, müssen Züchter und Zuchtstationen dafür sensibilisiert werden, dass die genetische Vielfalt wichtiger ist als die höchsten Gesamtzuchtwerte. Denn wenn die Vielfalt einmal verloren ist, lässt sie sich nicht einfach wieder «aus dem Schrank holen».
Zusätzliche Inzuchtkennwerte prüfen
Während der Erarbeitung der Diplomarbeit wurde der Schreibenden klar, dass der Inzuchtkoeffizient allein nicht mehr genügt. Denn gerade auch die genomische Zuchtwertschätzung bringt wieder neue Herausforderungen mit sich. Es sollen zusätzliche Inzuchtkennwerte geprüft und standardisiert sowie ausgewiesen und publiziert werden, damit die Züchter eine Chance haben, die Anpaarungen bestmöglich zu planen.
Der Genomische Inzuchtkoeffizient wäre eine Möglichkeit. Er basiert nur auf den genomischen Daten und benötigt keinen Stammbaum. Ausserdem wird mit ihm die Tatsache berücksichtigt, dass die Vererbung nicht immer 50/50 abläuft und somit auch Geschwister unterschiedliche Inzuchtkoeffizienten vorweisen können.
Noch besteht Handlungsmöglichkeit
Durch die Analyse ihrer Herden und mithilfe des grossen Stierenangebots können Landwirte ideale Anpaarungen planen und passende Stiere zu den Hauptlinien ihrer Herde einsetzen. Durch regelmässige Kontrollen der Inzuchtwerte kann der Landwirt den Zuchtfortschritt seiner Herde verfolgen. Um die Landwirte zu unterstützen, wäre es an der Zeit, dass die Zuchtstationen diese Inzuchtwerte bei allen Tieren ausweisen und einfach zugänglich machen würden.
Stiere mit höchsten Zuchtwerten bringen nicht immer die besten Nachkommen hervor. Die Züchter und Züchterinnen müssen die Verantwortung übernehmen und sind dabei auf die Unterstützung der Zuchtstationen angewiesen, indem KB-Stationen wie Swissgenetics, Select Star und LGC geeignete Stiere mit niedrigen Inzuchtwerten in ihrem Angebot führen.
* Natalie Deutsch ist Absolventin der Weiterbildung Agrotechnikerin HF am Strickhof. Während ihres Diplomarbeitspraktikums bei K. I. Samen in den Niederlanden befasste sie sich intensiv mit dem Thema Ahnenverlust und Inzucht bei der Rasse Holstein.
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Wie Swissgenetics mit der Inzuchtthematik umgeht
Die KB-Organisation Swissgenetics hat mit folgendem Statement auf eine entsprechende Anfrage zum Thema Inzucht reagiert. Verfasst wurde es von Silvia Wegmann, Senior Geneticist.
Inzucht ist bei Swissgenetics auf verschiedenen Ebenen ein Thema, sei es bei Zucht und Ankauf der nächsten Generation Stiere, bei der Angebotsplanung oder bei den Besamungen auf den Betrieben. Kurzfristig geht es darum, Inzuchtpaarungen zu vermeiden. Mittel- und langfristig steht der Erhalt der Breite von Linien im Fokus, insbesondere bei den Schweizer Rassen. Wenn gehäuft nahe verwandte Tiere miteinander gepaart werden, wächst das Risiko von Inzuchtdefekten.
Tragen die Eltern bekannte oder unbekannte rezessive Gendefekte, entstehen vermehrt kranke bis hin zu missgebildeten oder nicht lebensfähigen Nachkommen, die bereits einem frühen Stadium der Trächtigkeit abgehen. Inzuchtdepression kann weiter zu Einbussen bei Leistung und Fitness führen. Um dies zu vermeiden, bieten die Zuchtorganisationen Tools an. Mittels Online-Paarungscheck oder Paarungsplan können Besamer und Züchter vor der Anpaarung den Inzuchtgrad und das Risiko für bekannte Erbfehler prüfen.
Swissgenetics beteiligt sich über die Forschungskommission der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Rinderzüchter (ASR) regelmässig an Projekten von Qualitas und den Hochschulen zur Identifizierung von neu auftretenden genetischen Defekten. Das Ziel ist, Defekte zu erkennen, bevor sie sich stark in einer Rasse verbreiten können. Alle Stierkälber werden vor dem Ankauf auf genetische Defekte untersucht. Träger werden zurückhaltend angekauft, um das Vorkommen der Defekte in der Population längerfristig zu senken.

Silvia Wegmann, Senior Geneticist bei Swissgenetics, erläutert die Haltung des Unternehmens zum Thema Inzucht.
zvg
Um längerfristig Diversität in den Abstammungen zu erhalten, haben Swissgenetics und die Zuchtverbände gemeinsam Leitlinien entwickelt. Bei Brown Swiss gilt es, pro Stierenjahrgang mindestens zehn Stierenväter zu verwenden, die Stierenmütter sollen von mindestens zwölf unterschiedlichen Vätern stammen. Ähnliche Anforderungen gelten bei den anderen Rassen. Jedes Jahr kommen deshalb Jungstiere mit unterschiedlichsten Abstammungen in den Einsatz. Oft haben die Stiere aus den bekanntesten Kuhfamilien und beliebtesten Vätern eine sehr starke Nachfrage.
Outcross-Stiere aus weniger bekannten Linien finden jedoch nicht immer den gewünschten Absatz. Werden nur wenige Hundert Dosen solcher Stiere verkauft, tragen sie wenig zur Vielfalt bei. In den USA wird ein erwarteter zukünftiger Inzuchtwert (EFI = expected future inbreeding) für den Einsatz eines Stiers berechnet. Je stärker ein Stier mit den Tieren in der Population verwandt ist, desto höher wird dieser Wert. Der Inzuchtgrad des Stiers selbst ist dabei nicht relevant, nur seine Verwandtschaft mit der Population.
Ein vergleichbarer Wert ist zurzeit in der Schweiz nicht verfügbar, könnte aber eine interessante Zusatzinformation beim Stierenankauf sein. Hingegen berechnet Qualitas für alle neu typisierten Stierkälber die «Optimal Genetic Contribution». Der genomische Verwandtschaftsgrad eines Stierkalbs mit der Rasse wird dafür mit dem Gesamtzuchtwert zu einem Index kombiniert. Interessante Stierkälber, die weniger stark mit der Population verwandt sind, können so gefunden werden.
Ihre Gesamtzuchtwerte sind meist nicht ganz an der Spitze. Es gilt zwischen kurzfristigem höchstem Zuchtfortschritt, längerfristiger Diversität und Marktgängigkeit des Stiers abzuwägen. Ganz vermieden werden kann eine Zunahme der Inzucht nicht, da gewünschte positive Eigenschaften nur in gewissen Familien verstärkt vorkommen. Ein breites Zuchtziel mit vielen Merkmalen gibt jedoch unterschiedlichen Linien eine Chance, selektiert zu werden und ihre Stärken einzubringen.