Die Redaktion von «Schweizer Bauer» und «schweizerbauer.ch» wünscht Ihnen besinnliche Weihnachten. Die folgende Weihnachtsgeschichte soll zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken anregen.
«Mmm. Was machst Du da?», knurrt Hansueli. «Am Kochen bin ich, das siehst Du doch. Du würdest mir besser beim Kartoffelschälen helfen», erwidert seine Frau Lisebeth leicht genervt. Das dann doch lieber nicht, denkt sich Hansueli. «Das ist Frauensache», sagt er leise, ohne dass seine Frau es hört. Er trinkt sein Glas Most leer, steht auf und geht schlurfend aus der Küche. «Denkst Du noch daran, dass DU den Weihnachtsbaum in den Ständer stellen musst?», ruft sie ihm nach. Hansueli knurrt wiederum nur. Bevor der Weihnachtsbaum dran kommt, muss er zunächst noch in den Stall. «Zuerst kommt die Arbeit und dann der Firlefanz», denkt er.
Er zieht seine Stallkleider an, steigt in die Gummistiefel und geht raus. Gerade weihnachtlich sieht es nicht aus. Es ist eher warm, das Gras noch fast grün und der Himmel über der Hochnebeldecke wolkenlos. Hansueli sieht das aber nicht. Denn er weiss, dass dies die letzte Weihnacht ist, an der er in den Stall zu seinen Kühen gehen kann. Er ist 67-jährig. Seine Lisebeth ist zum Glück noch etwas jünger. Deshalb haben sie noch Direktzahlungen bekommen. Eigentlich möchte er gerne noch weiterfahren. Doch die Arthrose in den Knien macht ihm zunehmend zu schaffen. Lisebeth muss deshalb immer mehr anpacken, aber auch sie ist nicht mehr die Jüngste. Und sie hat nun genug vom Arbeiten.
Im Stall ist es ruhig. Die meisten Kühe liegen und käuen wieder. Einzig Rind Waldi ist unruhig. Sie ist hochträchtig. Und nicht nur das. Hansueli sieht, dass bereits Beine hinten rausschauen. Er kennt das. «Vielleicht schafft sie es ja selber», denkt er. Er sitzt auf das Stallbänklein und zündet eine Zigarette an. Drei Söhne hat er. Aber keiner will den Betrieb weiterführen. Einer arbeitet auf einer Bank. Ein zweiter ist Gewerbeschullehrer. Und der dritte hat soeben seinen Doktortitel in Agronomie «magna cum laude» gemacht.
Eigentlich hatte Hansueli immer gehofft, dass dieser Jüngste – Marc heisst er – als Agronom zumindest im Nebenerwerb den Betrieb übernehmen würde. Aber nun hat er einen hochdotierten Job bei einer grossen Firma in der Agrarbranche erhalten. So, wie es aussieht, übernimmt er den Betrieb nun doch nicht. «Wäre es nicht besser, wenn meine Söhne nicht so gescheit wären?», denkt Hansueli. «Dann würde sicher einer hier weiter fahren.»
Bei all dem Sinnieren hat er Rind Waldi ganz vergessen. Er nimmt noch einen Zug an seiner Zigarette, drückt sie aus und wirft sie in den Schorrgraben. «Nun muss ich doch noch helfen», denkt er sich. Sorgfältig legt er die Kette um die Beine des Kalbes. Zum ersten Mal macht er das ja nicht. Aber vielleicht schon zum letzten Mal? Er zieht. Doch das Kalb bewegt sich praktisch nicht. «Es ist gross, aber ein Stier ist es wohl bei diesen feinen Beinen doch nicht», denkt er sich. Er probiert noch einmal. Ohne Erfolg. «Scheisse», flucht Hansueli.
Ihm bleibt nichts Anderes übrig, als sein Handy zu zücken und Lisebeth anzurufen. «Was ist? Ich habe gerade einen Butterzopf in den Backofen gestossen», sagt sie leicht genervt. «Du musst mir helfen», erwidert er. «Waldis Kalb kommt einfach nicht raus.» Als Hansueli mit seinen klobigen Händen das Mobiltelefon in die Brusttasche stossen will, geschieht das Unglück. Es fällt in den Schorrgraben. Mitten in einen frischen Dreck der Kuh, welche neben Waldi steht. Hansueli versucht, das Handy zu greifen. Doch es rutscht ihm wieder aus den Fingern. Nun ist es rundherum braun.
Endlich kommt Lisebeth. «Warum dauert das so lange?», schnauzt Hansueli sie an. Nun kann sie nicht mehr. Sie bricht in Tränen aus. «Immer schnauzt Du mich nur an. Dabei arbeite ich fast Tag und Nacht, weil Du selber wegen deiner Arthrose so viel nicht mehr machen kannst.» Mit den Händen vor dem Gesicht geht sie aus dem Stall. «Und was ist mit dem Kalb?» ruft Hansueli ihr nach.
Nun ist es auch Hansueli nicht mehr wohl. Denn eigentlich hat er ja Lisebeth sehr gerne. Sie ist die beste Frau, die er sich vorstellen kann. Er versucht noch einmal zu ziehen. Wieder bewegt sich das Kalb kaum. Und seine Knie schmerzen. Was nun? Sein Handy ist voll Mist und läuft wohl kaum noch. Und Lisebeth will ihm nicht helfen.
Die Stalltüre öffnet sich. Hansueli hat gar nicht gehört, dass ein Auto auf den Hof gefahren ist. Marc, sein jüngster, tritt in den Stallgang. «Glück in den Stall», wünscht er seinem Vater, der noch immer kniet und die Kette in den Händen hält. «Danke», erwidert Hansueli. Der studierte Agronom erfasst die Situation sofort. «Komm, ich helf Dir ziehen.» Obschon er eine feine Hose trägt, scheut Marc sich nicht, richtig zu zugreifen. Und mit vereinten Kräften bringen sie nun das Kalb doch zur Welt. Zum Glück: Es lebt!
Hansueli reibt es mit Stroh ab und bugsiert es an die Seite seiner Mutter, damit diese es ablecken kann. Ein Blick auf die Uhr lässt ihn aufschrecken. «Verdammt, es ist schon spät. Ich habe den Weihnachtsbaum noch nicht in den Ständer gestellt. Und nun sollte ich melken», klagt er.
«Geh Du Dich nur um den Tannenbaum kümmern. Um den Stall musst Du Dich nicht sorgen. Du kannst mir ja sonst nachher noch helfen», sagt Marc. Ein Lächeln huscht über Hansuelis Gesicht. Doch, sein Sohn ist trotz Studium noch immer ein wenig ein Bauer geblieben.
Der Baum steht, Lisebeth kommt, um ihn zu dekorieren. Hansueli steht etwas betroffen daneben. «Kannst mir wenigstens helfen, anstatt nur zuzuschauen», sagt Lisebeth, die noch immer etwas verweint aussieht. «Entschuldigung», brummelt Hansueli. «Was hast Du gesagt?» Sie hat sein Gebrummel nicht verstanden. «Entschuldigung, es tut mir leid, dass ich immer so böse zu Dir bin», sagt er nun ganz laut. Ein Lächeln huscht über Lisebeths Lippen. Sie drückt ihm ein Küsschen auf die Wange. «Ist schon gut. Ich weiss, dass Du oft Schmerzen hast und auch deshalb so reagierst», sagt sie.
Hansueli steigt wieder in die Stiefel und geht noch mal in den Stall. Doch Marc ist schon fast fertig mit Melken. «Du kannst sonst die Kälber tränken», meint sein Sohn. Als letztes soll auch noch das frisch geborene Kalb seine Biestmilch bekommen. Hansueli hält dem Kalb den Kessel mit dem Nuggi hin. Es saugt doch schon recht gut. Auf einmal steht Marc neben ihm. «Vater, ich muss Dir was sagen.» Hansueli dreht seinen Kopf und schaut Marc überrascht an. «Wenn Du und Mutter es möchten, dann übernehme ich den Betrieb doch. Einfach das Melken liegt nicht mehr drin. Aber sonst könnte ich es machen. Mein Arbeitgeber akzeptiert eine 80-Prozent-Anstellung und bei Arbeitsspitzen kriege ich frei.»
Nun huscht ein Lächeln über Hansuelis Gesicht. Der sonst eher knorrige Vater drückt seinen grossgewachsenen Sohn an sich und muss weinen. Auch der Sohn ist gerührt. «Vater, wir müssen dem Kalb von Waldi noch einen Namen geben», meint er nach einem Moment. «Ich weiss den Namen», erwidert dieser: «Weihnacht!»