Nachdem sich das Parlament für einen neuen Verfassungsartikel über Ernährungssicherheit ausgesprochen hat, setzt sich die Landwirtschaft nun mit einem überparteilichen Ja-Komitee dafür ein. Das Stimmvolk kann am 24. September über das Thema befinden.
Vertreter der CVP, FDP, SVP, BDP und der Grünen setzen für sich für den Verfassungsartikel ein. Am Donnerstag haben sie in Bern dargelegt, weshalb die Bevölkerung der Vorlage zustimmen soll. Es handelt sich hier um einen Gegenentwurf zur Initiative für Ernährungssicherheit, die der Bauernverband und der Verein für eine produzierende Landwirtschaft zurückgezogen hat. Die Initiative wurde als Reaktion auf die neue Agrarpolitik lanciert.
Bundesrat, Parlament und alle Parteien hätten anerkannt, dass die aktuelle Verfassung nicht genüge, um längerfristig die Herausforderung der Ernährungssicherheit zu bewältigen, und die inländische Produktion sowie die Lebensmittelverarbeitung in der Schweiz zu erhalten, so das Komitee. Die Ernährungssicherheit sei nicht selbstverständlich, machten sie deutlich. Bei der Bevölkerung stösst das Anliegen auf sehr viel Sympathie. Innert Rekordzeit waren fast 150'000 Unterschriften für die «Initiative für Ernährungssicherheit» zusammengekommen.
«Fairer Handel statt Freihandel»
Es handle sich um ein gesamtheitliches Konzept. «Die Ernährungssicherheit wird vom Feld bis auf den Teller in der Verfassung verankert. Dazu gehören die Sicherung des Kulturlandes, eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion sowie eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft», sagten die Vertreter vor den Medien. Grenzüberschreitende Handelsbeziehungen zur sollen zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen. Zudem soll der Bund die Voraussetzungen für einen ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln schaffen.
Damit werde die «längst fällige» Diskussion über den Wert der Lebensmittel in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, so das Komitee. Mit dem Verfassungsartikel könne die Bevölkerung Verantwortung übernehmen und mitbestimmen, wie Lebensmittel produziert würden. Importiert sollen jene Lebensmittel werden, die in der Schweiz nicht im genügenden Mass produziert werden. Diese sollen aus der Sicht des Komitees nachhaltig sein. «Fairer Handel statt Freihandel», soll die Devise lauten.
Schweiz Pionierin
Adèle Thorens (GE), Nationalrätin der Grünen Partei der Schweiz, sagt gegenüber schweizerbauer.ch, die Schweiz könne Pionierin sein, weil sie vermutlich als erstes Land der Welt die Ernährungssicherheit in die Verfassung schreibe. Zudem würden die Schweizer Konsumenten auf regionale und lokale Produkte achten. Ernährungssicherheit sei etwas langfristiges. Die hiesige Landwirtschaft sei unter ökonomischen Druck.
Die Junglandwirte wollen sich vor allem über die Sozialen Medien für ein Ja einsetzen, sagt Christian Schönbächler, Präsident der Junglandwirte, gegenüber schweizerbauer.ch. Der Artikel ermögliche eine langfristige Perspektive für die Schweizer Nahrungsmittelproduktion. Der Verfassungsartikel habe aber Einfluss auf die Agrarpolitik 2022+, so Schönbächler.
Zweites Komitee
Dem überparteilichen Komitee «Ja zur Verankerung der Ernährungssicherheit in der Verfassung» gehören laut dem Kampagnenleiter inzwischen über 200 Personen an, darunter zahlreiche Vertreter der Landwirtschaft sowie rund 120 Bundesparlamentarierinnen und -parlamentarier.
Parallel dazu hat sich noch ein zweites, überparteiliches Ja-Komitee formiert, das von der Agrarallianz angeführt wird und voraussichtlich nach der Sommerpause vor die Medien treten wird. Es nennt sich «Ja zur Weiterentwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft».
Wenig Begeisterung
Im Parlament war der im Ständerat erarbeitete Gegenvorschlag kaum umstritten, auch wenn er auf mässige Begeisterung stiess. Der Nationalrat stimmte ihm mit 173 zu 7 Stimmen bei 11 Enthaltungen zu.
Für die Befürworter hat der Verfassungsartikel den Vorteil, dass er die Anliegen von weiteren hängigen Volksinitiativen aufnimmt - der Fair-Food-Initiative der Grünen und der Initiative für Ernährungssouveränität der Bauerngewerkschaft Uniterre. Die Gegner kritisierten jedoch, der neue Artikel sei überflüssig. Konsequenzen sind tatsächlich kaum zu erwarten: Gesetzesänderungen auf Basis des Artikels sind in den nächsten Jahren nämlich nicht vorgesehen.
Der Bundesrat unterstützt das Anliegen dennoch. Ernährungssicherheit sei auch in einem wirtschaftlich erfolgreichen Land nicht selbstverständlich, sagte der für das Dossier zuständige Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann bei der Eröffnung des Abstimmungskampfs Ende Juni. Deshalb empfehle der Bundesrat den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern, den Verfassungsartikel anzunehmen. Dieser stehe für eine moderne Land- und Ernährungswirtschaft, die für die Zukunft gewappnet sei. sda
Der Gegenvorschlag
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:Art. 104a Ernährungssicherheit
«Zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln schafft der Bund Voraussetzungen für:
a) die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, insbesondere des Kulturlandes;
b) eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion;
c) eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft;
d) grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft beitragen;
e) einen ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln.