
Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger (SVP, BE) bestätigt auf Anfrage, dass er ausdrücklich als Landwirt abgestimmt habe.
Daniel Salzmann
Die Medienmitteilungen zum Kartellgesetz jagten sich letzte Woche. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse titelte: «Nationalrat stellt wichtige Weichen beim Kartellgesetz». Der Entscheid bringe verschiedene Verbesserungen. Denn die heutige Praxis sei entschieden zu weit gegangen, sie habe Formen der Zusammenarbeit getroffen, die nicht schädlich für den Wettbewerb gewesen seien.
Bauern doppelt betroffen
Anders sah es die Stiftung für Konsumentenschutz: «Rückschlag im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz: Nationalrat will Kartellgesetz aufweichen». Ins selbe Horn stiess Faire Märkte Schweiz mit Präsident Stefan Flückiger, der Landwirt EFZ und ETH-Agronom ist.
Für den Fall, dass sich der Ständerat dem Nationalrat anschlösse, schreibt Faire Märkte Schweiz: «Gleich doppelt betroffen wären die Bauern und verarbeitenden Kleinbetriebe: Einerseits drohen höhere Preise beim Einkauf von Produktionsmitteln und Maschinen und andererseits mehr Preisdruck der marktmächtigen Abnehmer bei Milch, Fleisch, Gemüse, Getreide und deren Verarbeitungsprodukten.»
Landwirtschaftsvertreter stimmten mit Links-Grün
In den Abstimmungen zu den Gesetzesartikeln standen sich die Parteien SP, Grüne, GLP auf der einen Seite und SVP, FDP, Mitte auf der anderen Seite gegenüber. Doch einige wenige Landwirtschaftsvertreter bei den Bürgerlichen stimmten anders und zusammen mit Links-Grün für die Beibehaltung der heutigen Bestimmungen, oder sie enthielten sich der Stimme.
Es waren dies Martin Hübscher (SVP, ZH), Martin Haab (SVP, ZH), Hans Jörg Rüegsegger (SVP, BE), Katja Riem (SVP, BE) und Christine Bulliard-Marbach (Mitte, FR). Rüegsegger bestätigt auf Anfrage, dass er ausdrücklich als Landwirt so gestimmt habe. Auch Grünen-Nationalrat Kilian Baumann teilt mit, dass bei seiner Stimme für die bisherigen Regelungen die Interessen der Landwirtschaft im Zentrum gestanden hätten.
Nationalrat Markus Ritter (Mitte, SG) unterstützte in der Kommission zusammen mit Hübscher einen Antrag der Konsumentenschützerin Sophie Michaud Gigon (SP, VD), gegen den er im Rat stimmte – anders als Hübscher. Ritter teilt mit, das Kartellgesetz sei für die Landwirtschaft wichtig. Als er den Minderheitsantrag in der Kommission unterstützt habe, habe der Mehrheitsantrag noch anders gelautet.
Im Zweifelsfall für die Kleinen
Ein Kommentar von Daniel Salzmann, Chefredaktor des «Schweizer Bauer»:
zvg
«Der Nationalrat hat beschlossen, im Kartellgesetz die Hürden für das Eingreifen bei unzulässigen Wettbewerbsabreden und bei unzulässigen Verhaltensweisen marktbeherrschender und relativ marktmächtiger Unternehmen zu erhöhen. Das ist ein Entscheid, der juristisch kompliziert und schwer zu durchschauen ist, aber möglicherweise grosse Folgen hat.
Darum ist es sinnvoll, sich einige volkswirtschaftliche Grundsätze in Erinnerung zu rufen. Erstens: Wo nur wenige sind, ist es angenehmer beziehungsweise wirtschaftlich interessanter. Darum ist der Markt per se verzerrt, wenn sehr viele Lieferanten ganz wenige Abnehmer mit einem Produkt beliefern und sehr viele Konsumenten beim selben Verarbeiter oder Händler einkaufen. Zweitens sind die Interessen dieser wenigen Firmen politisch viel besser zu bündeln und zu vertreten als die Interessen der vielen Lieferanten, kleinen und mittleren Firmen und Kunden.
Das zeigte sich in der nationalrätlichen Debatte beispielhaft. Marcel Dobler (FDP, SG) berichtete, der Sanitärgrosshandel und die Skimanufaktur Stöckli seien von Wettbewerbsverfahren sehr hart getroffen worden. Existenzbedrohende Millionenbussen seien ausgestellt oder angedroht worden. Das beeindruckt wirtschaftsfreundliche Politiker. Sollten hingegen Tausende Konsumenten ein Produkt wegen unzulässiger Absprachen zu teuer eingekauft haben, so ist der Schaden in jedem Fall auf Tausende Leute verteilt und schwerer erfassbar als bei einer Busse.
Die Landwirte sind viele beim Einkaufen von Produktionsmitteln und sind viele beim Verkaufen von landwirtschaftlichen Rohstoffen. Sie haben deshalb ein gutes Sensorium für Marktmacht. Dass sich bei Artikel 7 in der vorberatenden Kommission die Landwirte Martin Hübscher (SVP) und Martin Ritter (Mitte) als jeweils Einzige ihrer Parteien an die Seite der Konsumentenvertreterin Sophie Michaud Gigon (SP) gestellt haben, ist nachvollziehbar.
Dass im Rat dann nur Hübscher so stimmte, sich Bauernverbandspräsident Ritter aber der Mehrheit anschloss, für welche die Parteien SVP, FDP und Mitte fast geschlossen stimmten und welche von Economiesuisse ausdrücklich begrüsst wurde, hinterlässt einen speziellen Eindruck. Womöglich standen die Landwirte in den bürgerlichen Parteien unter dem Druck von Parteifreunden, die in dieser Sache vor allem auf die grösseren Firmen und auf die zur Marktmacht neigenden Branchen hören. Das wäre bedauerlich.»