Pflanzenschutzmittel stehen in der öffentlichen Kritik. Den Landwirten sichern sie seit Jahrzehnten ihre Ernten. Die zentralen Fragen sind: Was sind die Alternativen? Welche Rolle spielen die Abnehmer und die Konsumenten? Was würde der vollständige Verzicht auf den chemischen Pflanzenschutz bedeuten? Im elfteiligen Dossier werden verschiedene Thematiken rund um den Pflanzenschutz aufgegriffen. Im zehnten Teil geht es um den Einfluss der Konsumenten auf den Pestizideinsatz.
Nie zuvor waren Lebensmittel in der Schweiz so sicher wie heute. Ein ganzer Katalog von Hygienemassnahmen sorgt dafür, dass Infektionen oder Verunreinigungen bereits an der Quelle gar nicht mehr entstehen können. Krankheitsausbrüche nach dem Verzehr von verdorbener Ware sind auch deshalb selten geworden.
Dank immer leistungsfähigeren und genaueren Analysegeräten bleibt kaum ein Wirkstoff unentdeckt. Die sachgemässe Anwendung von Pflanzenschutzmitteln liegt deshalb im Interesse des Bauern. Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln liegen bei Schweizer Agrarprodukten in den überwiegenden Fällen unter den gesetzlich festgelegten Toleranzwerten. Unter diesem Aspekt besteht für den Menschen wissenschaftlich betrachtet kein Vergiftungs-Risiko durch chemische Pflanzenschutzmittel.
Quälitätsnormen sind sehr hoch
Doch die hohen Qualitätsnormen der Abnehmer werfen auch Fragen auf: Weshalb darf es auf einem Naturprodukt eigentlich keine Blattlaus oder auf einer Kartoffel ein paar aus gesundheitlicher Sicht bedenkenlose Silberschorf-Flecken haben? Weshalb müssen Spargeln in der Mitte einen Durchmesser von einem Zentimeter oder Karotten alle die gleiche Form haben?
Mit mehr Toleranz könnte hier der Pflanzenschutzmitteleinsatz weiter reduziert werden. Die Abnehmer geben den Ball hier gerne an die Konsumentinnen und Konsumenten weiter: Diese würden solche Qualität verlangen.
Gleiches gilt bei der Preisdiskussion. Gerade der Preisdruck ist für die Landwirte in den letzten Jahren aber viel stärker geworden und zwingt sie zu Massnahmen, die den in Hochglanzprospekten präsentierten Umwelt-Engagements der Abnehmer entgegenlaufen.
Klimawandel und Globalisierung
Experten rechnen in den nächsten Jahren als Folge der Klimaerwärmung mit einem Anstieg der Temperaturen. Der Befall von Kulturen beispielsweise mit Pilzkrankheiten würde in diesem Fall tendenziell zunehmen.
Für Schädlinge würden sich die äusseren Bedingungen verbessern, insbesondere wenn die Winter milder werden und die regulierende Wirkung auf Schadorgansimen wegfällt. Durch die globalisierten Märkte und den weltweiten Handel gelangen zudem schon heute immer wieder exotische Schädlinge ins Land.
Ein Beispiel ist hier die Kirschessigfliege, die aus Asien eingeschleppt wurde und seit einigen Jahren Beeren- und Obstkulturen befällt und dort für grosse Verluste sorgt.
Viele Landwirte spezialisieren sich auf den Anbau von wenigen Produkten, um rationeller arbeiten zu können. Die Fruchtfolgeflächen sind folglich weniger abwechslungsreich und entsprechend steigt das Risiko von Krankheits- und Schädlingsbefall. Wenn der Abnahmepreis sinkt, versucht der Landwirt die Differenz mit mehr Ertrag zu decken, was wiederum oft auf Kosten von umweltfreundlicheren vorbeugenden Pflanzenschutzmassnahmen geht.
Ein klassischer Teufelskreis, der sich aber aufbrechen lässt. Beispielsweise indem Qualitätsanforderungen vernünftiger angesetzt würden respektive die Kundschaft bereit wäre, einen höheren Preis für Landwirtschaftsprodukte zu bezahlen, wenn beispielsweise das Unkraut mit aufwändigen mechanischen Methoden bekämpft wird.
Diskussionen über Mehrfachrückstände
Vor allem in Deutschland war im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln in den letzten Jahren oft von "Gift-Cocktails" zu lesen. Dabei wird kritisiert, dass im Rahmen von Rückstandsanalysen mehrere Wirkstoffe gleichzeitig in einem Produkt nachgewiesen werden. Kritiker sehen im weitgehend unbekannten Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Hilfsstoffen ein grosses Gefahrenpotenzial.
Konsumentenorganisationen fordern, dass im Gesetz Grenzwerte nicht nur für einzelne Wirkstoffe festgelegt werden, sondern auch für die Summe von Wirkstoffen.
Obwohl bis heute aus wissenschaftlicher Sicht keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit als Folge der Mehrfachrückstände bekannt sind, legten die Abnehmer als Reaktion auch in der Schweiz eigene Kriterien fest. Bei Gemüse beispielsweise dürfen je nach Abnehmer und Kultur nicht mehr als 3 bis 5 Wirkstoffe nachgewiesen werden, selbst wenn alle Toleranzwerte unterschritten werden.
Konsumenten weiter schützen
Für die Konsumentinnen und Konsumenten ist das auf den ersten Blick positiv. Auf den zweiten allerdings nicht unbedingt: Aus landwirtschaftlicher Sicht gibt es gute Gründe, auf der gleichen Kultur mehrere verschiedene Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Es gibt beispielsweise Insektizide, die nur gegen einen Schädling wirken und die anderen Insekten nicht schädigen. Die Kombination mehrerer Stoffe kann zudem die Wirksamkeit verbessern und dazu beitragen, dass die totale Aufwandmenge reduziert werden kann.
Der Aktionsplan Pflanzenschutzmittel des Bundesrates will auch den Schutz des Konsumenten sichern respektive verbessern. Deshalb soll geprüft werden, ob auf europäischer Ebene bereits bestehende Modelle und Auswertung zur Beurteilung von Risiken aus Mehrfachrückständen auch in der Schweiz angewendet werden können.
Volksinitiativen wollen Pestizideinsatz verbieten
In den nächsten Jahren wird das Schweizer Volk möglicherweise gleich über zwei Volksinitiativen abstimmen können, welche die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz radikal neu regeln wollen. Die im Januar 2018 eingereichte Initiative "Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung - Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz" verlangt unter anderem, dass nur noch die Landwirtschaftsbetriebe Direktzahlungen oder Subventionen erhalten, die keine Pestizide einsetzen.
Für die andere Volksinitiative "Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide" werden noch Unterschriften gesammelt (Stand 2. Februar 2018). Sie will die Anwendung von synthetischen Pestiziden grundsätzlich verbieten, auch auf importierten Produkten.Eine Annahme der Volksbegehren würde die Schweizer Landwirtschaft zweifellos massiv verändern. Viele Kulturen könnten gar nicht mehr angebaut werden. Eine Extensivierung wäre die Folge, und der Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln würde massiv sinken. Auch die biologische Produktion wäre von einem grundsätzlichen Verbot von Pestiziden betroffen.
Da die Bevölkerung aber trotzdem ernährt werden muss, müssten mehr Lebensmittel importiert werden. Die Produktion würde damit auf fremde Äcker ausgelagert, die Verantwortung an fremde Bauern abgetreten. So wie das die Schweizer Industrie in den letzten Jahrzehnten bereits gemacht hat, mit der Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer mit tieferen Umweltstandards.