
Hans Brülhart (l.) und Beat Baeriswyl aus Ueberstorf, die mit Freunden alljährlich um eine Wurst ramsen.
Monika Neidhart
Jassen und Wurst – diese zwei Schweizer Kulturgüter sorgen immer wieder für geselliges Beisammensein. In Regionen von Solothurn, Bern, Jura und dem Freiburgischen wird zwischen Weihnachten und Neujahr beidem gefrönt. Dabei wird nach den Regeln des «Ramsen» gejasst. Wer verliert, spendiert eine Wurst. Eine eigentliche Ramsenwurst ist nicht bekannt. Meist ist es die Hauswurst der ansässigen Metzgerei.
Im Restaurant Schlüssel in Ueberstorf wird vorwiegend um eine Bauernwurst geramst. Romi Morf, die Wirtin des historischen Hauses, kauft jeweils ein paar Hundert Würste bei der benachbarten Metzgerei Lehmann. Wer ramst, zahlt vor dem Spiel für eine Wurst. Wer die Jassrunde verliert, spendiert sie den Mitjassern. Seit Jahrzehnten mit dabei sind Hans Brülhart und Beat Baeriswyl. Zwei eingefleischte Jasser, die sich jeweils mit rund zehn Kollegen zum Ramsen verabreden. «Zuerst müssen wir die Regeln wieder klären. Wir ramsen ja nur in der Altjahrswoche», erklärt Brülhart in seinem Seisler Dialekt.
Von «Bälli» und «leihe»
Geramst wird in Gruppen von zwei bis sechs Mitspielern. Ausgegeben werden jeweils fünf Karten. Der Trumpf wird durch Abheben bestimmt. «Wenn du am Austeilen bist, darfst du diese Karte mit einer von deinen tauschen», weist er auf eine der Regeln hin. Baeriswyl ergänzt: «Das Ass der Trumpffarbe ist die stärkste, gefolgt von Egge sieben, dem sogenannten ‹Bälli›. Danach folgen König, Dame und die Weiteren absteigend in der Trumpffarbe.» Ziel ist es, mindestens einen Stich zu machen.
Wer bei einer Runde leer ausgeht, zahlt bei den zwei Freunden zwanzig Rappen in die Trinkkasse. «Auch wer versehentlich ablupft», sagt Baeriswyl mit einem Schmunzeln und schiebt das Kartenset hinüber. Doch Brülhart fällt nicht darauf herein. Wer schlechte Karten in der Hand hält, kann den «Blinden» nehmen, ein Austauschhaufen von fünf Karten, oder auf die Spielrunde verzichten. Wer startet, muss mit dem Trumpfass beginnen, falls er es hat.
21 Striche zum Sieg
Die Mitspielenden müssen «leihe», also die Farbe einhalten. Können sie es nicht, dürfen sie mit einer Trumpfkarte stechen. Pro gewonnenen Stich gibt es einen Strich. Sieger ist, wer 21 Striche hat. Jassende lassen sich nicht gerne in die Karten schauen. Anders bei Metzgermeister Gilbert Lehmann, der die Landmetzg in Ueberstorf mit 17 Angestellten in dritter Generation führt. Rund 50 Sorten aus den drei Gruppen von Brühwurst, Rohwurst und Kochwurst hat er im Angebot. Fürs Ramsen im Restaurant Schlüssel ist es hauptsächlich die Bauernwurst, die er nach dem Rezept seines Grossvaters herstellt.
Für diese Rohwurst verwendet er Rind- und Schweinefleisch von Tieren aus der Region, die er selbst einkauft und im Betrieb schlachtet: «Die Qualität einer Wurst hat ihren Ursprung auf dem Bauernhof. Die Black-Angus- und Limousin-Rinder sollen gut gehalten und die jungen Tiere etwas fett sein.» Beim Wursten werden die Fleischstücke zuerst mit Speck und Schwarte durch den Scheffel gedreht, dann mit Knoblauch, Pfeffer, Koriander, Muskat, Kümmel, Macis und anderen Gewürzen gemischt.
«Nicht kaputt kochen»
«Das Salz darf nicht zu früh beigegeben werden, damit das Eiweiss nicht vorzeitig bindet», weist der Fachmann auf ein Detail hin, das sich später in der Schnittfestigkeit zeigt. Beim Abfüllen der Würste arbeiten zwei Metzger Hand in Hand. Der eine füllt die Masse mithilfe einer Maschine in die Rinderdärme, während die andere Person die Enden der Würste mit Agraffen schliesst. Sind die Würste auf eine Stange aufgereiht, folgt der Umrötungsprozess mithilfe des Pökelsalzes.
Zum Schluss werden die Bauernwürste in der Metzgerei Lehmann bis zu drei Tage in den kalten Rauch gehängt. Dadurch erhalten sie ihr Aroma und ihre dunkle Farbe. Frische Bauernwürste eignen sich zum Warmessen. «Aber nicht kaputt kochen», mahnt der stolze Metzger. «Die Wurst soll knapp unter dem Siedepunkt erwärmt werden. Sonst läuft der Fleischsaft aus.» Die getrocknete Variante, die rund 35 Prozent ihrer Feuchtigkeit verloren hat, schneidet der Fachmann kalt mit einem Messer mit glattem Schliff auf: «Gezackte Messer würden das schöne Bild zerstören.»
Keiner wird «rams»
Geramst wurde bestimmt schon im 19. Jahrhundert, wie auch Jeremias Gotthelf berichtete. Damals aber nicht nur in der Altjahrswoche und nicht nur um eine Wurst. Woher der Jass und der Namen kommen, ist nicht geklärt. Vielleicht ist es vom französischen Wort «ramasser» abgeleitet, was so viel wie auflesen, zusammennehmen bedeutet. Sicher hat das Wort nichts zu tun mit dem Schaffhauser Dorf Ramsen. Dort ist der Jass gänzlich unbekannt.
Im Gasthaus zum Schlüssel serviert Romi Morf die Würste warm oder kalt mit Brot. Die Verlierer werden bei diesem geselligen Anlass nicht «rams sy», was gemäss Schweizerdeutschem Wörterbuch aus dem Jahr 1886 für «verloren haben» oder «finanziell ruiniert sein» steht. Die Freude, seine Freunde oder ehemalige Jahrgänger wieder einmal getroffen zu haben, ist eine Wurst allemal wert.

