Heiligabend der Entscheidung – die Lösung vor Augen

Was tun, wenn die Hofnachfolge ins Wanken gerät? Eine Bauernfamilie erlebt am Heiligen Abend, wie aus Sorge Zuversicht und aus Druck Erleichterung wird. Unsere Weihnachtsgeschichte.

Samuel Krähenbühl |

Die Berge sind weiss bedeckt, im Tal aber ist es grün – wieder grün, muss man sagen. Der frühe Wintereinbruch war zwar relativ heftig, doch die kalte Jahreszeit hat sich nochmals zurückgezogen.

Sohn will nicht übernehmen

Ruedi denkt im Moment nicht an Schnee, nicht an Winter und auch nicht ans Skifahren. Er denkt vielmehr an die Zukunft seines Betriebs. Vor wenigen Tagen hat ihm sein Sohn eröffnet, dass er den elterlichen Hof doch nicht übernehmen will. Für Ruedi ist dies ein schwerer Schlag. Was habe ich bloss falsch gemacht?, fragt er sich. Mit diesen trüben Gedanken geht er seinem Tagewerk nach und kommt nicht aus dem Grübeln.

«Was habe ich bloss falsch gemacht?»

Ruedi

Zu Hause erwartet ihn seine Frau Leni. Sie weiss, wie es ihm geht. Sie sagt nicht viel, stellt das Abendessen auf den Tisch, und beide beginnen schweigend zu essen. Doch Ruedi kann seine Gefühle nicht länger unterdrücken. Auf einmal läuft ihm eine Träne über die Wange. «Leni», sagt Ruedi, «mir geht das so nah. Ich weiss nicht, warum es nicht so weitergeht, wie wir es uns gewünscht haben.» Nun beginnt auch Leni zu weinen.

Stimmung bedrückt

Was ist eigentlich geschehen? Man wusste schon immer, dass Sohn Max nicht das ganz grosse Interesse an der Landwirtschaft hat. Trotzdem hat er nach seiner erfolgreichen Zimmermannslehre auch noch die landwirtschaftliche Ausbildung als Zweitausbildung abgeschlossen. Letzten Sommer hat er das eidgenössische Fähigkeitszeugnis als Landwirt erhalten. Und trotzdem will er den Hof nicht übernehmen.

«So Advent zu feiern, ist nicht schön», denkt Leni. Trotzdem zündet sie die erste, die zweite und die dritte Kerze an. Es ist schon der dritte Advent. Sie sitzen schweigend da und lauschen in die Stille. Eine Woche später ist der vierte Advent. Von den Kindern haben sie in der vergangenen Woche nicht viel gehört. Doch nun kündigt sich Tochter Jessi an. Sie ist die Älteste und hat bereits Kinder. Wenn die kleine Sophie im Wohnzimmer herumturnt, ist es immer eine Freude – auch wenn man gut aufpassen muss. Jessi kommt gerne auf ihren elterlichen Hof. Auch wenn sie selber mit Landwirtschaft gar nichts am Hut hat. Sie spürt sofort, dass die Stimmung bedrückt ist.

Sohn nicht glücklich

Den Grund kennt sie selbstverständlich: Max will den Betrieb nicht übernehmen. Sie hat sich unter anderem angekündigt, um ihrer Mutter beim Weihnachtsgebäck zu helfen. Beide arbeiten Hand in Hand, reden über beiläufige Dinge – bis das Gespräch plötzlich doch auf Max kommt.

«Auch ich hätte mich gefreut, wenn Max den Hof übernommen hätte. Aber was nützt es, wenn er nicht glücklich wäre?»

Jessi

Jessi sieht die Not ihrer Eltern, die keine Zukunft mehr für den Hof in Familienhand sehen. Aber sie sieht auch ihren Bruder, der niemals glücklich wäre als Landwirt. «Mutter», sagt sie leise, «ich verstehe, dass ihr traurig seid. Auch ich hätte mich gefreut, wenn Max den Hof übernommen hätte. Aber was nützt es, wenn er nicht glücklich wäre?»  Leni seufzt. Sie weiss, dass Jessi recht hat. Doch die Lösung liegt nicht einfach so auf dem Tisch.

Lösung so nah

Auf einmal klopft es ans Küchenfenster. Kevin, der Nachbarsjunge, steckt den Kopf herein. «Ist der Ruedi da?» – «Er ist draussen im Schweinestall», antwortet Leni. Kevin stopft sich lachend ein Guetzli in den Mund und macht sich auf den Weg. Jessi und Leni arbeiten weiter. Nach einer Weile sagt Jessi: «Mutter, der Kevin – das ist doch ein Naturtalent. Der weiss, wo anpacken, und ist voll im Element. Er kommt in jeder freien Minute her, obwohl er zu Hause keinen Hof hat.» Jessi beginnt zu grübeln und sagt weiter nichts.

«Wenn ich ihm helfe, wird er ein guter Landwirt.»

Ruedi

Es ist Heiligabend. Die ganze Familie trifft sich und freut sich auf das Fest. Max hilft draussen im Stall, und auch Kevin ist wieder da. Beim Dessert wagt sich Jessi erneut an das Thema Nachfolge: «Vater, der Kevin – der macht das doch unglaublich gut hier.» Ruedi nickt: «Ja, ja, das stimmt. Man könnte meinen, er hätte das gelernt.» Einen Moment herrscht Stille. Dann sagt Jessi: «Vater, der Kevin – das gäbe doch einen tollen Bauern.» Ruedi schaut stirnrunzelnd auf und gibt zu bedenken: «Das schon, aber er hat ja keinen eigenen Hof.»

Druck fällt ab

Nun mischt sich die bis anhin stille Leni ein: «Ruedi, wir können doch von Glück sagen, dass wir so gesunde und erfolgreiche Kinder haben. Und wir wollen doch, dass sie glücklich werden. Warum sollte eigentlich nicht Kevin den Hof übernehmen? Du könntest ihm ja noch ein paar Jahre helfen und alles gut übergeben.»

In Ruedis Gesicht arbeitet es. Er ist überrascht und irritiert. Nach langer nachdenklicher Stille sagt er schliesslich: «Warum eigentlich nicht? Kevin ist ein guter Junge. Wenn ich ihm helfe, wird er ein guter Landwirt.» Ein spürbares Aufatmen ist von Max zu hören. Tränen der Erleichterung rollen ihm über die Wangen. Der grosse Druck der letzten Monate fällt von ihm ab. Wie froh ist er, dass er nun nicht mehr der undankbare Sohn ist, sondern einfach ein junger Mann sein darf, der das tun kann, was er gerne macht, nämlich als Zimmermann arbeiten. So endet dieses Weihnachtsfest doch noch mit einem glücklichen Ende.

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