
Vater Hansjörg Scherrer (l.) und Reto Scherrer bei der historischen Traubenpresse aus dem Jahr 1808. Seit 1762 führt die Familie Scherrer das Gasthaus zur Rebe in Weinfelden TG mit dem dazugehörenden 60 Aren grossen Rebberg.
zvg
Der Fingerabdruck auf der edlen Weinetikette ist unübersehbar. Er verleiht ihr eine ganz besondere Note, stammt er doch vom bekannten TV-Moderator Reto Scherrer, der das familieneigene Weingut in Weinfelden im Thurgau bereits in neunter Generation führt.
Rebfamilie
Die Familie Scherrer gilt als die älteste Rebfamilie in Weinfelden. Auf der Etikette ist auch das Jahr 1762 zu lesen, ein bedeutendes Datum: In diesem Jahr erwarb David Scherrer das traditionsreiche Gasthaus zur Rebe und den dazugehörenden Rebberg.
Seither wird die Erfolgsgeschichte der Familie Scherrer von Generation zu Generation weitergeschrieben. 1975 übernahmen Hansjörg und Käthi Scherrer das Gasthaus zur Rebe samt dem 60 Aren grossen Rebberg. Fast 44 Jahre lang führten sie den Betrieb, bis sie 2018 das Wirten aufgaben. Noch heute leben sie in ihrer Wohnung über der Gaststube.
Wein persönlich geliefert
Der 81-jährige Hansjörg Scherrer ist nach wie vor fast täglich im Rebberg anzutreffen, sei es beim Ausbrechen überflüssiger Triebe oder beim Entblättern der Traubenzone. Hansjörg Scherrer und sein Sohn Reto teilen sich die Aufgaben im Weingut. «Den Grossteil übernimmt mein Vater. Er bewirtschaftet noch 40 Aren selbst, der übrige Teil ist verpachtet», erzählt Reto Scherrer. Mit seiner Moderationstätigkeit beim Fernsehen wäre das sonst kaum machbar.
Während Vater Hansjörg Scherrer für die Winzerarbeiten verantwortlich ist, kümmert sich Sohn Reto um das Markting und koordiniert die Helferinnen und Helfer beim Wimmen. Die Buchhaltung führt Melanie Scherrer-Koller, Retos Frau. Sie ist auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Muolen SG aufgewachsen. Unterstützung erhält die Familie vom ortsansässigen Weingut Burkhart, das sich um Weinpflege und Kelterung kümmert.
Hobbywinzer
Die Weine Müller-Thurgau und Pinot noir reifen in 500-Liter-Edelstahltanks. «Es ist genau der Wein, den ich selbst gerne trinke», sagt Reto Scherrer. Die Hauptabnehmer kommen aus dem Privatbereich und der gehobenen Gastronomie. Reto Scherrer liefert persönlich aus. Der 49-jährige Fernsehmoderator, der früher bei SRF tätig war und heute für Blick TV arbeitet, bezeichnet sich als Hobbywinzer.
Zusammen mit seinem um sechs Jahre älteren Bruder Urs ist er im Gasthaus zur Rebe aufgewachsen. Reto Scherrer lebt mit seiner Frau Melanie und den drei Kindern Emma, Lisa und David in seiner Heimatgemeinde. Auf die Frage, ob sie je damit gerechnet habe, dass ihr Sohn Reto einmal so bekannt werde, antwortet die 87-jährige Käthi Scherrer, ohne zu zögern: «Nein, das hätte ich nie gedacht. Aber Reto war schon als kleiner Junge offen und ging unbefangen auf die Leute zu. Jeder mochte ihn.»
Absolvierte die KV-Lehre
Ein besonderes Detail ist Käthi Scherrer bis heute in Erinnerung geblieben. In einem ihrer eigenen Schulzeugnisse stand bei den Bemerkungen ‹schwatzhaft›. «Reto hat halt das Gen von mir geerbt», erzählt sie und schmunzelt. Weil die Eltern in Gasthaus und Rebberg stark eingespannt waren, musste sich Reto Scherrer oft selbst beschäftigen, was seine Kreativität förderte. Schon als Zehnjähriger wusste er, dass er zum Radio wollte. Auf Anraten seiner Eltern machte er jedoch zuerst eine KV-Lehre im Hotel Thurgauerhof in Weinfelden.
Mit 21 Jahren begann er seine Karriere bei Radio Thurgau. Zwischen Moderation und Gastronomie sieht Reto Scherrer einige Parallelen: «Als Gastgeber möchte man, dass sich die Menschen wohlfühlen, egal, ob als Zuhörer, Zuschauer oder Gast im Restaurant oder im Hotel.» Auch an seine ersten Rebarbeiten erinnert er sich. «Ich war noch klein, als ich meinem Vater mit dem Traktor und der Seilwinde beim Pflanzen der Rebstöcke half.» Nun planen Vater und Sohn, diese alten Reben durch widerstandsfähigere Sorten zu ersetzen, die weniger anfällig für Mehltau und die Essigfliege sind.
Idealer Wetterverlauf
Der Klimawandel stellt den Weinbau zunehmend vor Herausforderungen. «Dieses Jahr war es besonders schwierig. Am 22. Juli zerstörte eine Hagelfront einen Teil unserer Trauben», erzählt Hansjörg Scherrer. Ihr Lieblingsjahrgang bleibt 2018. Ein Jahr mit idealem Wetterverlauf, der zum perfekten Gleichgewicht zwischen Säure und Alkohol führte.
Schon früh half Reto Scherrer im Gasthaus mit, besonders gern hinter der Theke. Einmal gab es sogar eine Verwarnung des Schulinspektors, weil er während der Mittagszeit arbeitete. «Ich habe das immer freiwillig gemacht», sagt Reto Scherrer. «Meine Mutter war die beste Gastgeberin und Vater ein hervorragender Koch.» Kein Wunder, kochte Hansjörg Scherrer doch einst in der Bordküche der Swissair.
Der perfekte Ausgleich
Reto Scherrer war immer einfallsreich. An der Thurgauer Herbstmesse (Wega) fuhr er einmal ohne Fahrgeld Bähnli und schlug dem Kondukteur vor, sich stattdessen ein Bier bei seinen Eltern im Gasthaus zu gönnen. Überhaupt spielte die Herbstmesse in der Geschichte der Familie Scherrer eine besondere Rolle. 1954 hatte Retos Grossmutter Aline die Idee, im Torkelkeller einen Pouletgrill zu betreiben, aus wirtschaftlicher Not heraus, aber mit grossem Erfolg.
Das Wega-Bähnli brachte die Gäste direkt «zur Rebe», dem ersten offiziellen Messe-Imbisslokal. Der Torkelkeller mit Pouletgrill existiert noch heute. Für Reto Scherrer ist der Rebberg der perfekte Ausgleich zum Fernsehalltag in Zürich. Dass er eines Tages auch das Gasthaus führt, kann er sich gut vorstellen. Das Wirtepatent besitzt er bereits.
«Eine Tradition, die seit 1762 besteht, muss weitergeführt werden, auch wenn das sicher nicht einfach wäre.» Vielleicht steht ja bereits die zehnte Generation in den Startlöchern. Denn auch seine Kinder interessieren sich zunehmend für die Familiengeschichte. Hansjörg Scherrer sagt dazu: «Ich bin überzeugt, dass man eine solche Existenz nicht aufgeben kann, wenn sie einem wirklich im Blut liegt.»