
Gottfried (99) und Luise (93) Hirsbrunner aus Erlenbach BE im Simmental wohnen in einem Bauernhaus aus dem Jahr 1874.
Susanne Künsch
Was macht ein langes und gesundes Leben aus? Wie muss man sich ernähren und dem Körper Gutes tun, um dies zu erreichen? Wer nun denkt, das Geheimnis sei, den neusten Erkenntnissen der Wissenschaft zu folgen, der kommt schön ins Staunen, wenn man die Lebensgeschichte von heute über 90-jährigen Bauern und ihren Ehefrauen betrachtet.
Gottfried und Luise Hirsbrunner aus Erlenbach im Simmental BE wohnen etwas abseits vom Dorf, an leichter Hanglage inmitten grüner Felder und mit einem eindrucksvollen Kastanienbaum vor dem prächtigen Bauernhaus aus dem Jahr 1874. «Meine Tochter sagt zwar immer, das Haus sei ein Museumsstück», sagt Luise Hirsbrunner.
Die Beine sind nicht mehr so fit
Trifft man die quirlige 93-jährige Bauersfrau, kann man fast nicht glauben, dass diese Frau bereits über 90 Jahre alt sein soll. Über eine gemütliche Sitzecke auf der Terrasse gehts hinein in die Küche, wo Gottfried Hirsbrunner, zwar auf einen Stock gestützt, aber guter Dinge, am Küchentisch Platz anbietet.
«Bis vor vier Jahren bin ich noch Auto gefahren, dann, mit 95, habe ich den Schein abgegeben», sagt der Bauer, der diesen Dezember seinen 99. Geburtstag feiern wird. Sonst gehe es ihm aber gut, nur die Beine seien nicht mehr so fit wie auch schon. Und dass seit ein paar Jahren nun die Dusche im Haus und nicht mehr hinten im Schopf sei, sei eine grosse Erleichterung, fügt der Bauer an.
Auf der Alp als «Statterbueb»
Der frühe Tod seines Vaters war ein einschneidendes Erlebnis für den damals 3 1/2-Jährigen und seine drei Schwestern. Ein Onkel übernahm vorübergehend die Arbeit auf dem Hof. «Meine Mutter verdiente etwas dazu, indem sie für 5 Franken am Tag Wäsche wusch», erzählt Hirsbrunner. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, war Gottfried Hirsbrunner 13 Jahre alt. Er erinnert sich gut an diese Zeit: «Verdunkeln mussten wir nicht, da wir sowieso keinen Strom im Haus hatten.

Das Ehepaar Hirsbrunner in der Küche seines Bauernhauses im bernischen Erlenbach.
Susanne Künsch
Am Abend sind wir mit unserer Grossmutter auf dem Ofen gesessen, wir hatten ja kein Radio.» Einmal im Jahr habe man eine Sau geschlachtet, Kartoffeln angebaut, und im Stall seien ein oder zwei Kühe gestanden. Geld war rar, und so musste der junge Gottfried bereits mit 12 Jahren dazuverdienen, indem er auf anderen Höfen mithalf. Mit 15 verliess er die Schule und verbrachte die Sommer auf der Alp als «Statterbueb». Ende Saison gabs dafür 50 Franken.
Alp, Musik und Tanz
Der stattliche Gottfried war ein guter Tänzer und spielte noch dazu Tenorhorn. 44 Jahre war er Mitglied in der Dorfmusik. Musikalisch engagiert war auch Luise Hirsbrunner. Sie war Gründungsmitglied des gemischten Chors in Erlenbach und 45 Jahre lang treues Mitglied. «Heute bin ich die Letzte, die von den Gründungsmitgliedern noch übrig geblieben ist», meint sie nüchtern. Auf die Frage, wo sie sich denn kennen gelernt haben, sagt der Bauer: «Auf der Alp.»
«Wir haben viel und hart gearbeitet.»
Und hängt verschmitzt einen Spruch an: «Auf der Alp, da gibts keine Sünd, weil die Sennen zu müde sind.» Und so ergab das eine das andere, und es stand eine Hochzeit an. Gottfried Hirsbrunner verpachtete seinen Hof, vermietete das Bauernhaus und zog auf den Hof von Luises Eltern nach Erlenbach.
Der Alltag war streng
«Wir haben viel und hart gearbeitet. An Maschinen war nicht zu denken. Wir hätten auch das Geld dazu nicht gehabt. Eine Sense, eine Gabel und ein Rechen war alles, was wir zur Bewirtschaftung hatten, aber wir waren zufrieden.» Wie es damals gang und gäbe war, wurden die Grosseltern auf dem Hof gepflegt. «Mit unseren fünf Kindern waren wir zeitweise neun Personen am Tisch. Der Alltag war streng. Wir hatten keine Waschmaschine und mussten noch Windeln und den ganzen Rest von Hand waschen», erinnert sich Luise Hirsbrunner.
Viel hätten sie nicht gehabt, man habe halt Gemüse und Obst eingemacht, im Stall habe man einen Geissbock, Hühner und ein Säuli gehalten und Würste und Käse hergestellt. «Es hat immer gereicht.» Noch heute schneidet Luise Hirsbrunner der Familie die Haare. Gottfried Hirsbrunner dazu: «Ich war noch nie beim Coiffeur.»
1958 gabs ein Wasseranschluss
Erst 1948 hatte man endlich Strom im Haus, 1958 dann auch einen Wasseranschluss, und das Wasser musste nicht mehr täglich aus dem Brunnen vor dem Haus geholt werden. Beim Thema Alp fangen die Augen beider an zu glänzen, und das Fotoalbum wird hervorgeholt. Da, auf 1800 Meter über Meer, steht die Alphütte der Familie Hirsbrunner.
«Solange ich noch jeden Tag aufstehen kann und mir die Kleider anziehen kann, bin ich zufrieden.»
Nach drei Wochen auf der Zwischenalp Gelberg ging es für 15 Wochen auf die geliebte Alp Hintertäfeten. «33 Jahre sind wir dort z’Alp gegangen und haben gekäsert, eine wunderschöne Zeit, eigentlich die liebste Jahreszeit», sinniert die Bäuerin und erzählt von tränenreichen Abschieden, wenn es wieder hiess: Zurück ins Tal.
Heute leben Luise und Gottfried Hirsbrunner zusammen mit ihrem 68-jährigen Sohn Martin im alten Bauernhaus. Die Bewirtschaftung haben 1993 die älteste Tochter und der Schwiegersohn übernommen. Die Familie ist inzwischen auf 12 Grosskinder und 8 Urgrosskinder angewachsen. «Die Familie, Hochzeiten und Geburten sind unsere grosse Freude», sagt die vielfache Grossmutter und Gottfried Hirsbrunner meint: «Solange ich noch jeden Tag aufstehen kann und mir die Kleider anziehen kann, bin ich zufrieden. Gesundheit ist ein grosses Geschenk.»