
Andere bei der Büroarbeit zu unterstützen, ist Sandra Steffen-Odermatts Alltag.
Annelies Bichsel
Nach einer herzlichen Begrüssung beginnt die engagierte Frau an dem Sommertag, an dem das Interview stattfindet, in der heimeligen Küche beim Kaffee lebhaft zu erzählen. Ihre leuchtenden Augen und die sprudelnde Energie verraten: Was sie anpackt, macht sie ganz und mit Leidenschaft. «Heute haben wir 1’300 Orangenminzen gepflanzt und nun noch den Geburtstag unserer Tochter gefeiert.»
Verhandelt mit Gläubigern
«Das SOS Bauernhof-Büro ist mein jüngstes Kind. Nachdem wir einer Bauernfamilie mit finanziellen Schwierigkeiten auf die Beine helfen konnten, hatte ich die Idee, dies beruflich anzupacken», erklärt Sandra Steffen. SOS steht neben dem Notsignal auch für Steffen-Odermatt Sandra. Im Januar 2018 hat sie gestartet:
«Mein Ziel ist es, Familien zu unterstützen, dass sie einen Weg aus finanziellen Problemen finden und der Betrieb erhalten werden kann. Dafür verhandle ich mit Gläubigern über Ratenzahlungen, stelle Zahlungen sicher, mache Gesuche an Stiftungen, erstelle Budgets und überprüfe die laufende Ausgabenplanung. Immer wieder begegnen mir Landwirte, welche über Jahre keine Steuererklärung mehr ausfüllten. Solche Versäumnisse haben riesige finanzielle Konsequenzen», erzählt sie.
Ordnung erleichtert das Leben
Rasch drehe sich dann die Spirale abwärts, und sie können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Solche Familien begleitet Sandra Steffen meist über mehrere Jahre. «Sich bei mir zu melden, zeigt Mut, denn einzugestehen, dass man Hilfe braucht, ist meist mit Scham verbunden. Es braucht aber auch den Willen zur Veränderung, meine Kunden müssen selber wollen. Wenn die Einsicht für eigene Fehler fehlt oder nur ein Ehepartner eine wirkliche Veränderung will, kann ich nicht helfen. Ich biete Hilfe zur Selbsthilfe und kann nicht einfach finanzielle Löcher stopfen», zeigt sie ihre Grenzen auf.

Die vielseitige Sandra Steffen mit den beiden Welpen, die sie grosszieht.
Annelies Bichsel
Sandra Steffen hat für die ersten Jahre von der Stiftung Suyana eine Anschubfinanzierung erhalten. Inzwischen hat sie einen Fonds eingerichtet, der ermöglicht, dass die Kunden ihren Lohn in Raten bezahlen. Die Anpackende hilft auch ganz praktisch, Ordnung ins Bauernhofbüro zu bringen: «Wenn sich aus Zeitnot Berge von Papier ansammeln, wissen Bäuerinnen und Bauern oft gar nicht mehr, wo beginnen.» Da helfe eine Liste mit Prioritäten, die abgearbeitet wird.
Alles eine Frage der Ordnung
«Ich bin weniger Beraterin oder Planerin, sondern vor allem eine Macherin. Meine Kunden sollen erleben, wie aus einem Berg ein Hügel wird, deshalb erledige ich vieles für sie», erzählt sie. «Viele Landwirte unterschätzen, wie wichtig das Büro ist, vielleicht auch, weil in der bäuerlichen Politik oft über die unnötige Administration geklagt wird. Dies ist wohl berechtigt, wenn es um die Aufzeichnungen für Kontrollen geht.»
«Doch eine Buchhaltung muss auch jeder andere Unternehmer führen. Das Büro laufend zu erledigen, gibt weniger Aufwand, als wenn nach Monaten Daten und Unterlagen mühsam zusammengesucht werden müssen. Haben Betriebsleiter das Büro nicht im Griff, kann viel Geld verloren gehen.» Deshalb appelliert die Praktikerin auch an die Ausbildner, dies in der Lehrzeit mehr zu thematisieren.
Zur Ordnung im Büro hat sie einen simplen Trick: «Es beginnt beim Sortieren der eingehenden Post. In jeder Küche sollte es eine Schublade oder Kiste für Rechnungen und zu erledigende Unterlagen geben, dort wird alles gesammelt und einmal pro Monat erledigt.»
Gläubiger sind dankbar
Sandra Steffen machte ihre KV-Ausbildung am Obergericht und kam da erstmals mit rechtlichen Fragen, aber auch mit Themen wie Verschwiegenheit in Berührung. Anschliessend arbeitete sie 17 Jahre für die Biosphäre Entlebuch als Buchhalterin und Projektmanagerin. Dabei konnte sie ihr treuhänderisches Flair aufbauen, lernte den Umgang mit Behörden, Gesuche formulieren oder zu verhandeln. Daneben füllte sie, vorwiegend für Privatpersonen, Steuererklärungen aus.
«Offen zur schwierigen Situation stehen ist wichtig und schafft Goodwill.»
«Dies alles kommt mir heute zugute. Ich organisiere und strukturiere sehr gerne. Inzwischen durfte ich viel Erfahrung sammeln, und bei jedem Kunden lerne ich noch etwas Neues dazu», ist sie dankbar. Etwa 70% ihrer Zeit setzt die Fachfrau für ihr SOS Bauernhofbüro ein und ist dafür in der ganzen Deutschschweiz unterwegs. Das bäuerliche Sorgentelefon verweist öfters auf sie.
«Meist jedoch geben Gläubiger wie Tierärzte, Landmaschinenwerkstätten oder Futtermittelhändler meine Adresse weiter, weil sie durch meine Arbeit zu ihrem Geld gekommen sind. Manchmal gibt es auch bewegende Erlebnisse. Etwa wenn ein Gläubiger einem Schuldner die Schuld erlässt, weil er dessen Willen zur Veränderung spürt und ihn darin bestärken will», berichtet sie gerührt. «Offen zur schwierigen Situation stehen ist wichtig und schafft Goodwill», stellt sie immer wieder fest, «denn es kann jedem passieren, den Überblick zu verlieren.»
Der Hofkiosk ist ein Hobby
Sandra Steffen lebt mit ihrer Familie auf dem 16,6 ha grossen Betrieb «Rehärze» in der Bergzone II auf 1’000 Metern. Als sie auf den Hof zog, war ihr wichtig, weiterhin einer auswärtigen Tätigkeit nachzugehen. «Meine Schwiegereltern waren noch rüstig, und es brauchte meine Mithilfe nicht. Mein tolles Umfeld unterstützte mich stets.» Auch heute noch kann die 46-Jährige bei Bedarf auf ihre Mutter zählen, und auch die vier Kinder (zwischen 14 und 22 Jahre alt) helfen mit.

Sandra Steffen betreibt mit Herzblut einen Hofkiosk.
Annelies Bichsel
Ihr Mann Sepp hat den Betrieb kürzlich auf Mutterkühe umgestellt. Für die Genossenschaft Entlebucher Kräuter, in der Sandra Steffen im Vorstand mitarbeitet, werden 5 Aren Kräuter angebaut und daneben 3 Aren Kartoffeln. Da ihr Betrieb an der Herzroute Emmental-Entlebuch liegt, vermietet sie ein Studio über Airbnb und betreibt mit Herzblut einen Hofkiosk mit selbst gemachten Produkten. «Ich liebe es, zu verarbeiten, was die Natur uns schenkt. Der Freitagabend ist reserviert für die Herstellung eines Desserts für den Kiosk, dies ist mein Hobby», verrät sie.