
Die Ernährungssicherheit soll durch eine Steigerung des Netto-Selbstversorgungsgrads von 42 Prozent (2024) auf mindestens 70 Prozent erhöht werden.
zvg
Der Nationalrat lehnt die Ernährungsinitiative ab. Keine einzige Fraktion befürwortet das Begehren, das in den Worten vieler Ratsmitglieder diktiert, was auf den Teller kommt. Auch eine alternative, weniger weit gehende Verfassungsbestimmung will der Nationalrat nicht.
SP, Grüne und GLP hätten einen Gegenvorschlag gewollt, unterlagen aber mit 73 gegen 121 Stimmen. Dieser beschränkte sich auf die Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität sowie den Schutz von Gewässern, Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität.
Netto-Selbstversorgungsgrad von 70%
Am 16. August 2024 wurde die sogenannte «Ernährungsinitiative» eingereicht. Sie sieht die Stärkung der Selbstversorgung, die Sicherung der Grundwasserressourcen sowie die Förderung einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft vor und verlangt unter anderem, dass die Land- und Ernährungswirtschaft vermehrt auf die Produktion und den Konsum von pflanzlichen statt tierischen Lebensmitteln ausgerichtet wird. Die Ernährungssicherheit soll durch eine Steigerung des Netto-Selbstversorgungsgrads von 42 Prozent (2024) auf mindestens 70 Prozent erhöht werden. Der Nettoselbstversorgungsgrad setzt sich zusammen nach Abzug der Korrektur für importierte Futtermittel, die an die hiesigen Nutztiere verfüttert werden.
-> Nettoselbstversorgungsgrad sinkt 2024 auf 42 Prozent
Weiter fordert die Initiative die Sicherstellung von genügend sauberem Trinkwasser, der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit. Die in den Umweltzielen Landwirtschaft festgelegten Höchstwerte für Dünger- bzw. Nährstoffeinträge in die Umwelt dürfen nicht mehr überschritten werden. Das Ziel soll in zehn Jahren erreicht werden. Hinter der Initiative stehen Franziska Herren vom Verein «Sauberes Wasser für alle» sowie sechs weitere Personen. Herren war bereits treibende Kraft der 2021 an der Urne abgelehnten Trinkwasserinitiative.
Am 10. Dezember wurde erstmals über Initiative diskutiert. Im Ratsplenum gab es kaum Unterstützung für das Volksbegehren.
-> «Ernährungsinitiative verkennt Realität»
«Massive staatliche Eingriffe»
Am Mittwoch wurde die Debatte wieder aufgenommen. Nationalrat Martin Hübscher (SVP/ZH) sprach im Namen der Kommission. Er rief in Erinnerung, dass von der Million Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in der Schweiz nur etwa 275 000 Hektar offene Ackerfläche sind. Der Rest sei Grünland. «Von der offenen Ackerfläche wird etwa die Hälfte für Getreide genutzt. Es handelt sich um verschiedene Getreidearten. Die andere Hälfte verteilt sich auf Kartoffeln, Zuckerrüben, Gemüse, Ölfrüchte, Eiweisspflanzen und etwa 40’000 bis 49’000 Hektar Mais», sagte Hübscher weiter.
Die Kommission teile grundsätzlich das Anliegen eines hohen Selbstversorgungsgrades und einer nachhaltigen Landwirtschaft. Eine Annahme hätte gemäss Hübscher «massive staatliche Eingriffe in Produktion und Konsum zur Folge». Die Wahlfreiheit aller würde stark einschränkt.
Schwächung der Alpen- und Voralpenregionen
Wenn man die Selbstversorgung wirklich erhöhen wolle, müsse man bei den strukturellen Ursachen für den Anstieg der Nachfrage nach Lebensmitteln ansetzen. sagte Nationalrat Lorenzo Quadri (SVP/TI). «Nämlich bei der unkontrollierten Einwanderung – ein Thema, das die Befürworter dieser Initiative jedoch systematisch ignorieren», fuhr er fort.
Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion»: So stimmten die bäuerlichen Vertreter
Für Gegenvorschlag: Christine Badertscher (Grüne/BE), Kilian Baumann (Grüne/BE), Rudi Berli (Grüne/GE), Meret Schneider (Grüne/ZH)
Gegen Gegenvorschlag: Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR), Didier Calame (SVP/NE), Marcel Dettling (SVP/SZ), Sylvain Freymond (SVP/VD), Andreas Gafner (EDU/BE), Christian Glur (SVP/AG), Martin Haab (SVP/ZH), Alois Huber (SVP/AG), Martin Hübscher (SVP/ZH), Thomas Knutti (SVP/BE), Andreas Meier (Mitte/AG), Leo Müller (Mitte/LU), Jacques Nicolet (SVP/VD), Yvan Pahud (SVP, VD), Katja Riem (SVP/BE), Markus Ritter (Mitte/SG), Vroni Thalmann-Bieri (SVP/LU), Ernst Wandfluh (SVP/BE), Priska Wismer-Felder (Mitte/LU)
Präsident Pierre-André Page (SVP/FR) stimmt nicht ab
Ziff. I Art. 74a Abs. 1 Der Bund und die Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten dafür, dass die landwirtschaftlich genutzten Ökosysteme in ihrer Vielfalt und Leistungsfähigkeit erhalten und die Biodiversität gefördert werden. Ziff. I Art. 74a Abs. 2 Der Bund stellt sicher, dass die für die Gewässerqualität, die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität wesentlichen von den zuständigen Bundesämtern festgelegten Umweltziele für die Landwirtschaft eingehalten werden, insbesondere die Höchstwerte für Stickstoffverbindungen und Phosphor.
Die Erhöhung des Selbstversorgungsgrad sei nur mit einer Einschränkung der Wahlfreiheit möglich, sagte Quadri weiter. Die individuelle Freiheit werde beeinträchtigt, die Produkte der Region geschwächt. Und schliesslich entscheide der Staat, was die Bürger auf ihren Tellern haben sollen.
Quadri brachte auch wirtschaftliche Argumente ein. «Die Tierhaltung ist ein wesentlicher Bestandteil des landwirtschaftlichen Einkommens, insbesondere in den Alpen- und Voralpenregionen. Eine erzwungene Umstellung der Produktion würde zu Investitionsverlusten, Schwierigkeiten für Familienbetriebe und einer Schwächung der ländlichen Wirtschaft führen», warnte er.
Bundesrat dagegen
Der Bundesrat ist gegen die Initiative. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats beantragt mit 23 Stimmen und zwei Enthaltungen, aber ohne Gegenstimme ein Nein. Sowohl die Landesregierung als auch die vorberatende Kommission wenden ein, die Initiative könne nur mit tiefen Eingriffen in die Produktion und den Konsum von Lebensmitteln erreicht werden. Die Wahlfreiheit würde drastisch eingeschränkt.
Um das Ziel zu erreichen, müsse die Produktion und der Konsum von Fleisch stark reduziert und die pflanzliche Produktion zur menschlichen Ernährung stark ausgeweitet werden. «Dies wäre nur möglich, wenn der Staat massiv in die Produktion und in den Konsum von Lebensmitteln eingreifen würde», sagte Bundesrat Guy Parmelin im August 2025.
Die Tierbestände müssten bei einem Ja zur Initiative um fast die Hälfte verkleinert werden, führte er damals aus. Betroffen wären vor allem Schweine und Geflügel.
-> «Nicht realistisch»: Bundesrat lehnt Ernährungsinitiative ab