Das Zucker-Dilemma: Mehr produzieren, weniger konsumieren

Einerseits soll die Bevölkerung weniger Zucker zu sich nehmen und die Lebensmittelindustrie den Zuckergehalt ihrer Produkte reduzieren. Andererseits unterstützt der Bund den Zuckerrübenanbau so grosszügig wie keine andere Kultur.

Cyril Nietlispach |

Die Bevölkerung in der Schweiz konsumiert doppelt so viel Zucker, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, nämlich durchschnittlich etwa 100 Gramm oder 25 Würfelzucker pro Tag. Ein zu hoher Zuckerkonsum kann zu Übergewicht führen und so das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes Typ 2 erhöhen. Die Kosten für solche nicht übertragbaren Krankheiten belaufen sich jährlich auf über 50 Milliarden Franken.

Zuckerreduktion

Im Sinne der öffentlichen Gesundheit rief das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) an der Weltausstellung 2015 in Mailand die «Erklärung von Mailand» zur Zuckerreduktion ins Leben. Am 21. August 2025 verpflichteten sich 21 Schweizer Lebensmittelunternehmen freiwillig, den Zucker in ihren Lebensmitteln weiter zu reduzieren.

Im Beisein von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider haben sie die «Erklärung von Mailand» erneut unterzeichnet und neue Reduktionsziele vereinbart: 10 Prozent weniger Zucker in Frühstücksflocken, Molkeprodukten und Milchgetränken, 5 Prozent weniger Zucker in Joghurts. Dass sich 21 Unternehmen freiwillig dazu verpflichtet hätten, die Zuckerreduktion in verarbeiteten Lebensmitteln weiter voranzutreiben, sei ein ermutigendes Zeichen, sagte die Bundesrätin an der Medienkonferenz.

«Erklärung von Mailand»

Die «Erklärung von Mailand» ist wirkungsvoll: Bei Cerealien beträgt die Zuckerreduktion bisher fast 40 Prozent. In Joghurts wurde der Zucker um rund 13 Prozent und in Quark um 10 Prozent reduziert. Neu lancierte Produkte weisen oft einen Zuckergehalt auf, der deutlich unter dem Marktdurchschnitt liegt. Bei den Erfrischungsgetränken sank der Zuckergehalt bisher um gut 13 Prozent.

Zucker ist nicht nur Thema in der Gesundheitspolitik, Zucker ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelindustrie. Im Jahr 2023 wurden 273’000 Tonnen Zucker im Inland produziert, 580’000 Tonnen importiert und 386’000 Tonnen in Form von Süssgetränken und Schokolade exportiert. 2023 betrug der Selbstversorgungsgrad beim Zucker noch rund 57 Prozent. Aufgrund der schlechten Ernte im letzten Jahr und des tiefen Zuckergehalts der Rüben ist der Selbstversorgungsgrad beim Zucker mittlerweile unter 50 Prozent gesunken.

Swissness-Regelung

Die Swissness-Regelung legt klare Kriterien für die Verwendung des Begriffs «Schweiz» und des Schweizer Kreuzes als Herkunftsangaben fest. Sie ist seit dem 1. Januar 2017 in Kraft und schützt den Wert der Marke Schweiz vor Missbrauch. Für Lebensmittel gilt, dass 80 Prozent eines Rohstoffes aus der Schweiz stammen müssen, wenn es als Schweizer Produkt ausgezeichnet werden soll. Sobald der Selbstversorgungsgrad des Rohstoffes unter 50 Prozent liegt, wie jetzt beim Zucker, gilt die 40-Prozent-Regelung. Während sich der inländische Verbrauch auf 320’000 Tonnen beläuft, machen die 40 Prozent, die den Verarbeitern nun vorgeschrieben werden, 128’000 Tonnen aus.

In der Schweiz wird deutlich mehr als das produziert. Die inländischen Bestände sind deshalb aufgrund des höheren Preises im Vergleich zur Importware nicht leicht zu verkaufen. Die Schweizer Zucker AG betreibt die beiden einzigen Zuckerfabriken der Schweiz in Aarberg BE und Frauenfeld TG. «Das Swissness-Label ist zurzeit unsere grösste Herausforderung. Um die 50-Prozent-Marke wieder zu knacken, brauchen wir mehr Rübenanbaufläche und bessere Zuckererträge pro Hektare», sagt Lukas Aebi, der Leiter Rübenmanagement, gegenüber dem «Tages-Anzeiger».

Paradoxe Politik, meint der «Blick»

Seit 2022, als die Anbaufläche von Zuckerrüben mit 15’647 Hektaren ihren Tiefpunkt erreichte, fördert der Bund den Anbau von Zuckerrüben mit Einzelkulturbeiträgen (2’100 Fr./ha), mit Beiträgen für den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel (800 Fr./ha) und weiteren Beiträgen. Im Fokus steht dabei die integrierte und biologische Produktionsweise. So kann ein Bioproduzent beim Anbau von Zuckerrüben mehr als 3’000 Franken Bundesgelder pro Hektare generieren. Keine andere Kultur erhält mehr Direktzahlungen als die weissen, süssen Rüben.

Die Schweizer Zuckerpolitik ist umstritten. Sie sei paradox, titelte der «Blick». Denn nicht nur die subventionierte Zuckerproduktion würde den Staat Millionen kosten, noch viel teurer seien die Folgen des zu hohen Zuckerkonsums. Oliver Nussli, der CEO der Schweizer Zucker AG, sagt es so: «Wir haben und werden nie zu erhöhtem Zuckerkonsum auffordern. Der Schweizer Markt verlangt mehr, als was wir produzieren können. Unser Credo lautet: Wir produzieren nachhaltigen Schweizer Zucker für hierzulande produzierte Schweizer Lebensmittel.»

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