
Martin Rufer ist Direktor des Schweizer Bauernverbands (SBV). Der Ingenieuragronom ETH ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
zvg
Es ist drei Jahre her, dass die letzte Tierschutzinitiative vom Stimmvolk mit knapp 63 Prozent abgelehnt wurde. Nun positionieren sich die Tierschützer erneut mit einer Volksinitiative – der Initiative für regelmässigen Auslauf ins Freie (Auslaufinitiative). Wie wurde der Schweizer Bauernverband (SBV) von den Tierschutzorganisationen mit einbezogen?
Martin Rufer: Im August haben wir uns mit den Trägerorganisationen der Initiative – Sentience, KAG Freiland, der Stiftung für das Tier im Recht und Vier Pfoten – ausgetauscht. Dabei zeigten wir mögliche Ansätze auf, wie sich konkrete Fortschritte im Bereich Tierwohl erzielen liessen. Genützt hat das Gespräch leider nichts.
Welche Ansätze wären das?
Eine Möglichkeit besteht darin, die bestehenden Tierwohl-Labels weiter zu stärken – etwa Bio Suisse, IP-Suisse oder KAG Freiland. Ebenso könnten die Tierwohlprogramme «Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme» (BTS) und «Regelmässiger Auslauf im Freien» (Raus) im Rahmen der Agrarpolitik ab 2030 ausgebaut werden. Auch mehr Mittel im Bereich der Strukturverbesserungen könnten einen Beitrag zur Stärkung des Tierwohls leisten.
«Es geht ihnen nicht ums Tierwohl. Vielmehr wollen sie sich im Gespräch halten, und sie wollen Spendengelder.»
Wie reagierten die Initianten auf diese Vorschläge?
Sie nahmen unsere Anregungen zur Kenntnis, meldeten sich aber erst wieder am Tag, als sie ihre Kampagne lancierten – ohne inhaltliche Rückmeldung. Keine Auseinandersetzung, kein Dialog. Das zeigt uns: Den Initianten geht es nicht um das Tierwohl, sondern um ihre Profilierung. Diese Initiative ist eine Zwängerei.
Die Kampagnenleiterin Naomi Rey sagte gegenüber dem «Schweizer Bauer», die Initiative sei nötig, um der gesellschaftlichen Erwartung an eine tiergerechte Landwirtschaft gerecht zu werden. Nur rund 15 Prozent der Tiere hätten regelmässig Auslauf. Was vermuten Sie, worum es den Initianten tatsächlich geht?
Nach dem Gespräch mit den Trägern und ihrer Reaktion ist für uns klar: Es geht ihnen nicht ums Tierwohl, vielmehr wollen sie sich im Gespräch halten, und sie wollen Spendengelder. Die gesellschaftliche Erwartung wird heute bereits mit den Labelangeboten abgedeckt. Ihre Kommunikation ist folglich polemisch und teilweise sogar fehlerhaft.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Auf ihrer Website sprechen sie von 80 Millionen Nutztieren in der Schweiz. Tatsache ist jedoch: Es gibt rund 16,5 Millionen Nutztiere. Das ist Polemik mit falschen Zahlen – es geht einzig darum, Aufmerksamkeit zu erregen.

Bei den Milchkühen sind über drei Viertel im Raus-Programm.
Corina Mettler
Warum will der SBV nicht jedem Nutztier den Auslauf ins Freie ermöglichen?
Wir haben in der Schweiz ein gutes Tierhaltungssystem. Bei den Milchkühen sind über drei Viertel im Raus-Programm, bei Schafen und Legehennen rund 90 Prozent, bei Schweinen etwa 60 Prozent. Einen tiefen Anteil haben wir bei den Mastpoulets – was mit der Tierart zusammenhängt. Wir begrüssen es, wenn der Raus-Anteil steigt, aber eine generelle Pflicht braucht es nicht.
Weshalb wäre eine Auslaufpflicht problematisch?
Erstens würde sie zu hohen Investitionen führen: Wer die Anforderungen nicht erfüllt, müsste Geld investieren oder die Tierhaltung aufgeben. Zweitens würden die bestehenden Labels geschwächt – ihr Alleinstellungsmerkmal und damit der Mehrwert eines Raus-Produkts gingen verloren.
«An einem konstruktiven Austausch und einem gemeinsamen Ziel besteht kein Interesse.»
Die Initiative verlangt, dass die Umsetzung sozialverträglich erfolgt und Importvorschriften eingeführt werden. Bauern hätten also keine wirtschaftlichen Einbussen zu befürchten.
Das ist eine Illusion. In der Schweiz würden solche Vorschriften streng umgesetzt und kontrolliert. Aufgrund internationaler Abkommen liessen sich vergleichbare Importvorgaben nicht durchsetzen. Das sehen wir heute schon bei Importen von Käfigeiern oder Hormonfleisch – solche Produkte dürfen nicht verboten werden.
Die Auslaufinitiative ist ein Gemeinschaftsprojekt von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen. Auch der ehemalige Fibl-Direktor Urs Niggli unterstützt sie. Er sagt: «Tierwohl entsteht im Dialog zwischen Landwirtschaft, Gesellschaft und Politik. Die Auslaufinitiative schafft Raum dafür, diese Verantwortung weiterzuentwickeln.» Kann der SBV dies ebenfalls als Chance für den Dialog sehen?
Wir waren im Dialog mit den Organisationen. Doch es zeigte sich schnell: An einem konstruktiven Austausch und einem gemeinsamen Ziel besteht kein Interesse. Unsere Haltung und unsere Vorschläge wurden ignoriert. Wie gesagt – es geht den Initianten um Selbstdarstellung.
Wie geht es nun weiter?
Kurz nach der Lancierung der Initiative riefen die Initianten bereits zu Spenden auf. Bevor überhaupt eine Unterschrift gesammelt war, wollten sie 200’000 Franken einnehmen. Wir konzentrieren uns derweil darauf, Tierwohlprodukte im Markt besser zu positionieren. Wer seinen Tieren mehr Tierwohl bietet, soll dafür auch entsprechend entlöhnt werden.
Mehr zur Initiative
Das Komitee rund um Sentience Politics, KAG‑Freiland, Stiftung für das Tier im Recht und Vier Pfoten lanciert eine neue Volksinitiative: «Alle landwirtschaftlich gehaltenen Tiere sollen regelmässigen Auslauf ins Freie erhalten». Die Unterschriftensammlung startet im Frühjahr.
Gemäss den Initianten leben in der Schweiz über 80 Millionen Nutztiere, von denen viele nie das Tageslicht sehen – einzig beim Transport zum Schlachthof. Sie fordern deshalb ein garantiertes Recht auf Auslauf für alle Tiere. Der vorgeschlagene Wortlaut der Initiative verlangt, dass der Bund die nötigen Voraussetzungen schafft und gleichzeitig sozialverträglich vorgeht sowie Regularien für den Import von Tieren und Tierprodukten erlässt.
Die Initiative könnte weitreichende Konsequenzen für die Nutztierhaltung haben – vom Stallbau über Weideflächen bis zur Zertifizierung. Insbesondere in Systemen mit hoher Tierdichte oder spezialisierten Ställen stellt sich die Frage nach Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Die Initianten sehen darin zugleich eine Chance: Mehr Tierwohl, höhere Transparenz und eine Agrarproduktion, die stärker auf Nachhaltigkeit setzt.