
Holsteinkühe mit guter Leistung, die aber ausgiebig Gras und Heu fressen. So ein Betrieb dürfte bei der Höhe des Klimabeitrags irgendwo in der Mitte liegen.
Daniel Salzmann
Am 22. September publizierte die Branchenorganisation Milch (BOM) eine Mitteilung. Darin versteckte sich ein Hinweis auf das Resultat eines Seilziehens zwischen Milchproduktionsbetrieben, die mit Holsteinkühen, bestem Grundfutter und recht hohen Kraftfutterbeigaben hohe Milchleistungen erreichen, und Milchviehbetrieben, die typischerweise Zweinutzungs- oder Kiwi-Cross-Kühe haben, die fast nur Raufutter fressen.
Die BOM schrieb: «Der Klimarechner BOM (…) berücksichtigt auch den Aspekt der Nahrungsmittelkonkurrenz und stellt damit ein faires System für die extensivere, auf Grasland basierende Milchwirtschaft zur Verfügung.»
Eigentlich falsch gemessen
Recherchen des «Schweizer Bauer» zeigen, dass die Schweizer Detailhändler, gleich wie die europäischen Branchenkollegen, den Klimafussabdruck der Produkte (Product Carbon Footprint/PCF) kennen wollen, die sie in ihr Regal stellen. Dieser wird in CO2-Äquivalenten pro Kilogramm Milch bemessen.
Dabei wird das von den Kühen ausgestossene Methan gemäss einem Papier der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften von 2023 wissenschaftlich nicht korrekt in CO2 umgerechnet, was die Klimawirkung aller Raufutterverzehrer (Kühe, Schafe, Ziegen, Pferde) überschätzt und ausblendet, dass diese bei stabilem Bestand und stabilen Methanemissionen keine weitere Erwärmung des Klimas mehr bewirken.
Da aber weltweit alle so rechnen, weil es die UNO so vorgibt, kann es der Schweizer Milchbranche egal sein, solange bloss Milchviehhaltungen untereinander verglichen und nicht Milch und Fleisch mit anderen Produkten verglichen werden.
Abgeltung für die Bauern
Im Juni 2025 verabschiedete die IG Detailhandel zusammen mit zahlreichen Branchenakteuren eine Absichtserklärung zum Thema Klima. Dort steht: «Die von den Produzenten erbrachten Leistungen (inkl. der vorgängigen Datenerhebungen) werden durch höhere Zuschläge (beispielsweise Richtpreiszuschlag im Milchbereich) am Markt durch die jeweiligen Abnehmer (u.a. Verarbeitung, Handel und Industrie) abgegolten. Diese Abgeltungen werden separat ausgewiesen.»
Im Milchbereich und vielleicht später auch für andere landwirtschaftliche Produkte sollen die Werte vom Klimarechner der BOM kommen, die gemäss Mitteilung vom 22. September fortan eng mit der Bioinspecta zusammenarbeiten wird, deren Eigentümerin Easy-Cert auch einen Klimarechner hat.
Bio schneidet schlecht ab
Gemäss Informationen des «Schweizer Bauer» haben erste Resultate des Klimarechners gezeigt, dass Biomilchbetriebe, die Kraftfutter höchstens im Umfang von 5% der Trockensubstanz geben dürfen, und andere graslandbasierte Betriebe schlecht abschneiden. Sie haben viel höhere Emissionen (CO2-Äquivalente) pro Kilogramm Milch als die Holsteinbetriebe mit ihren hohen Milchleistungen.
«Hohe Einzeltierleistungen durch Kraftfuttereinsatz senken zwar die Emissionen pro Liter Milch, verstärken aber den Druck auf die Ackerflächen, erhöhen den Verbrauch an fossilen Brennstoffen und können die Tiergesundheit beeinträchtigen.»
Ausgerechnet die Betriebe der Bio Suisse, die auf ihrer Website «Bio schützt das Klima» titelt und sich im Jahr 2022 zum Ziel gesetzt hat, bis ins Jahr 2040 Netto-null für die Produktion von Biolebensmitteln zu erreichen. Nicht zuletzt darum kritisiert das Forschungsinstitut für Biolandbau (Fibl) im kürzlich publizierten Faktenblatt «Kuh und Klima» die Betrachtung in Emission pro Kilogramm Produkt.
Das Fibl schreibt: «Hohe Einzeltierleistungen durch Kraftfuttereinsatz senken zwar die Emissionen pro Liter Milch, verstärken aber den Druck auf die Ackerflächen, erhöhen den Verbrauch an fossilen Brennstoffen und können die Tiergesundheit beeinträchtigen.» Auch das Argument, dass die Weidewirtschaft Böden, Wasser und Biodiversität schütze und Kulturlandschaften erhalte und die regionale Ernährung sichere, wird vom Fibl ins Feld geführt.
Ein «Bauernkrieg» drohte
Die Biobetriebe hätten bei einer reinen Betrachtung in CO2- Emissionen pro Kilogramm Milch also fast keinen «Klimabeitrag» bekommen, während Betriebe mit Hochleistungskühen fast das gesamte Klimageld erhalten hätten. Das sorgte verständlicherweise bei den Vertretern der graslandbasierten Milchproduktion für Aufregung.
Es drohte ein neuer «Bauernkrieg» zwischen Hochleistungs- und Graslandbetrieben. Die Holsteinbetriebe hätten sagen können: «Die Bioknospemilchbetriebe und die IP-Suisse-Wiesenmilch-Betriebe bekommen am Markt für ihre Produktionsweise eine Prämie von vielleicht 20 Rp./kg bzw. rund 4–5 Rp./kg gegenüber unserer Suisse-Garantie-Milch. Da fällt es nicht so ins Gewicht, wenn wir Holsteinbetriebe 2 oder 3 Rp./kg Klimabeitrag bekommen.»
Graslandseite wurde aktiv
Doch die Graslandbetriebe sind in gewissen Gremien, zum Beispiel im SMP-Vorstand, gut vertreten und machten sich dafür stark, die guten Werte im Bereich Nachhaltigkeit bei den Graslandbetrieben nicht zu torpedieren. Die Graslandbetriebe haben die Labelorganisationen Bio Suisse und IP-Suisse im Rücken, die wiederum sehr nahe an den Detailhändlern Coop und Migros sind und von dorther auf Support zählen können.
Dem Vernehmen nach lehnten es auch das Bundesamt für Landwirtschaft und Emmi ab, dass Graslandbetriebe bei einem neuen Klimabeitrag fast leer ausgehen, mögen deren Emissionen pro Kilogramm Milch noch so schlecht sein. Ein Holsteinbetriebsleiter kommentiert das wie folgt: «Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.»
Eine Kompromisslösung
Darum kam es zu einer Kompromisslösung, indem unter dem Titel «Klima» auch die Nahrungsmittelkonkurrenz berücksichtigt wird, die eigentlich mit dem Klima direkt nichts zu tun hat. Dabei geht es darum, dass es aus Sicht vieler Wissenschaftler und Branchen- und Verwaltungsleute problematisch ist, wenn die Kuh etwas frisst, das auch der Mensch essen könnte, wie es bei Soja und Weizen der Fall ist.
Auf Anfrage des «Schweizer Bauer» erläutert Stefan Kohler die Hintergründe und die aktuellen Pläne der BOM. «In der Branche wurde es verbreitet als falsches Signal empfunden, wenn unter dem Titel Klima, das nur einer von vielen Nachhaltigkeitsindikatoren ist, die Haltung von Kühen mit hohen Milchleistungen einseitig favorisiert worden wäre, während Graslandbetriebe nur wenig bekommen hätten.»
Kohler sagt weiter, dass darum in der BOM ein Vorschlag erarbeitet worden sei, in dem auch die Nahrungsmittelkonkurrenz berücksichtigt werde, wie das übrigens bereits jetzt bei der Klimastar-Milch der Fall sei.
Das ist derzeit geplant
Laut Stefan Kohler, dem Geschäftsführer der Branchenorganisation Milch, wird das folgende System zurzeit mit dem Detailhandel diskutiert. Für die Klima-Abgeltung sind drei Komponenten geplant. Der erste Teil ist eine pauschale Abgeltung an die Betriebe für die Datenerfassung im Klimarechner, die für jeden Betrieb gleich gross sein soll. Der zweite Teil bezieht sich auf die CO2-Emissionen pro Kilogramm Milch: Je tiefer diese sind, desto mehr gibt es hier in Rappen pro Kilogramm Milch.
Der dritte Teil betrifft die Nahrungsmittelkonkurrenz in der Rindviehfütterung. Im Fokus stehen dabei laut Kohler die zugekauften Eiweisskomponenten im Futter. Wer wenig oder keine einsetzt, schneidet in der Nahrungsmittelkonkurrenz gut ab und bekommt darum bei diesem Teilbetrag in Rappen pro Kilogramm Milch mehr Geld als ein Betrieb, der viel Kraftfutter einsetzt.
Details der Umsetzung sind noch offen. Für die Finanzierung ist laut Kohler Folgendes angedacht: Es gibt auf Stufe Konsumentenpreise eine Preiserhöhung, die von den Milchverarbeitern eingezogen und in einen Fonds überwiesen wird. Das so zusammenkommende Geld soll dann auf die drei Teilbeiträge verteilt werden, wobei am meisten Geld für den zweiten Teil fliessen soll, weil das Ganze ja auch unter dem Titel «Klima» läuft.
Das bedeutet gemäss Kohler voraussichtlich, dass Betriebe mit hohen Milchleistungen immer noch mehr Klimabeitrag bekommen werden als Graslandbetriebe, aber der Unterschied wird kleiner sein, als er ohne Einbezug der Nahrungsmittelkonkurrenz wäre. sal