
treitgespräch: Franziska Herren, Moderator Luca da Rugna und Martin Haab.
Susanne Sigrist
Franziska Herren, Initiantin der Ernährungsinitiative, und Martin Haab, Präsident des Zürcher Bauernverbands (ZBV) und SVP-Nationalrats, trafen sich in der Bibliothek Uster, um vor interessiertem Publikum über die Ernährungsinitiative zu sprechen. Die beiden kennen sich bereits seit 2018, als die ebenfalls von Franziska Herren lancierte Trinkwasserinitiative öffentlich diskutiert wurde.
Abstimmungstermin offen
Die Abstimmung darüber fand im Jahr 2021 statt, 39,3 Prozent der Bevölkerung stimmten dafür. Die Ernährungsinitiative wiederum ist vor rund einem Jahr zustande gekommen und kürzlich von der Nationalratskommission abgelehnt worden.
Der Abstimmungstermin ist noch offen. Die Initiative hat das Ziel, den Selbstversorgungsgrad der Schweiz von heute rund 50 auf 70 Prozent zu steigern. Dies soll unter anderem mit einer Senkung des Tierbestands und vermehrtem Anbau von pflanzlichen Proteinen erreicht werden. Ebenso soll der Biodiversität mehr Rechnung getragen und der Rohstoff Wasser besser geschützt werden.
Zwei Seiten einer Medaille
Bevor es zum Streitgespräch kam, konnten beide Referenten ihre Argumente dem Publikum darlegen. Der Präsident des ZBV, Martin Haab, legte als Erster los, sprach über die aktuelle landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz, wo nur rund 10 Prozent der Fläche für Ackerbau geeignet seien, über Konsumgewohnheiten der Bevölkerung – der Verkauf von Rind- und Schweinefleisch sei rückläufig, dafür sei Geflügelfleisch stark gefragt, und die Hühner würden zu einem grossen Teil mit ausländischem Futter gemästet, das sei ein Fakt – und Ernährungssicherheit.
Ein Selbstversorgungsgrad von 70 Prozent sei in seinen Augen eine Utopie. Franziska Herren, die in ihrem kurzen Referat eher verhalten wirkte, bezog bei der Diskussion jedoch sehr klar Stellung für ihre Anliegen und war um eine Antwort nie verlegen, sodass Moderator Luca da Rugna von der Lokalzeitung «Zürcher Oberländer» keine Mühe hatte, das Gespräch in Gang zu halten. Mit seiner unaufgeregten, direkten Art schaffte er es, den beiden Kontrahenten eine Plattform zu bieten, die für das Publikum sowohl unterhaltsam wie auch lehrreich war.
«Alles andere ist Beilage»
Keine grössere Diskussion gab es zum Selbstversorgungsgrad. «Auch wenn ich 70 Prozent eine Utopie finde – das wünsche ich mir auch», gab Haab zu. Weniger einig waren sie sich über den Weg dahin. «Unsere Initiative ist einfach zu verstehen», erklärte Herren. «Das Grasland lassen wir für die Tiere, das Ackerland zuerst für die Menschen.» Zugespitzt gesagt: weniger Silomais für Tiermast, mehr pflanzliche Proteine für die Bevölkerung. Oder, wie Herren meinte: «Schweizer Hülsenfrüchte – alles andere ist Beilage.»
«Wir verwenden immer weniger Düngemittel und Pestizide, gleichzeitig haben wir eine wachsende Bevölkerung zu ernähren. Wie soll das gehen?»
Damit erhoffen sich die Initianten Ernährungssicherheit, sinkende Zahlen bei Pflanzenschutzmitteln, sauberes Wasser, eine gesunde Bevölkerung, weniger Abhängigkeit von Importen vor allem im Pflanzenbereich und weniger Ammoniak in der Luft. «Da musst du als Nationalrat deine politische Verantwortung wahrnehmen, Martin», forderte Franziska Herren. «Unsere Agrarpolitik ist ein Problem.»
Die Antwort gab Martin Haab jedoch aus der Optik als Präsident des ZBV: Sie würden nur anbauen, was die Konsumenten wollten. Der Trend zu Vegetarismus und Veganismus sei gebrochen. Ebenso sei die Nachfrage nach Bioprodukten bescheiden. «Wir verwenden immer weniger Düngemittel und Pestizide, gleichzeitig haben wir eine wachsende Bevölkerung zu ernähren. Wie soll das gehen?» – «Die Frage ist, ob der Markt bestimmt oder die Landwirtschaft», konterte Herren. «Ihr habt es in der Hand. Ihr habt einen Ernährungsauftrag zu erfüllen, so steht es in der Verfassung.»
Kritische Rückfragen
Das Publikum reagierte kritisch auf die gegensätzlichen Voten. «Warum sind die Bauern immer so problemorientiert?», wollte jemand wissen. «Gebt doch der Initiative eine Chance.» Und jemand meinte am Ende der Veranstaltung, als sich bereits alle langsam auf den Heimweg machten: «Ich habe verstanden, dass das Verhalten der Konsumenten zentral ist. Aber was wäre, wenn man die Konsumenten sanft steuern würde?» Diese Frage wäre sicher eine weitere Diskussion wert, nicht nur aus politischem, sondern auch aus ethischphilosophischem Blickwinkel.