
Um mehr Zeit für den Sport zu haben, hat Patrik Wägeli seinen Betrieb auf Rindermast umgestellt.
Thomas Güntert
Der als «Fastest Farmer» bekannte Landwirt und Marathonläufer Patrik Wägeli trainiert jeden Tag, rund 180 Kilometer in der Woche, und gönnt sich nur alle zwei Wochen einen freien Sonntag. Morgens um halb acht bindet er sich die Laufschuhe und läuft vor dem Frühstück 20 Kilometer.
Danach arbeitet er bis 17 Uhr auf dem Hof und absolviert dann die zweite Trainingseinheit mit einem 10-Kilometer-Lauf oder einem Kraft- oder Alternativtraining. Er absolviert einen Tag hartes Intervalltraining, den folgenden Tag locker und macht jeden Samstag einen «Long Run» von 30 bis 40 Kilometern, bei dem er die letzten zehn Kilometer im Wettkampf-Tempo läuft.
Sukzessive Umstellung
Um diese Strapazen zu bewältigen, hat er nach der Übernahme des 50 Hektaren umfassenden elterlichen Hofs in Nussbaumen TG vor vier Jahren die Bewirtschaftung sukzessive umgestellt und die Betriebsabläufe optimiert. Wägeli hat auch das Haus und die Scheune umgebaut und ist vor zwei Jahren mit seiner langjährigen Freundin Anina Brühwiler von Frauenfeld auf den Hof gezogen.
«Mir ist es wichtig, dass meine Zeit sehr effizient genutzt ist, damit ich möglichst viel Zeit zum Trainieren und Erholen habe», sagt der 34-Jährige, der die körperliche Belastung in der Landwirtschaft eher als Nachteil für seinen Sport sieht. «Sie beeinträchtigt die Regenerationszeit und erzeugt praktisch keinen Trainingseffekt», sagt Wägeli, der sämtliche Büroarbeiten selbst erledigt und die Arbeiten abgibt, die andere machen können.
Durchs Laufen zur Rinderzucht
«Auf dem Bauernhof aufzuwachsen und früh mitzuarbeiten, gab mir eine gute Grundausdauer und die nötige Härte, die es im Marathon braucht. Es macht aber keinen Sinn, wenn ich 1’000 Kleinballen aufstaple», sagt der Sportler, der lieber fünf Stunden mit dem Traktor auf dem Feld ist. Weil die Rinderzucht mit seinem Sport besser zu vereinbaren ist, tauschte er im letzten Jahr die 27 Milchkühe im Stall durch 50 Mastrinder aus.
Zudem hält er auf einer Ökoweide im Seebachtal noch neun Schottische Hochlandrinder. «Ich war noch nie der ‹Chüeni›, sondern immer mehr der Ackerbauer», sagt Wägeli, der sich bei den Kulturen auf Kartoffeln, Zuckerrüben, Karotten, Mais und Weizen spezialisiert hat. «Wenn ich zehn Hektaren Getreide mache, säe ich auch keine drei verschiedenen Sorten», sagt der Hofnachfolger, der neben seinen Eltern auch von Barbara Gantenbein unterstützt wird, die mit rund 40 Prozent bei Wägeli arbeitet.
Tabakanbau aufgegeben
In den vergangenen Jahren ist Patrik Wägeli auch in der Kritik gestanden, weil auf dem Hof, den er damals in Generationengemeinschaft mit seinen Eltern führte, Tabak angebaut wurde. Das sei mit Ausdauersport nicht zu vereinbaren, hiess es immer wieder. Wägelis Vater Thomas (68) hat sich seit 1975 auf den Anbau der herausfordernden Intensivkultur spezialisiert und wurde dabei von seiner Frau Susanne (58) und drei Saisonkräften unterstützt.
Nach der Betriebsübernahme wurde dieser zeitintensive Betriebszweig aufgegeben. «Ich verurteile den Tabakanbau nicht, denn geraucht wird sowieso», betont Patrik Wägeli. Die Tabakscheune wurde zur Maschinen- und Lagerhalle umfunktioniert, und der Vater hat den Stallbereich übernommen. «Wenn ich früher am Wochenende nach 35 Kilometern Lauftraining oder nach einem Wettkampf noch in den Stall musste, dann war das schon zäh», erinnert sich der Jungbauer, der seit 2019 für die Gemeinde Nussbaumen auch den Strassendienst und verschiedene Kommunalarbeiten ausführt
Freud und Leid
Patrik Wägeli wurde im letzten Jahr bei seinem «emotionalsten Rennen des Lebens» nach 2019 zum zweiten Mal Schweizer Meister. Im Vorfeld wurde ein spannender Zweikampf mit dem Titelverteidiger Adrian Lehmann erwartet, wobei man beim Marathonsport nicht von Konkurrenten sprechen kann, weil alles sehr familiär, freundschaftlich und gesittet vonstattengeht. Die beiden Laufkollegen hatten in derselben Woche noch zusammen trainiert, und Lehmann erlitt einen Tag später einen Herzinfarkt.

Patrik Wägeli findet im Sport einen Ausgleich zum Bauern.
Thomas Güntert
Wägeli kam dann als bester Schweizer ins Ziel, als er kurz darauf erfahren musste, dass sein Freund am Vorabend im Alter von 34 Jahren gestorben ist. «Von den aktuell fünf schnellsten Marathonläufern der Schweiz sind nun zwei davon Landwirte», weiss Wägeli, der durch den Tod seines Freundes gelernt hat, das Leben und den Moment mehr zu schätzen. «Man weiss nie, wie lange man noch hat.» Er ist nun schon zufrieden, wenn alles läuft und er eine gewisse Freizeit geniessen kann. Zusammen mit Anina, die er im letzten Sommer geheiratet hat.
Sport ist Ausgleich
Vom Zeitaufwand her ist Wägeli 60 Prozent Bauer und 40 Prozent Profisportler, wobei das Nettoeinkommen zu etwa 85 Prozent aus der Landwirtschaft stammt. «Finanziell werde ich durchs Laufen nicht reich», sagt Wägeli, der von den Sponsorengeldern Trainingslager, Anreisen zu Wettkämpfen und seinen eigenen Betreuerstab finanzieren muss. Vom Laufen kann man erst richtig gut leben, wenn man in der absoluten Weltspitze läuft.
Wägeli braucht aber den Sport für den Ausgleich zu seiner Arbeit auf dem Bauernhof und hat sich nach zwei gescheiterten Olympiaqualifikationen ein neues Ziel gesetzt. Im Herbst fliegt er nach Spanien, um sich beim Valencia-Marathon mit der Limite von 2:11:00 für die Europameisterschaft im nächsten Jahr in Birmingham zu qualifizieren. Spanien ist für Wägeli ein gutes Pflaster. In Barcelona lief er 2015 seinen ersten Marathon in 2:27:46 und in diesem Jahr in Sevilla mit 2:12:46 persönliche Bestzeit.