Für die 23-jährige Sandra Baumann war immer klar: Ihr Beruf musste etwas mit Tieren zu tun haben. Auf Umwegen fand sie zu ihren Traumjob Besamerin und zeigt, dass auch zierliche Frauen erfolgreich praktizieren.
Wer als Besamerin oder Besamer arbeiten will, muss eine landwirtschaftliche Ausbildung abgeschlossen haben. Das war lange Zeit eine geschriebene Anforderung von Swissgenetics, dem Schweizer Produzent und Vermarkter von Rindersperma für die künstliche Besamung.
Seit 2018 im Toggenburg
Glücklicherweise wurde dieser Umstand aber vor ein paar Jahren geändert. In einigen Regionen der Schweiz sind daher schon mehrere Besamerinnen im Einsatz, die über keine landwirtschaftliche Ausbildung verfügen. Auch in der Region um den Alpstein. So besuchte die 23-jährige Sandra Baumann erst zwei Jahre im Kanton Zürich und seit 2018 im Toggenburg Bauernhöfe mit der passenden Genetik im Gepäck.
Sandra Baumann kam als zweites von vier Kindern zur Welt. Einen überaus grossen Betrieb bewirtschafteten Baumanns damals nicht. Aber die Zucht von Milchvieh und die Teilnahme an der jährlichen Gemeindeviehschau standen immer im Zentrum. Am Viehschautag trumpften Baumanns jeweils mit Sennschellen, Trachten, Naturjodel und sauber hergerichtetem Vieh auf. Steht eine Ausstellung für Brown-Swisstiere an, so frisiert Sandra Baumann die Kühe und Rinder aus dem Heimbetrieb mit der Schermaschine hübsch. Sie freut sich, wenn die Tiere einen guten Rang erhalten, zuoberst steht aber das Mitmachen.
Viehzucht als Familienthema
Sandra Baumann wusste immer schon, ihr Beruf sollte einst etwas mit Tieren zu tun haben. Tierärztin stand ganz zu oberst auf ihrer Wunschliste. Als sie registrierte, welch langen und anspruchsvollen Ausbildungsweg dieser Beruf forderte, verwarf sie diesen Wunsch. Die Schnupperlehre als Tiermedizinische Praxisassistentin gefiel Sandra und in Urnäsch fand sie eine passende Lehrstelle. Als dort die zuständige Ausbildnerin nach einem Jahr wegzog, nahm Sandra die restlichen zwei Lehrjahre in einer Kleintierklinik in Gossau in Angriff.
Doch ihr fehlte rasch die Praxis mit Kühen und Kälber. «Der Bezug zu diesen Tieren ist für mich einfach um einiges intensiver als der zu Katzen und Hamstern», gibt Sandra Baumann zu. Trotzdem bereitete sie sich auf die Lehrabschlussprüfung vor. Das Resultat war dann aber ziemlich niederschmetternd. Baumann hatte die Prüfung nicht bestanden und reichte Rekurs ein. Es stellte sich heraus, dass Blätter falsch korrigiert wurden. So erhielt Baumann schlussendlich doch den Abschluss.
Ausbildung in Berlin
Nach dem ganzen Hin und Her hatte Sandra Baumann genug von der Tierarznei. Sie bewarb sich bei der KB-Station Bütschwil für die Ausbildung als Besamerin. Dort erhielt sie grünes Licht und reiste für fünf Wochen nach Berlin an die Schule für künstliche Besamung. «Es war sehr interessant und ich fühlte mich genau am richtigen Platz», sagt Baumann rückblickend. «Es fasziniert mich, den Hormonhaushalt meiner Lieblingstiere zu verstehen. Ich habe absolut den passenden Beruf für mich gefunden», sagt sie.
Ihre erste Anstellung als Besamerin erhielt Baumann im Raum Zürcher Oberland. Niemand kannte sie dort, was ihr die Anfangsnervosität nahm, denn Baumann war sich bewusst, dass eine 19-jährige, zierliche Frau bei den Kunden nicht auf Anhieb den Eindruck einer zuverlässig und erfolgreich praktizierenden Besamerin vermittelt. Zwei Jahre blieb sie dort und lernte die Region und die Leute kennen. Dann wurde eine Stelle im Toggenburg frei. Sie kann nun dort ihrer Leidenschaft nachgehen, wo auch ihre Heimat ist.

Ruedi Roth
Jeder Tag ist anders
Um Vierel nach Sieben erscheint der Aufgabenkatalog in Baumanns Handcomputer. Elf Besamungen im Raum Ebnat-Kappel bis Nesslau sind an diesem Vormittag zu tätigen. Die Route wird von ihr festgelegt und in der eigenen Agenda handschriftlich notiert. Der erste Betriebsbesuch ist gleich um die Ecke. Der Hofhund bellt, obwohl ihm das Auto bekannt vorkommen muss. Baumann war schon mehrmals hier. Nebst den Kühen ist niemand im Stall.
Routiniert beschafft sich Baumann die nötigen Angaben und holt den gewünschten Samen aus ihrem Container. Der Stallblitz wird aufgezogen und die brünstige Kuh lässt die Besamung fast teilnahmslos über sich ergehen. Baumann arbeitet ruhig und schnell. Ihre Arbeit hält sie im Ordner und auf dem Handcomputer fest. Stiefel spülen, den Stallblitz wieder in die ursprüngliche Position bringen und schon gehts weiter zum nächsten Stallbesuch. Jungtiere und Kühe, Mast- und Milchrassen, Rotflecken und Braune - die Abwechslung ist gross. «Es ist wunderbar. Immer wieder anders. Manchmal ergibt sich auch ein Gespräch, gibts ein Kaffee und manchmal nicht. Und ich lerne jeden Hof kennen in der Region», sagt die junge Frau.
Zeit für Hobbies
Zu Mittag isst Sandra Baumann zusammen mit ihrem Freund Hansueli Brunner bei dessen Eltern im Hof Bitzi in Ebnat-Kappel. Die beiden wollen im April heiraten und zu gegebener Zeit auch Brunners Landwirtschaftsbetrieb übernehmen. Brunner ist gelernter Maurer und Landwirt. Vorerst arbeiten Baumann und Brunner in ihren Berufen weiter. Dabei bleibt genug Zeit für ihre Hobbies. Beide pflegen aktiv die volkstümliche Kultur. Hansueli singt im Männerchor Wintersberg-Bendel und hilft als Senn.
Sandra ist Mitglied in der Trachtengruppe Bächli und spielt Handorgel. Als Besamerin arbeitet Baumann zwar zwei bis vier Sonntage pro Monat arbeitet, doch das macht ihr nichts aus. Sie hat sichtlich Freude an ihrem Beruf. Sie kann Landwirte in der Stierenwahl beraten, besamt auf dem elterlichen Betrieb und ist immer auf dem Laufenden, sei es in der Viehzucht oder bezüglich anderer Themen.

