Der «sechste Sinn» bei Brieftauben, der ihnen die Orientierung entlang magnetischer Felder erlaubt, ist anders als bisher gedacht offenbar nicht am Schnabel der Tiere angesiedelt. Die Tauben dürften vielmehr über ein Navigationssystem im Kopf verfügen, wie eine am Mittwoch in der «Nature» veröffentlichte Studie ergab.
Tauben könnten «Werte von Magnetfeldern speichern, aber auch visuelle Bezugspunkte und Geruchsreize», erläuterte der Wissenschaftler Hervé Cadiou vom Strassburger Nationalen Forschungs- und Wissenschaftszentrum (CNRS), der an der neuen Studie beteiligt war und einen Vergleich zu einem GPS-Navigationssystem zog.Frühere Untersuchungen waren davon ausgegangen, dass der innere Kompass, der es den Vögeln erlaubt, sich an Magnetfeldern zu orientieren, unter der Haut am oberen Schnabelteil liege. Nach dieser Annahme hätten Nervenzellen mit kleinen Magnetit-Kristallen, ein Eisenoxid, die magnetische Sensibilität bewirkt.
Immun- statt Nervenzellen
Die neue Studie von David Keays vom Institut für Molekulare Pathologie in Wien und seinen Kollegen kommt aber zu einem anderen Schluss: Die eisenhaltigen Zellen am Schnabel sind demnach so genannte Fresszellen des Immunsystems und keine Nervenzellen.
Ihre Verteilung und Anzahl passt demnach nicht zu einer Rolle als magnetischer Sensor. Cadiou erläuterte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP, dass das Team aus Österreich gezeigt habe, dass dieses Eisen im Schnabel nicht kristallartig ist und nicht zu Nervenzellen gehöre.
Magnetsinn nicht im Schnabel
Selbst wenn die Forscher nicht ausschliessen können, dass auch eine kleine Anzahl magnetischer Rezeptoren im oberen Schnabelbereich der Tauben angesiedelt ist, so fanden sie doch keinerlei Beweis für ein magnetisch sensibles System im Schnabel. «Der Schnabel ist kein Organ, das Magnetwellen empfängt», hebt Cadiou hervor.
Das Rätsel der Empfänglichkeit der Tauben für Magnetfelder muss demnach noch gelöst werden. Doch die Forscher haben laut Cadiou eine Spur: «Diese rätselhaften Zellen könnten im Geruchsgewebe liegen, einer sensorischen Struktur, die auch bei Regenbogen-Forellen bei der magnetischen Empfänglichkeit eine Rolle spielt.»