Verschwinden Unverpackt-Shops wieder?

Von den rund 60 Läden, die noch vor zwei Jahren schweizweit in städtischen und ländlichen Regionen verpackungsloses Einkaufen anboten – vor allem im Bereich Lebensmittel – sind nach Schätzungen der Unverpackt-Szene inzwischen mehr als ein Dutzend wieder verschwunden. Das bedeute aber nicht, dass «Unverpackt» einpacken muss.

Harry Rosenbaum, lid |

Ab 2017 entstanden die ersten Unverpackt-Shops in Zürich, Bern und Basel. Ein erneuter Boom von Ladengründungen kam während der Covid-Pandemiejahre. Die Geschäftsmodelle der Unverpackt-Shops sind inzwischen ausgereifter und effizienter geworden. Doch: In den Unverpackt-Läden bringt die Kundschaft selbst die Einkaufsbehältnisse mit, was das Einkaufen etwas aufwendiger macht und darum einen klaren Willensentscheid braucht.

Trockenprodukte aller Art wie Pasta, Hülsenfrüchte, Müesli, Mehl, Gewürze, Nüsse, Tee und Kaffee gehören zum Grundsortiment eines Unverpackt-Shops. Typisch unverpackte Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Brot zählen ebenfalls dazu. Vermehrt tauchen auch Nonfood-Produkte wie Kosmetika und Haushaltsmittel in den Sortimenten auf. Zudem bieten viele Shops Flüssigprodukte wie Frischmilch, Hafermilch, Speiseöle und diverse Säfte an. Vereinzelt gibt es auch unverpackte Tiernahrung.

Lädelisterben bei den Unverpackten?

Das Lädelisterben bei den Unverpackten ist am Ende der Covid-Pandemiejahre verschiedentlich angesagt worden. Das Fernsehen SRF machte im Dezember 2022 bei Betreiberinnen und Betreibern von Unverpackt-Shops eine Umfrage zum Geschäftsgang. Fazit: Nach unerwarteten Erfolgen während der Pandemiezeit brachen die Umsätze massiv ein. «In der Coronazeit hatte Essen und Einkaufen noch einen anderen Stellenwert», sagte ein Befragter, «nun aber haben die Menschen wieder weniger Zeit – nach jeder Lockerung der Massnahmen haben wir an Umsatz verloren.»

Sparen bei den Lebensmitteln, Angst vor Energieknappheit und steigende Strom- und Ölpreise seien mit ein Grund für das Fernbleiben der Kundschaft in den Unverpackt-Läden, resümierte das Fernsehen. Aber auch die Konkurrenz durch die Grossverteiler im Detailhandel, die das Unverpackt-Potential bei ihrer Käuferschaft entdeckten und durch eigene verpackungslose Angebote aktivierten, habe das Leben des Unverpackt-Kleinhandels sichtlich erschwert.

Verbrauchertrends und Herausforderungen

«Unverpackt bleibt Unverkauft», triumphierte im November 2022 eine Case Study des Schweizerischen Verpackungsinstituts SVI. «Unverpackt-Läden starteten mit einem Boom und fielen seit Covidpandemie in eine tiefe Krise», heisst es in der Studie. «Hygiene-Erwägungen, Inflation, Energiekosten und Kleinmengenaufwand bringen das Konzept jetzt an seine Überlebensgrenze», heisst es in der Studie weiter. Das Konsumentenverhalten habe sich in den jüngsten Krisen verändert: «Es zeigt: Nichts schützt Lebensmittel besser als eine gute Verpackung.»

Eine steigende Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten reagiert sensibilisiert bei der Verpackung der Produkte. Das folgert ein Report von Trivium Packaging, einem weltweit tätigen Zulieferer von Verpackungsmaterialien. Die Verbraucher wollen Produkte in recyclebaren Verpackungen, erkennen aber auch den Wert der Verlängerung der Lebensdauer der Verpackungen durch mehrmalige Verwendung. Das spricht für die Unverpackt-Shops, die einen Teil ihrer Produkte in Mehrwegverpackungen anbieten, die von der Kundschaft wieder zurückgebracht und neu aufgefüllt werden.

 «Ganzohni» ist quicklebendig

Im St. Galler Unverpackt-Shop «Ganzohni» von Marion Schiess taucht man ein in eine völlig andere Welt ein: Unzählige Lebensmittelspender aus Glas, Edelstahl und Holz in verschiedenen Grössen empfangen die Kundschaft. Auf dem Rundgang durch das vielfältige Sortiment ist keine Plastikverpackung auffindbar. Ein Teil der Produkte ist in Mehrwegverpackungen oder recyclebaren Kartonmaterialien erhältlich.

Bei «Ganzohni» gibt es viele Lebensmittel. Dazu gehören verschiedene Teigwaren, Früchte, Gemüse, unterschiedliche Getreide- und Reissorten, Hülsenfrüchte, Nüsse, Zucker, Speiseöle und diverse Säfte. Im Nonfood-Angebot sind unter anderem Seife, Geschirrspüler und Reinigungsmittel für den Haushalt zu finden. In den Unverpackt-Shop ist auch ein kleines Kaffee integriert, das sich zu einem Quartiertreff entwickelt hat. Marion Schiess beschäftigt zwei Mitarbeiterinnen.

Bauerntochter kam in Südafrika auf die Idee

Auf Reisen in Südafrika kam ihr die Idee zum Unverpackt-Shop: «Ich sah riesige Abfallberge aus Plastik und Kinder, die hungerten», sagt sie. «Ich habe immer mehr darauf geachtet und mich gefragt, woher kommt das, was ich kaufe.»

Als Tochter einer Bauernfamilie habe sie einen starken Bezug zu Lebensmitteln und vor allem auch zu ihrer Produktionsweise und zu ihrer Herkunft, sagt Marion Schiess. «Mir ist wichtig, dass ich die Produkte direkt von den Bauern beziehen kann.» Nicht alle Lebensmittel liessen sich aber unverpackt verkaufen, sagt die Fachfrau: «Es gibt Grenzen, denn wir wollen keinen Food Waste verursachen und auch sind die Hygiene-Standards hoch – doch wo es geht, verkaufen wir unverpackt.»

Die Balance zwischen Trend und Lebensstil

Die Präsidentin von «Unverpackt Schweiz», Natalie Jacot, schätzt, dass es gegenwärtig 45 Unverpackt-Läden schweizweit gibt, wovon 30 Mitglieder bei ihrem Verein seien. Warum aber der Aderlass nach den Pandemiejahren? «In dieser Zeit haben sich sehr viele Menschen um einen nachhaltigeren Lebensstil gekümmert», sagt Natalie Jacot. «Es wurde gebacken, gekocht und mehr Zeit ins Einkaufen investiert, da die meisten Menschen kaum etwas anderes machen durften», ergänzt sie.

Als sich die Auflagen gelegt hätten und der Alltag wieder eingekehrt war, sei auch der Zeitdruck zurückgekommen: «Plötzlich gehen viele Leute wieder da einkaufen, wo es für sie am nächsten von zu Hause ist, sie kochen weniger selber und backen kaum noch – plötzlich war es nicht mehr so wichtig, bewusst einzukaufen und sich um die Umwelt zu kümmern», sagt Natalie Jacot.

Grenzen liegen bei der Haltbarkeit

Bei den Unverpackt-Shops stehen Lebensmittel im Vordergrund. Ist dieses Segment noch weiter ausbaufähig oder gibt es da Grenzen? Grenzen seien nur dann gesetzt, wenn es um kurze Haltbarkeiten der Produkte gehe, wie bei vielen tierischen Erzeugnissen oder wenn die Hygieneauflagen es nicht zuliessen, etwa beim luftdichten Verschliessen von Produkten, meint die Präsidentin von «Unverpackt Schweiz».

«Für solche Fälle kommen Food-Kooperativen ins Spiel, die es den Konsumentinnen und Konsumenten erlauben, mit den Läden zusammen auf ein bestimmtes Datum einzukaufen und dann ihre Ware abholen», sagt Natalie Jacot. «So muss der Laden kein Risiko tragen und keine Produkte führen, die in kurzer Zeit ablaufen oder nach einmal öffnen, nicht mehr zu verkaufen sind», ergänzt Natalie Jacot. Viele Läden würden eine solche Lösungen anbieten.

Eher ein Trend

Unverpackt einkaufen ist für die einen Bewusstseinssache und für die anderen Lifestyle, heisst es verschiedentlich. «Lifestyle und Bewusstsein gehen vielfach ineinander über», meint die Präsidentin von «Unverpackt Schweiz» und ergänzt: «Ich würde sagen, dass es für ein paar Menschen, die in den Pandemiejahren unverpackt einkauften, es jetzt aber nicht mehr tun, eher ein Trend war.»

Sie sehe dies bei ihrem eigenen Laden, den sie schliessen werde: «Viele kommen rein und sagen es sei Schade das wir schliessen – das sind diejenigen, die kaum da waren und es einfach schön fanden, dass es uns gab», sagt Natalie Jacot. Diejenigen die bewusster leben und diesen Lifestyle ausüben würden, seien hingegen sehr verärgert, dass es den Laden nicht mehr geben werde. «Die haben ihr Leben umgestellt und müssen jetzt wieder zurück in ein Leben mit viel mehr Abfall», erklärt sie.

Verein «Unverpackt Schweiz»

Im Mai 2021 ist der Verein «Unverpackt Schweiz» mit Geschäftssitz in Zürich gegründet worden, heisst es auf dessen Webseite. Und weiter: Zweck ist ein ethischer Interessenzusammenschluss verschiedener Unverpackt-Läden, Teil-unverpackt-Läden sowie mit dem Verein zugewandter Unternehmungen, Produzentinnen und Produzenten in der Schweiz. Hauptziel ist die Kanalisierung gemeinsamer Anliegen und ein stärkerer und gebündelter Auftritt gegen aussen. Im August 2023 sind zur Sichtbarmachung der Unverpackt-Idee 75 TV-Spots bei SRF geschaltet worden.

Weiter dient der Verein dem Austausch zwischen den Mitgliedern. Er soll auch Verhandlungen mit Lieferbetrieben vereinfachen und Öffentlichkeitsarbeit leisten. Zudem will der Verein eine Plattform und Anlaufstelle für neue Unverpackt-Läden sein, und diese mit kompetenter Beratung und entsprechenden Materialien unterstützen. Ein Pendant zu «Unverpackt Schweiz» ist «Chez Mamie» in der Romandie. 

Unverpackt erhält Unterstützung vom Konsumentenschutz

Unverpackt einkaufen sei das Bedürfnis vieler Konsumentinnen und Konsumenten, heisst es bei der Stiftung für Konsumentenschutz. Unverpackt ermögliche einzukaufen ohne Berge von Verpackungsabfall entsorgen zu müssen. Das sei nicht nur nachvollziehbar, sondern auch unterstützenswert, sagt Josianne Walpen, Leiterin Ernährung und Print bei der Stiftung für Konsumentenschutz. Und weiter: «Zu einem nachhaltigen Konsumverhalten gehört aber vor allem, saisonal und ökologisch einzukaufen, wenig Fleisch zu konsumieren und darauf zu achten, keine Lebensmittel zu verschwenden – denn da passiert sehr viel Ressourcenverschleiss.»

Unverpackt-Läden brauchen aus Sicht des Konsumentenschutzes auch keine einheitlichen Standards beispielsweise im Bereich Hygiene. Der Konsumentenschutz sei mit den bestehenden Regeln gewährleistet, meint Josianne Walpen. Zudem gebe es auch andere Läden, die auf Offenverkauf setzten – etwa Zuckerwarenläden. «Auch diese brauchen keine Sonderregulierung», ergänzt sie.

Höhere Preise seien gerechtfertigt

So seien auch die vielfach höheren Preise der Produkte in den Unverpackt-Läden gerechtfertigt: «Günstigere Preise beruhen in der Regel auf grossen Mengen, die verkauft werden können – bei Unverpackt-Läden ist dies nicht der Fall», erklärt Josianne Walpen weiter. Fixkosten wie Löhne oder Lokalmiete würden ungleich mehr ins Gewicht fallen, wie bei allen kleinen Verkaufsstrukturen und -läden. 

Und mittlerweile bieten auch Grossverteiler im Detailhandel «Unverpackt» an. So könnten auch Konsumentinnen und Konsumenten mit kleinem Budget solche Produkte kaufen. «Es ist sicher zu begrüssen, dass auch grosse Anbieter diese Einkaufsform ermöglichen – denn nur so kann dieses Angebot mehr Menschen erreichen», sagt Josianne Walpen.

Unverpackt-Shops und Lebensmittelkontrolle

Die Unverpackt-Shops sind auch ein Thema bei den kantonalen Lebensmittelkontrollen. «Der Trend ist uns bekannt – die offene Abgabe von Lebensmitteln ist per se aber kein Novum», sagt der Zürcher Kantonschemiker Dr. Martin Brunner, der für den Verband der Kantonschemiker der Schweiz VKCS spricht.

«Für uns lassen sich aus bisherigen Kontrollen keine Probleme ableiten, welche sich speziell bei Unverpackt-Läden zeigen», ergänzt der Zürcher Kantonschemiker.  Es gebe auch keine konkreten Vorschriften, die es verbieten würden, dass einige Lebensmittel beispielsweise aus Gründen der Hygiene nicht in Unverpackt-Shops angeboten werden dürften, erklärt Martin Brunner. 

Es obliege dem Betrieb im Rahmen der Selbstkontrolle sicher zu stellen, dass Lebensmittel bei der Lagerung und beim Bereithalten zur Abgabe nicht kontaminiert würden. «Deswegen ist für Lebensmittel, bei welchen nur schon durch Schmierkontaminationen eine Gefahr für die Gesundheit ausgeht – beispielsweise rohes Fleisch – eine Selbstbedienung im Offenverkauf kaum umsetzbar», sagt der Zürcher Kantonschemiker weiter. Unverpackt hat also durchaus seine Grenzen.

Kommentare (1)

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  • Luzerner Bauer | 25.03.2024
    Lustig wird's dann, wenn gleich unter der Abfüllstation für Nahrungsmittel die 500g-Haferflockenpäckli gelagert werden... So gesehen in einer Coop-Filiale!
    Liebe Detailhändler, macht es doch bitte nicht so offensichtlich, wenn ihr die Leute über den Tisch ziehen wollt! ;-)
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