Warum es diese Rinder ins «Guinnessbuch» schaffen

Sie sind gross und aggressiv: Die weissen Riesen aus der italienischen Region Umbrien. Chianina-Rinder können bis zu 1’700 Kilo schwer werden und haben es auch schon ins «Guinnessbuch der Rekorde» geschafft.

Petra Jacob |

Die Region Umbrien – südlich der Toskana und nördlich von Rom – gilt als das grüne Herz Italiens. Die umbrische Landwirtschaft ist für Agrarprodukte von höchster Qualität bekannt, vor allem Olivenöl, Trüffel, Wein, aber auch Fleisch und Fleischprodukte von Schwein und Rind.

Bis 2 Meter gross

Regionaltypisch ist die Züchtung von Chianina, die als die weltweit grösste Rinderrasse gilt. Bullen können bis zu 2 Meter gross werden und ein Gewicht von über 1,6 Tonnen auf die Waage bringen. Weibliche Tiere erreichen eine Widerristhöhe von 160 Zentimetern und ein Lebendgewicht von rund 800 Kilo.

1955 stellte der Chianina-Stier Donetto in Arezzo in der Toskana einen bis heute gültigen Rinder-Gewichtsrekord mit 1’740 Kilo auf. Und 2007 kam der Chianina-Ochse Fiorino mit einer Widerristhöhe von 2,05 Metern in das «Guinnessbuch der Rekorde».

Rinderfarm in Umbrien

Die Brüder Daniele und Dario Mecarelli züchten diese Rinder. Gemeinsam führen sie den Hof Agricola Collivecchi, der sich im Südwesten von Umbrien in einer hügeligen Landschaft befindet. Zum Betrieb gehören 440 ha Fläche, darunter 270 ha Wald für die Holzproduktion, 10 ha mit 3’000 Olivenbäumen für die Herstellung von Öl, ausserdem 5ha Kastanienbäume, und auf 10 ha ist man dabei, einen Trüffelwald anzulegen.

Neben Weideflächen gibt es 125 ha Ackerland für den Anbau von Futtergetreide und Leguminosen zur Fütterung der Rinder. Auf dem Hof stehen zudem eine Olivenölpresse, eine Getreidemühle und ein Gebäude zur Fleischverarbeitung. Auch zum Betrieb gehört Agriturismo: 25 Betten, ein Restaurant und ein Eventlokal mit Platz für bis zu 100 Personen. Das Betriebseinkommen stammt zu je 50% aus der Landwirtschaft und dem Tourismus.

Abstand halten ist angesagt

Zu den Chianina-Rindern sind es vom Haupthaus zehn Minuten Fussmarsch die Allee hinunter, dann wieder einen Berg hoch. Aus der Ferne wirken sie wie jede normale Rasse, erst wenn man sie dann vor sich hat, bekommt man ein Gefühl von der stattlichen Grösse. «Zu nahe darf man ihnen jedoch nicht kommen, sie gelten auch als die aggressivste Rasse», warnt Daniele Mecarelli.

Die Herde besteht zurzeit aus 70 Tieren, darunter 31 Kühe, 24 Mastrinder, 14 Färsen, 12 Kälber und ein Bulle. In einem Offenstall mit Freilauf stehen einige der imposanten Rinder, es sind die Muttertiere mit ihren Kälbern und einige Jungtiere. Der Grossteil der Herde befindet sich auf einer Weide etwas weiter entfernt und steht das ganze Jahr über im Freien. Bei Bedarf wird Heu zugefüttert, so der Landwirt. «Unsere Chianina-Rinder stammen aus dem Tal, sind also sehr regional», betont der Landwirt.

Beliebte Kreuzungspartner

Die Rasse wird seit vielen Jahren in dieser Gegend gezüchtet und ist nach dem Val di Chiana benannt, einem Tal, das bei Arezzo in der Toskana beginnt und über 100 Kilometer bis nach Orvieto in Umbrien verläuft. Die Entstehungsgeschichte der weissen Riesen, wie die Rasse auch genannt wird, geht über 2’200 Jahre zurück. Bereits die Etrusker und Römer nutzten und züchteten sie als grosse und kräftige Arbeitstiere, die ihnen das Land pflügten.

«Heute ist es ausschliesslich ein Fleischrind. Hitze und Sonne vertragen sie sehr gut, und gegen Krankheiten und Insekten sind sie widerstandsfähiger als andere Hausrinderrassen», erklärt Mecarelli. Aufgrund dieser Vorzüge und ihrer Tropentauglichkeit wurde die Rasse ab dem Zweiten Weltkrieg zu einem beliebten Kreuzungspartner; durch den Export von Zuchttieren, Embryonen und gefrorenem Sperma verbreitete sie sich nach Asien, auf dem amerikanischen Kontinent und nach Russland. «Was ebenfalls für diese Rasse spricht, sind Wachstumsrate und Fleischqualität. Sie sind ausgezeichnete Futterverwerter mit Gewichtszunahmen von über 2 Kilogramm pro Tag.»

Erstkalbung nach drei Jahren

Die Kälber kommen bereits mit einem Gewicht von über 50 Kilogramm zur Welt und bleiben bis zu sechs Monate bei ihren Müttern, bevor sie abgesetzt werden. Ein Nachteil dieser Rasse sei, dass die Tiere erst nach drei Jahren das erste Kalb zur Welt bringen. Mastrinder erreichen in 16 bis 18 Monaten das optimale Schlachtkörpergewicht von 650 Kilo, das Futter besteht aus Mais (40%), Gerste (20%), Triticale (20%) und Leguminosen.

Der Grossteil wird auf den eigenen Flächen angebaut, sonst wird vom Nachbarn zugekauft, wie der Landwirt sagt. Daniele Mecarelli: «Es ist eine echte Herausforderung, die von Natur aus aggressiven Tiere auf Sanftheit zu züchten. Zuerst werden die besten Ersatzfärsen ausgewählt und dann der Bulle. Wir wollen einen Bullen mit einem ruhigen Temperament. So ein Bulle kann zwischen 4’000 und 8’000 Euro (3’744 bis 7’488 Franken) kosten, da müssen wir sorgfältig auswählen.»

Wieder zurück am Hauptgebäude, zeigt Daniele Mecarelli den Raum für die Fleischverarbeitung. Stolz öffnet er die Kühlkammer: «Das Rindfleisch wird auf dem Hof verarbeitet und hängt hier mindestens 15 Tage, der Lendenteil bis zu 60 Tage. Je länger das Fleisch abhängt, desto weicher wird es, und desto mehr Geschmack nimmt es an.» Das Fleisch zeichnet sich durch eine feine Faserung und eine gute Marmorierung aus und ist bei der Zubereitung besonders saftig und delikat.

Überangebot heizt den Markt auf

Zurzeit erhalten die Brüder auf dem Markt pro Schlachtkörper 7,30  €/kg (6,83 Franken) für männliche und 7,80 €/kg (7.30 Franken) für weibliche Tiere plus Mehrwertsteuer. «Das ist der Preis von vor vier Jahren», kritisiert Daniele Mecarelli. Zum Preisverfall sei es gekommen, da in den letzten Jahren zahlreiche Milchviehbetriebe hätten aufgeben müssen und in die Zucht von Chianina-Rindern eingestiegen seien, weil sie dort einen lukrativen Markt gesehen hätten, sagt er.

Das habe zu einem Überangebot geführt und den Markt aufgeheizt, nur langsam erholten sich die Preise wieder. Damit mehr Geld auf dem Betrieb ankommt und um Zwischenhändler zu umgehen, vermarkten die beiden Brüder jetzt den Grossteil des Fleischs über ein Konsortium.

Das Bistecca alla fiorentina, ein Steak nach Florentiner Art, gilt als das Highlight der italienischen Küche, und dafür wird traditionell Fleisch von Chianina-Rindern verwendet. Obwohl Haltung, Zucht und Vermarktung des Chianina-Rindes herausfordernd sind, betont der Landwirt, dass die lokale Rasse in diese Landschaft gehöre. Um die zunehmenden Dürreperioden zu überbrücken, steht der Rinderzüchter im Austausch mit offiziellen Stellen für den Bau eines Bewässerungsteichs.

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