Wir ernten immer weniger

Die pflanzliche Produktion in der Schweiz ist in einer schwierigen Situation. Aus verschiedenen Gründen sind die durchschnittlichen Flächenerträge von Zwiebeln, Zuckerrüben, Kartoffeln, Raps und Brotweizen gesunken. Hier erfahren Sie, wie es um die einzelnen Ackerkulturen steht. 

Die Durchschnittserträge wichtiger pflanzenbaulicher Kulturen unterliegen einem rückläufigen Trend. Das zeigt eine Auswertung des «Schweizer Bauer» auf der Basis von Daten der Branchenorganisationen. Dafür wurde nicht nach Produktionssystemen (Ökologischer Leistungsnachweis, IP-Suisse, Bio Suisse etc.) unterschieden, sondern der Gesamtertrag wurde durch die Gesamtfläche geteilt.

Für die grafische Darstellung wurde auf der Y-Achse die Skala bewusst bis null gewählt, um eine zusätzliche Dramatisierung zu vermeiden. Die finanzielle Förderung des Ackerbaus hat in der Summe in den letzten Jahren zugenommen, dies vor allem wegen neuer Produktionssystembeiträge für den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel. Und seit 2023 können Bioackerbaubetriebe nicht nur den Biobeitrag, sondern auch die Beiträge für den Verzicht auf Fungizide, Insektizide und Herbizide beziehen.

Ist das reduzierte Umweltrisiko effektiv nachgewiesen?

Die sinkenden Durchschnittserträge haben viele Gründe. Zu nennen sind sicher das Wetter, der Klimawandel, gewisse Zielkonflikte in der Züchtung (resistentere Sorten können weniger ertragreich sein), eine reduzierte Düngung, die Zunahme der Labelflächen und der Rückzug von Pflanzenschutzmitteln. Wenn Praktiker aus der ÖLN-Landwirtschaft auf diese Zahlen blicken, kommen sie sofort auf zurückgezogene Wirkstoffe (etwa die Fungizide Chlorothalonil und Mancozeb), auf die schlechtere Wirkung von gewissen Mitteln (wohl wegen Resistenzen) und inzwischen verbotene Saatgutbeizungen beim Raps und den Zuckerrüben zu sprechen.

Sie verweisen ausserdem auf aktuelle Qualitätsprobleme wie die schlechte Backfähigkeit von Chipskartoffeln, vermutlich weil der Erreger der Krankheit SBR von den Rübenin die Kartoffelfelder gelangt ist, oder auf die schlechte Lagerfähigkeit der Zwiebeln.

Für den Teil der sinkenden Durchschnittserträge, der auf den Rückzug von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen und die Zunahme der Labelflächen zurückgeht, könnte sich die Frage stellen: Sind die reduzierte Umweltwirkung und das reduzierte Umweltrisiko effektiv nachgewiesen (inkl. Nebenwirkungen, etwa dass die Rückzüge von Beizmitteln für das Saatgut zu vermehrtem Ausbringen von Insektiziden führen) und in der Güterabwägung so wichtig, dass diese sinkenden Erträge in Kauf genommen werden müssen?

Ist ein Selbstversorgungsgrad von 50% möglich?

Lässt sich das vom Bundesrat ausgegebene Ziel eines Nettoselbstversorgungsgrades von 50% im Jahr 2050 aufrechterhalten? Im schlechten Pflanzenbaujahr 2021 betrug der Nettoselbstversorgungsgrad noch 45%. Im Jahr 2024 konnten aller Voraussicht nach noch weniger menschlich verwertbare pflanzliche Kalorien geerntet werden als 2021, und seither ist die Bevölkerung in der Schweiz durch Menschen aus der Ukraine, Zuzüger aus den EU-Staaten und durch Asylbewerber weiter gewachsen.

Muss das 50%- Ziel für 2050 als unrealistisch aufgegeben werden und damit langfristig eine höhere Abhängigkeit von Importen in Kauf genommen werden? Oder führt das 50%-netto-Ziel zu einer Rückbesinnung auf früher eingesetzte Pflanzenschutzmittel, zu einer raschen Zulassung neuer Wirkstoffe, zu einer Offenheit für Crispr-Cas-Züchtungstechnik und zu einer Forschungsoffensive mit Fokus Produktionseffizienz? Wird sogar die staatliche Förderung der Labels via Produktionssystembeiträge, Absatzmassnahmen und Konsum in staatlichen Institutionen überdacht, was einem politischen Tabubruch gleichkäme und viele Labelbetriebe vor den Kopf stiesse?

Verfügbarkeit als Herausforderung

Es geschähe dies auch vor dem Hintergrund, dass die Schweiz zusätzliche Milliarden von Franken in die eigene Energieversorgung und in die militärische Selbstverteidigung investiert in einer Zeit, da sich in ganz Europa eine Stromknappheit abzeichnet und da Russland mit der Ukraine ein Nachbarland überfallen hat und gleichzeitig der amerikanische Vizepräsident in München die für die meisten unserer Nachbarländer geltende Nato-Beistandspflicht mit den Worten «Wenn Sie Angst vor Ihren eigenen Wählern haben, kann Ihnen Amerika nicht helfen» infrage stellt.

Aber auch Lebensmittel braucht jedes Land, und auch sie könnten knapp werden. Steffen Geubel, Chef der deutschen Grosshandelsfirma Metro AG, sagte im Dezember: «Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln wird langfristig die grössere Herausforderung sein als der Preis.» Die in der Schweiz verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche ist in einer Zeit der grassierenden Wohnungsnot zusätzlich von Überbauung bedroht, auch mehrere Land verschlingende Flussrenaturierungsprojekte im Zuge des Hochwasserschutzes stehen an.

Richtige Analyse fehlt

Man darf gespannt sein, ob Überlegungen zu rückläufiger Kalorienproduktion und rückläufigen Durchschnittserträgen vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit künftig auch Teil der schweizerischen Agrarpolitik werden. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) anerkennt im Agrarbericht nicht auf der Startseite, aber doch an recht prominenter Stelle, «dass der Schutz der Kulturen mit dem Rückzug unterschiedlicher Wirkstoffe zu einer immer grösseren Herausforderung für die Landwirtschaft wird».

Aber Zahlenreihen zu Erträgen im Pflanzenbau oder die Summe der Kalorienproduktion über die Jahre hinweg oder auch Erläuterungen zu qualitativen Problemen wie dem sinkenden Ertrag in Tonnen Zucker pro Hektare bei den Zuckerrüben sind im Agrarbericht nicht enthalten oder gut verborgen. Der Agrarbericht bleibt bei Rückbezügen auf das Vorjahr und reinen Flächentabellen stehen.

Die vielen Fachleute im Bundesamt und bei Agroscope könnten eine bedeutend bessere Analyse der schwierigen Situation und eine Darstellung der vielen Zielkonflikte liefern, in welchen sich der Pflanzenbau in der Schweiz befindet, wenn sie vom Gesamtbundesrat, von Departementsvorsteher Guy Parmelin oder von BLW-Direktor Christian Hofer den entsprechenden Auftrag erhielten.

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