Franziska Schmid Imstepf führt das Lebenswerk ihres Vaters und ihres Grossvaters weiter und züchtet in Naters Walliser Schwarzhalsziegen. Ein Berufsstand, der bedroht ist: Von sechs Bauernbetrieben im Weiler Unner Moos steht noch einer.
Mit wilden Sprüngen toben die Zicklein über die Matte. Franziska Schmid Imstepf steht am Gatter, ihr Mann Fernando Imstepf schaut mit der gemeinsamen Tochter den Ziegen zu. Unweit des Walliser Skigebiets Belalp, am Hang oberhalb von Naters, steht der Hof der Familie Schmid, ein grosser Stall aus hellem Holz beherbergt die Tiere.
Betriebe sterben aus
Dass Schmid einst die Ziegenzucht ihres Vaters übernehmen würde, hätte sie sich vor einigen Jahren nicht vorstellen können. Sie strebte eine Ausbildung zur Physiotherapeutin an, reiste gerne und war unabhängig. «Ich habe immer mal wieder auf dem Hof mitgeholfen. Aber einen eigenen Betrieb führen, das ist komplett etwas anderes.»
Vielmehr war Franziskas Bruder der Züchter unter den drei Geschwistern. Er war Mitglied der Ziegenzuchtgenossenschaft Naters – beim ältesten Ziegenzuchtverband des Oberwallis, der einst von Grossvater Albert Schmid mitbegründet worden war. «Wir haben alle damit gerechnet, dass er den Betrieb übernimmt.» Aber er entschied sich anders, begann weit weg von zuhause ein Studium im bernischen Biel. Plötzlich war unklar, was aus dem Hof werden sollte.
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Wie den Schmids geht es vielen Bauernfamilien im Wallis. Aufgrund der Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft fehlt vielen Jungen die Bereitschaft, den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Sie wählen andere Lebenswege. Im Weiler Unner Moos, wo der Stall der Familie Schmid steht, haben in den letzten Jahren fünf von sechs Höfen ihren Betrieb eingestellt. Die Arbeiten im coupierten Gelände sind aufwendig, die Stallungen der Tiere sind klein und stehen weit auseinander, sodass deren Versorgung mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist.
«Wir hatten 12 bis 15 Ställe in der ganzen Gemeinde verteilt. Ich wusste, im Alter kann ich den Betrieb nicht alleine weiterführen», sagt Franziskas Vater Martin Schmid, der neben seiner Tochter am Gatter steht. Früher erledigte er die meiste Arbeit selbstständig, ohne fremde Hilfe aber war die Weiterführung des Hofes langfristig unmöglich. «Ich stellte meine Kinder vor vollendete Tatsachen: Entweder eines steigt ein oder ich verkaufe.»
Ein Entscheid fürs Leben
«Für mich war klar, dass ich das Lebenswerk meiner Eltern und meiner Grosseltern nicht einfach in fremde Hände übergeben kann», sagt Franziska Schmid. Nach einer intensiven Beratungs- und Planungsphase gründete sie gemeinsam mit ihrem Vater eine Personengesellschaft. Sie besuchte den landwirtschaftlichen Nebenerwerbskurs, welcher sie zum Bezug von Direktzahlungen ermächtigt, und reduzierte ihr Pensum als Physiotherapeutin.
2021 baute sie mithilfe öffentlicher Unterstützung einen neuen Stall. «Wenn ich das mache, dann aber richtig», sagte sich die junge Frau. «Franziska weiss, was sie will, und dabei kann sie ganz schön eigenwillig sein», sagt ihr Vater und schmunzelt. Der lichtdurchflutete Stall bietet Platz für 120 Tiere. Derzeit leben 20 Ziegen und 100 Schafe darin. Acht Schwarzhals-Gitzi haben im Februar das Licht der Welt erblickt und erkunden noch immer ganz neugierig die Umgebung.
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Neu im Verband
Mittlerweile ist auch Franziska im Ziegenzuchtverband. Sie besucht die Herbstschauen, genauso wie die Bockschau im Frühling, und führt mit Stolz ihre Tiere vor. «Für mich ist es wichtiger, eine ausgeglichene Zucht zu zeigen, als zwei, drei Tiere, die vorne stehen», sagt sie. Bei der Vorbereitung der Schau helfen alle. Die Männer waschen die Tiere, das Frisieren ist Frauensache.
Franziskas Mann Fernando arbeitet als Forstwart, er ist nicht in der Landwirtschaft aufgewachsen. Im Stall kümmert er sich um die Schafe, sie sich um die Ziegen. Im Sommer reduziert er zudem sein Pensum im Forst, da das Heuen in den stark strukturierten und steilen Hängen sehr zeit- und arbeitsintensiv ist. «Ohne seine Unterstützung hätte ich den Hof nicht weiterführen können», sagt Franziska Schmid. Vor allem den administrativen Aufwand habe sie unterschätzt.
Die Betriebsführung sei mit jener eines KMU zu vergleichen, weit mehr also, als ein bisschen im Stall rumzustehen. Beim Nebenerwerbskurs lerne man zwar verschiedene Betriebsmodelle kennen, die Arbeit in der Praxis aber gestalte sich komplexer als auf dem Papier. Schmids Betrieb umfasst 22 Hektaren Land und liegt in den Bergzonen III und IV. Es gilt, Büsche und Sträucher, Steinmauern und Wasserleitungen zu pflegen. «Ohne die jahrelange Erfahrung meines Vaters wäre ich aufgeschmissen gewesen.»
Hürden für Züchter
Im Leben von Martin Schmid drehte sich einst alles um die Landwirtschaft. Er verzichtete auf Freizeit und Ferien, engagierte sich stattdessen auf dem Hof und in Verbänden. Bei der heutigen Generation hat die freie Zeit einen höheren Stellenwert. Fürs Hobby, für Kind und Partner würde Franziska Schmid die Arbeit auf dem Betrieb gerne einmal hinten anstellen. «Ich wünschte mir manchmal einen freien Tag mehr», sagt die Landwirtin. Besonders während der Schwangerschaft war es schwierig, den Betrieb zu managen. Betriebshelfer, die während eines Arbeitsausfalls einspringen, seien im Wallis nur schwer zu finden. Stattdessen mussten die eigenen Familienmitglieder die Vakanz überbrücken.
Dass der jungen Generation eine Betriebsübernahme nicht attraktiv erscheint, hat zum Teil auch mit Grossraubtieren zu tun, die sich in der Region angesiedelt haben. 50 Tiere haben die Schmids in den vergangenen vier Jahren durch den Wolf verloren. Um das Risiko von Rissen zu senken, haben sie ihre Tiere mittlerweile auf drei Alpen verteilt. Die Schwarzhalsziegen weiden im Sommer auf der Belalp. Die Schafe werden auf die Belalp, ins Goms und in der Simplonregion aufgetrieben.
Im Wallis sind die Bestände regionaler Rassen seit Jahren rückläufig. Daher unterstützt der Kanton Stallneubauten neu mit zusätzlichen finanziellen Beiträgen. Franziska Schmid und ihre Ziegen konnten davon noch nicht profitieren. Trotzdem hat sie sich für die Investition in den Hof entschieden.