Die Leserreise in Russland hat vom 24. Juni bis 3. Juli stattgefunden. 23 Personen erkundeten während 10 Tagen die russische Landwirtschaft und Kultur. Im Tagebuch-Blog werden die vielen Reiseerlebnisse aus Russland festgehalten. Freut euch über zahlreiche Bilder und Kurzvideos aus dem grössten Land Europas.
Uns zieht es in den Norden, von Moskau aus geht es in die Twer Region. Das Landschaftsbild verändert sich. Hier gibt es sehr viele Flüsse, Seen und Sümpfe. An den Strassenrändern sieht man immer mehr Riesenkerbel. Später sehen wir sogar ganze Felder davon.
Sie wurden einst in Russland eingeführt, um sie im frühen Stadium zu Silage zu verarbeiten. Dieses Vorhaben hat sich jedoch nicht etabliert und so breiten sich die Pflanzen in einigen Gebieten invasiv aus. Das Problem beim Wiesenkerbel: Er kann in Kombination mit Sonnenlicht schlimme Verbrennungen verursachen, deshalb die Pflanze besser nicht anfassen.
Russischer Gruyère und ein Paradiesvogel
Der erste Zwischenhalt führt uns Jay Close. Als Chefkoch arbeitete und lebte er in der ganzen Welt. Seine Eltern stammen aus den USA und aus Australien. Seit 23 Jahren lebt Close nun in Russland, seit 8 Jahren stellt er Käse her. Das Handwerk hat er in Holland, Frankreich (14 Monate bei einem Käser), Griechenland und Italien erlernt.
Allerlei Spezialitäten, die er mit feinen Zutaten wie sonnengereiften Tomaten oder Trüffeln verfeinert, reifen in seinem Käsekeller, oder besser gesagt Käsehaus. Die Käserei hat er im Erdgeschoss seines Wohnhauses eingerichtet, man kommt sich fast vor wie in einer Alphütte.
Bei der Degustation erhalten wir gar "Gruyère" aus Eigenproduktion aufgetischt. Mit dem Ratschlag einem freien Paradiesvogel, der seine Träume verwirklicht, geht unser Weg weiter. "Behaltet stets die Augen offen und habt einen weites Blickfeld", so der Tipp von Close.
Das Kolchose-System lebt weiter
Eine ganz spezielle Konstellation von Personen treffen wir auf dem Betrieb (oder fast eher der Mini-Kolchose) von Genadij an. Die meisten Leute, die hier arbeiten, waren einst beim Amt für Meliorationen angestellt. Dieses Amt wurde aber abgeschafft. So haben sich die Personen zusammengeschlossen und führen nun einen Landwirtschaftsbetrieb. Auf einer Fläche von 55ha betreiben sie einen Flugplatz, sie erledigen zudem Wald- und erledigen Meliorationsarbeiten.
Das Besondere am Betrieb: Dieser arbeitet nur mit selbst erwirtschafteten Mitteln, Kredite wurden keine aufgenommen. Wir haben uns bei unserem Besuch natürlich auf die Landwirtschaft und den grossen Maschinenpark beschränkt. Auf 10ha werden Kartoffeln angebaut. Daneben gibt es einen grossen Gemüsegarten.
Land durch Kompost aufwerten
Schulkinder und Pensionierte arbeiten auf dem Betrieb mit. Als Lohn können sie Gemüse und Kartoffeln mit nach Hause nehmen. Um den eher schlechten Boden aufzuwerten, wird auf dem Betrieb Kompost produziert und ausgebracht. Zudem werden für die privaten Selbstversorger aus der Region kleine Heuballen produziert, im Gegenzug erhalten sie den Mist von deren Tiere, der anschliessend kompostiert wird.
Am Nachmittag dreht sich dann alles um die Knolle. Wir erhalten Einblick in einen Kartoffelvermehrungsbetrieb. In tausenden Reagenzgläsern werden geprüfte und virusfreie Pflänzchen herangezogen.
Das Herz der Gefallenen schlägt ewigs weiter
Erstaunlicherweise werden die jungen Pflänzchen bereits in der ersten Generation aufs Feld gebracht und dort fünfmal vermehrt. Bei den Kartoffelbauern unter den Leserreise-Teilnehmer kommt da Zweifel auf. Auf rund 310ha des 2000ha-Betriebes werden Kartoffeln angebaut. Beeindruckt stehen wir am Schluss des Besuches vor einer 30ha Parzelle Kartoffeln.
Beeindruckend war auch die Stadt Twer, insbesondere das Mahnmal des zweiten Weltkrieges, das in den Himmel ragte. Die ewige Flamme und die Musik, welche den Herzschlag der Gefallenen imitiert, sollen an die Ereignisse von damals erinnern. Unser Bus fährt weiter, die Sonne steht schon tief, als wir unser nächstes Ziel erreichen.
Das hätten wir nicht erwartet
Baufällige Gebäude, verrostete Maschinen: Ein Bild, welches man in Russland nur zu antrifft. Doch auf folgendem Betrieb ist es anders. Eigentlich erwarten wir eine Käserei. Eine moderne Käserei, bei der wir Käse degustieren und Abendessen können.
Ein schickes Empfangskomitee erwartet uns. Als wir den Speisesaal betreten, sind wir geschockt. Niemand hätte das erwartet. Der riesige Saal ist im Stil eines alten italienischen Landgasthaus geschmückt. Er ist mit einer Note "Venediger Maskenball" versehen. Auf eine Art und Weise muss man den Saal einfach mögen. Der Abend ist gerettet, oder fast.
Die Kunst der Käsedegustation
Der Betrieb wird von einem Italiener und einer Russin geführt. Sie lieben und feiern ihre Produkte. Aus der Käsedegustation wurde eine richtige Zeremonie. Eigentlich durfte man den jeweiligen Käse erst versuchen, nachdem dessen Herstellung bis ins kleinste Detail erklärt wurde. Danach musste man einen Schluck Wasser zu sich nehmen, um seine Geschmacksnerven für den nächsten Käse zu neutralisieren.
Naja, das haben nicht alle so verstanden. Der Teller unseres Buschauffeurs war bereits nach der Präsentation des ersten Käses, dem Ricotta, fast leer. Auf dem Betrieb, der 5000ha umfasst, 1500 Stück Vieh hält, davon 400 Milchkühe, produziert aus der gesamten Milch 40 Sorten italienischen Käse.
In italienischer Manier wurden wir bewirtschaftet. Spät in der Nach "rollen" wir förmlich in unseren Bus zurück. Und ein Spruch des italienischen Chefs Pietro, der seinen Käse in einem sehr hohen Preissegment verkauft, bleibt uns in Erinnerung: „Gute Sachen müssen etwas Kosten“