Esther Siegenthaler, gebürtige Bauerntochter und ausgebildete Lehrerin aus Schangnau BE, lebt und arbeitet momentan als Praktikantin auf mehreren Milchviehfarmen in Neuseeland. In ihrem Blog berichtet sie regelmässig über das, was sie dort erlebt.
4.45 Uhr, der Wecker klingelt; ausfstehen, anziehen und mit meinem Auto zum Nachbarn fahren. Mir gefällt das Melken besonders gut, und da Familie Stokes keine Kühe hat, kann ich beim Nachbar helfen gehen. Heute bin ich die erste, das heisst ich kann alles parat machen; Auto-Knopf bei jedem Aggregat des 44er Karussells drücken, alles nass spritzen, Filter rein und alle Verschlüsse schliessen.
Rarer Familienbetrieb
Zeitgleich mit den ersten Kühen kommt auch Steawart, der Farmer. Er besitzt momentan 340 Kühe plus das Jungvieh. Die Farm wird in der fünften Generation geführt, der Sohn Scott wird die Farm später weiterführen. Solche Familienbetriebe habe ich bisher in Neuseeland kaum gesehen. Auch selten sind die Ayrshire-Kühe, welche hier gemolken werden. Es ist eine rot-weiss gescheckte, kleinere Kuh. Der Ursprung dieser Rasse ist in Schottland, die meisten von ihnen werden heute in Finnland und Kanada gehalten.
Von den Herden, die ich bisher hier in Neuseeland gemolken habe, hat diese die beste Euterqualität. Ich muss aber auch eingestehen, dass sie mit 4000 Kilogramm Stalldurchschnitt wohl am wenigsten Milch produzieren. Steawart bewirtschaftet seine Farm im Low-Input. Das heisst, dass er den Kühen wenig zufüttert und nicht forciert. Somit sind die Produktionskosten sehr tief. Mit wenig zufüttern meine ich eine Siloballe pro Tag auf 340 Kühe. Zudem 200 Gramm Palmkörner pro Kuh und Tag, Kraftfutter ist keines zu finden. Für mich ist es spannend, eine bisher noch nie gesehene Kuhrasse zu melken und eine Herde mit Low-Input kennen zu lernen, denn schliesslich ist (oder war) Neuseeland bekannt für dieses System.
Das Melken geht zügig, dann muss alles sauber geputzt werden und um 7.15 Uhr bin ich wieder zurück bei Peter. Er hat die Milch für die one-a-day-Kälber, also die, welche noch einmal pro Tag getränkt werden, bereits angerührt. So können wir die ersten 18 Gruppen füttern. Während er für die jüngeren Kälber anrührt und tränkt, kann ich Heu und Bentonit verteilen. Letzte Nacht ist ein Kalb verendet, es ist das erste in diesem Herbst, und wir tränken mittlerweilen 296 Kälber.
Metzgschafe werden vom Händler ausgesucht
Heute geht das anschliessende Frühstück zügig, denn um 8.30 Uhr kommt der Schafhändler. Wir treiben die Schafe in die Yard. Mit geschickten Handgriffen sortiert er die Schafe aus. Diejenigen die schlachtreif sind, bekommen eine violette Markierung auf die Stirn. Dann werden alle Schafe in Peter's Lastwagen verladen und auf die "neue Farm" in Tarata geführt. Dort sind weitere Lämmer, die vom Händler aussortiert werden. Schlussendlich werden 153 Lämmer mit einem vierstöckigen Lastwagen abgeholt und zur Schlachterei gebracht.
Hirsch kommt nicht mit
Seit etwa zwei Wochen ist ein junger Hirschstier bei einer Rindergruppe. Mittlerweilen hat er sich ans Siloausfüttern gewöhnt und frisst auch fleissig mit. Gestern habe ich,während Peter ausgefüttert hat, zwei Gruppen Rinder, also 41 Stück, mit dem Vierradtöff zur Weide, in welcher sich die Yard befindet, getrieben. Der Hirsch war mit dabei und liess sich mitten in der Herde mit den Rindern treiben. Da wir heute den Lastwagen haben, wollen wir diese Rinder von der "alten Farm" auf die neue zügeln. Als der Hirsch beim Zusammentreiben merkt, dass es in Richtung Yard und somit in die Enge geht, macht er einen leichten Satz über den Zaun und verschwindet. Hoffentlich kommt er wieder.
Vor dem Verladen werden die Rinder entwurmt. Auf der "neuen Farm" angekommen, treiben wir sie rasch in die Weide und fahren wieder nach Hause. Die Zeit reicht für einen kurzen Lunch, bevor ich um 14.30 Uhr wieder melken kann.
Hausaufgabenhilfe
Als ich vom Melken zurück komme, ist Peter noch mit dem Flicken des Mähwerkes beschäftigt. Die Wettervorhersage ist endlich wieder besser, Peter will 20 Hektaren silieren. So füttere ich die Kälber alleine, am Abend sind es "nur" knapp 100. Dann warten die Hunde und die Hühner auf ihr Futter.
Nicht mit Freude erwarten mich die Kinder, denn nun ist Hausaufgaben-Zeit. Die Schule hat nach den Herbstferien wieder begonnen und Helen ist arbeiten gegangen. So helfe ich ihnen, so gut ich kann. Teilweise lerne ich wohl mehr als sie, denn sie korrigieren meine Grammatikfehler mit Freude. Nach den Hausaufgaben koche ich das Nachtessen, Teigwaren, Karotten, der Rest Fleisch von gestern und Salat.
Nach dem Essen dürfen die Kinder fernsehen, da wird es meist ruhiger. In der Garage steht eine Harasse voller reifer Fejioas (Frucht) , welche noch eingekocht werden müssen. Beim Reinholen sehe ich, dass auch noch trockene Wäsche an der Leine hängt. Somit weiss ich, was mein Abendprogramm ist. Ich bin froh, dass es nach den Regentagen wieder mehr Arbeit gibt...