Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) wurde vor 200 Jahren gegründet. Julika Fitzi ist die erste GST-Präsidentin. Das ist durchaus typisch für den Beruf, in dem immer mehr Frauen tätig sind.
«Schweizer Bauer»: Sie sind die erste Präsidentin der GST. Ist das der letzte Schritt zur «Feminisierung» der Tierärzteschaft?
Julika Fitzi: Wir können sagen, dass die GST die Feminisierung auch vollzogen hat (sie lacht).
Wie viele der aktiven Tierärzte sind Tierärztinnen?
Von den Tierärzten, welche in der kurativen Praxis tätigt sind, sind wohl 50 Prozent Frauen.
Wie sieht es bei den Studierenden aus?
80 bis 90 Prozent der Absolventen sind Frauen. In ein paar Jahren werden drei Viertel der tierärztlichen Tätigkeiten in weiblicher Hand sein.
Inwiefern wirkt sich der steigende Frauenanteil auf die Grossviehmedizin aus: Können sich genügend Frauen für die Nutztiere begeistern?
Auf jeden Fall. Wir haben die drei Schwerpunktrichtungen Kleintiere, Pferde und Nutztiere im Studium. Die Zahlen sind immer konstant. Wenn wir davon ausgehen, dass wir hauptsächlich Frauen im Studium haben und diese drei Bereiche gleich stark sind, dann ist der Nachwuchs gesichert.
Dann ist auch kein Tierarztmangel beim Grossvieh in Sicht?
Das Problem wird eher sein, dass sich die Arbeitszeitmodelle nicht so schnell angepasst haben, wie wir das wünschen. Frauen müssen Beruf und Familie in Einklang bringen. Heute gibt es auch einen gewissen Anspruch an die «Work-Life-Balance». Und hier sind die Frauen sicherlich genauso anspruchsvoll wie die Männer.
Hat das zur Folge, dass es mehr Gemeinschaftspraxen gibt?
Genau. Das wird wohl für die Zukunft die Lösung sein. Und es wird auch angestrebt. Oft fühlt sich der Tierarzt etwas alleine. Und das fangen Gemeinschaftspraxen ab, gerade zum Wissensaustausch unter Arbeitskollegen.
Heute gibt es noch Tierärzte in abgelegenen Gebieten. Ist die flächendeckende Dienstleistung denn auch mit Gemeinschaftspraxen noch gewährleistet?
Ich denke, dass es machbar ist. Es gibt auch schon Beispiele dafür. Da ist zum Beispiel die Gemeinschaftspraxis am Rand einer grösseren Ortschaft. Die Tierärzte gehen dann am Morgen in die entlegeneren Täler und Gebiete. Oder sie wohnen selber privat weiter auf dem Land, arbeiten von dort und übermitteln ihre Abrechnungen, Krankengeschichten, Kundenkartei und so weiter elektronisch. Ich denke also, dass es kein Problem ist. Die Studierenden sind heute auch besser auf die neue Arbeitswelt vorbereitet. Im Studienplan sind Betriebswirtschaft und Personalmanagement integriert.
Warum hat man immer wieder Stimmen gehört, welche von einem Tierärztemangel gewarnt haben?
Es ist sicher eine grosse Herausforderung. Der Bedarf ist morgen da, aber die Lösung ist übermorgen noch nicht fertig. Aber es gibt mittlerweile gut laufende Modelle, und an denen wird man sich orientieren müssen. Es gibt auch sehr innovative Tierärzte. So gibt es ältere Tierärzte, welche ihre Praxis nicht verkaufen. Sie bleiben als «Schirmherr» über der Organisation, holen jüngere Tierärztinnen und Tierärzte her und eröffnen ein Zentrum. In solchen Zentren hat man oft nicht nur Grossvieh-, sondern auch Kleinviehspezialisten und im Idealfall auch noch einen Operationssaal, wo man beispielsweise eine Zitzenoperation durchführen kann.
Es gibt immer weniger Bauern. Merken die Tierärzte den Strukturwandel?
Teilweise. Immer mehr kleinere Bauern hören auf. Dafür gibt es immer mehr grosse Betriebe. Und die grossen, hoch technisierten Betriebe können nur mit der teils täglichen Betreuung durch Tierärzte bestehen. Wenn dort Krankheiten oder Probleme nicht rechtzeitig erkannt werden, ist der Schaden enorm gross. Noch immer arbeitet etwa die Hälfte der praktizierenden Tierärzte im Bereich Grossvieh.
200-Jahr-Jubiläum
Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) wurde 1813 gegründet und feiert demnach heuer ihren 200. Geburtstag. Sie vertritt als Standesorganisation und Dachverband die beruflichen Interessen von über 2800 Mitgliedern. Die selbstständigen oder angestellten Tierärztinnen und Tierärzte sind in den verschiedensten Bereichen der Tiergesundheit tätig.