Junglandwirt Sebastian Hagenbuch vertieft sein landwirtschaftliches Wissen mittels eines Agronomiestudium in Zollikofen. Nach bestandener Lehre mussten die Latzhosen und Arbeitshandschuhe dem (Sennen-)Hemd und Laptop weichen. Hagenbuch absolviert derzeit ein Praktikum bei der Agroscope in Changins VD.
Diesmal mag ich mir keine grundsätzlichen Gedanken über Sinn und Unsinn von landwirtschaftlicher Forschung, staatlichen Institutionen, Theorie und Praxis machen. Nebst der Tatsache, dass ich in Changins bin, habe ich festgestellt, dass es sehr schön ist hier. Das geschah beispielsweise so:
Überdimensioniertes Wiener Schnitzel
Das Tageswerk spielte sich eine Stunde von Changins entfernt ab: Mitten in der Waadtländer Pampa ernteten Etienne, Jim und ich die Weizenversuche - 180 Kleinparzellen. Der Wind wehte konstant von der falschen Seite, also so, dass die Spreu wunderbar an meinem Schweiss haften blieb und mir das Aussehen eines überdimensionierten, von einem unmotivierten Lehrling präparierten Wiener Schnitzels gab. Gebraten wurde ich während gut 8 Stunden in der gleissenden Sonne, immenser Tropfsaftverlust (vermutlich zu wenig intramuskuläres Fett), relativ zäh.
Dazu musste ich mich an diesem Tag mit meinem neuen Spitznamen - jeder bekommt einen Künstlernamen, wie es sich für rechte Schnitzel gehört - abfinden. Dass ich nun Bastian Baker gerufen werde, ist halt Pech. Jim hat's da besser, er konnte wählen zwischen Jimmy Hendrix oder Jim Morrison. Sollte ich mal Kinder haben, eines davon heisst vielleicht Jim, bestimmt aber keines Sebastian.
Eintauchen in eine andere Welt
Zurück in Changins, habe ich das Angebot von Publi-Bike genutzt, mir ein Elektrovelo (ich geb's ja zu) geschnappt und bin dem See entgegengedüst. In bester Hänsel- und Gretel-Manier habe ich eine schöne Spur aus Paniermehl beziehungsweise Weizenstroh hinterlassen. Runter nach Nyon, links abbiegen Richtung Strand. Es riecht nach Gewitter, und plötzlich beginnt es sich auch so anzufühlen. Umso besser für mich: Die Leute flüchten vom Strand, während ich mich euphorisch dem See nähere.
Ein Sprung, ein Eintauchen in eine andere Welt, ein Abstreifen der Alltagssorgen und des Paniermehls. Ich schwimme hinaus auf den See, von wo ich einen schönen Blick auf die Villen von Prangins habe. Ein privater Hafen hier, ein schlossähnlicher Bau aus dem 17. Jahrhundert dort, mal eine Allee mit mächtigen Pappeln, dann wieder ein üppig-kitschiger Rosengarten. Ich tauche ab und auf, ein und unter, geniesse die Illusion, tun und lassen zu können, was ich will. Niemand kennt mich, niemand will etwas von mir - schön und beunruhigend zugleich.
Ein Hauch von Exotik und Fremde
Zurück am Strand hat sich das Gewitter längst verzogen. Die Wolkendecke hat aufgerissen, und scheinbar zum Greifen nah glänzt der Mont Blanc in der Abendsonne. Du kommst auf meine Liste, denk ich mir, und sehe mich mit Steigeisen und Pickel bewaffnet über eine mächtige Schneeflanke stapfen. Ich lese noch ein paar Seiten in meinem Buch, ohne dass lästige Mücken mir auf die Pelle rücken würden - trotzdem rauche ich eine Zigarette, ganz einfach, weil ich Lust dazu habe.
Bei der Rückfahrt nach Changins pedale ich noch ziellos in Nyons Altstädtchen umher. Nur 3,5 Zugstunden von meiner Heimat entfernt, und doch hat Nyon heute für mich einen Hauch von Exotik und Fremde, die französische Sprache etwas von Erotik und Freude. Ich pedale zurück nach Changins, denke nicht viel, schaue kurz bei den Süsskartoffeln vorbei und bin im Grossen und Ganzen recht zufrieden. Und falls das einmal nicht so wäre, hätte ich immer noch einen Notvorrat an gesalzenen Erdnüssen und Weisswein in meinem Doppelzimmer, welches ich alleine bewohnen darf, gebunkert.