Sebastian H. vertieft derzeit sein landwirtschaftliches Wissen mittels eines Agronomiestudium in Zollikofen. Nach bestandener Lehre mussten die Latzhosen und Arbeitshandschuhe dem (Sennen-)Hemd und Laptop weichen. Nun äussert er sich zu anonymen Schreiberlingen.
Stellen Sie sich vor, sie sitzen im Zug, und der fremde Herr im Abteil gegenüber stellt sich vor sie hin und tut lauthals kund, weshalb er ihre Frisur beschissen findet und sie ihm auf die Nerven gehen, gefolgt von einem Spruch über ihren Vater und einem kleinen Rundumschlag an die Adresse des Bundesrates. Was in der realen Welt undenkbar erscheint, findet im Internet täglich millionenfach statt. Der Anonymität sei Dank.
Wann wurden sie das letzte Mal knallhart kritisiert, auf richtig ehrliche Art und Weise? Kritik kommt bei uns ja fast immer geschliffen daher, pädagogisch korrekt und adressatengerecht formuliert, so sehr, dass der Empfänger nachher oft nicht weiss, ob er nun soeben ein Kompliment erhalten hat. Wenn sie sich also nach gnadenlos frontaler Kritik sehnen, beginnen Sie, einen Blog zu schreiben. Oder sonst irgendwo im Internet etwas zu publizieren, damit der Leser die Möglichkeit hat, unter irgendeinen Pseudonym seinen Senf dazu zu geben.
Meine Kritiker heissen Melker, Bauer oder Seppli, und sie haben bestimmte Markenzeichen:
- Meine Texte scheinen sie derart in Rage zu bringen, dass sie gerne auf eine Vielzahl von Satzzeichen zurückgreifen!?!!!!!?
- Es scheinen derart vielbeschäftigte oder enervierte Menschen zu sein, dass sie im Moment ihrer Kritik keinen Sinn für eine korrekte Orthograffie mer habn.
- Die rhetorische Frage (z.B. "Wer hat ihn zum Studium gezwungen?") wird gekonnt als Stilmittel eingesetzt, nicht wahr?
- Ihre Motivation, einen Kommentar zu schreiben, ist für mich oft unklar. Damit ich mich nicht selber in Frage stellen muss, seh' ich es so: Die Kommentareschreiber machen den Eindruck, als hätten sie nach etwas gesucht, das sie aufregt, und sind in meinen neunmalklugen Blog fündig geworden. Das gibt mir natürlich ein gutes Gefühl, wenn ich für andere da sein kann. Ich zieh den Aufwand für's schreiben gerne bei den Steuern ab.
- Womöglich handelt es sich auch um getarnte Schreie nach Aufmerksamkeit und Liebe, die ich mit diesem Blog würdigen will. Ich mag euch, liebe Kommentareschreiber, ihr motiviert mich, weiterzumachen, und helft mir dabei, unbeirrbarer zu werden. Danke!
Nun eine Frage an Sie: Was halten sie von anonymen Kommentar im Web? Beleben sie das Geschäft und unterhalten uns, oder sind sie Ausdruck einer rückgratlosen Gesellschaft, die nicht dafür einstehen kann, was sie denkt? Ich freue mich auf originelle Kommentare - ganz gleich, ob anonym oder nicht.