Vom Büro raus auf's Feld - und nun doch wieder zurück in die Schulstube. Wie es Junglandwirt Sebastian Hagenbuch als Agronomiestudent ergeht, ist regelmässig in seinem Blog zu lesen - spannend verpackt und mit einem Augenzwinkern garniert.
"Weisst du, Landwirt, das ist ja schon schön, aber ich könnte nicht jeden Tag so früh aufstehen und so lange arbeiten." Ein vielgehörtes Argument von Leuten aus nichtbäuerlichen Kreisen, und eines, welches sich für mich seit dem Studium selbst zerschlagen hat - in der S31 von Biel nach Zollikofen.
Und das geht so:
Morgens stehe ich um 6.00 Uhr auf. Obwohl der Appetit bestenfalls mässig ist, mache ich mir ein Müesli, lese etwas Zeitung und gehe den Tag im Gedanken grob durch. Meist gibt mir das ein Gefühl von "OK, packen wir's an!". Zähne putzen, auf den Fahrradsattel schwingen und sich durch den stockenden und stinkenden Verkehr in Richtung Bahnhof schlängeln. Auf das Schlängeln folgt das Drängeln: Der Parkplatz für das Fahrrad muss erobert werden, aber wenigstens ist es ein Kampf gegen Statisten ohne ihre Strampler, so dass sich immer eine Lösung finden lässt.
Es folgt dann aber Drängeln Stufe II: Der Perron ist heillos überlaufen, und die Einfahrt des Zuges führt zu massiven Ballungen rund um die Eingangstüren. Ein nervös lauernder Halbkreis bildet sich um die Pforten, ein Gefängnis für die Aussteigenden, die sich ihren Weg durch die Meute bahnen müssen. Die Wartenden hoffen, einen Aussteiger beerben zu können und strömen energisch ins Innere des Zuges, mit nervösen Blicken angesichts folgenschwerer Entscheidungen: Oben oder unten, links oder rechts? Wo ist die Chance auf einen Sitzplatz neben einem unaufdringlichen Menschen oder gar allein am grössten? Finde ich eine Nische, wo ich wenigstens bequem und ungestört stehen kann?
Das Ganze geht in gespenstischem Schweigen vor sich, die meisten hören nur, was ihr Smartphone für Geräusche an den Ohrenstöpsel überträgt und blenden erfolgreich aus, was sich rund um ihn herum abspielt. Ist der Platz einmal gefunden, wartet erneut das Smartphone oder hochstehende Gratisblattlektüre. Diejenigen, die sich Hausaufgaben oder anderer Literatur widmen dürfen, sind zu beneiden. Endlich setzt sich der Zug in Bewegung. Jeder Pfarrer wäre glücklich, wenn seine Kirche derart voll und gleichzeitig derart ruhig wäre wie die Zugwagen der S31.
Vorläufig muss ich mit dem Pendlerstrom schwimmen, Zollikofen liegt nicht in Velo-Reichweite, solange ich noch in Biel wohne. Da gilt es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, die Zeit im Zug sinnvoll zu nutzen und sich nicht von der schlechten Laune der MitpendlerInnen anstecken zu lassen. Und gegen den überfüllten Zug ist bereits eine Lösung gefunden: Ein aufklappbarer Campingstuhl sorgt garantiert für einen freien Sitzplatz - und zaubert dem einen oder anderen Leidensgenossen ein Lächeln ins Gesicht.
Und für mich steht fest, dass ich nach dem Aufstehen meine Zeit lieber bei Rindern als bei PendlerInnen verbringe - letzteres ist nämlich anstrengender und weniger gut für die Psychohygiene als die morgendliche Arbeit im Stall.


